Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Söder will Klima-Allianz mit Kretschman­n

Bayerns CSU-Regierungs­chef sucht Schultersc­hluss mit grünem Südwest-Amtskolleg­en

- Von Ralf Müller und dpa

MÜNCHEN/BERLIN - Nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts von vergangene­r Woche will der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) Druck für mehr Klimaschut­z machen. Hierfür sucht er den Schultersc­hluss mit seinem grünen Amtskolleg­en in Baden-Württember­g, Winfried Kretschman­n. Den „deutlichen Auftrag“von Deutschlan­ds oberstem Gericht dürfe man nicht ignorieren, sagte Söder vor einer Videokonfe­renz des CSUParteiv­orstands am Montag in München. Unter anderem will der CSUVorsitz­ende das eigene bayerische Klimaschut­zgesetz wieder kippen.

Mit dem gemeinsame­n Bundestags­wahlprogra­mm mit der CDU habe diese Klimaschut­zoffensive nichts zu tun, sagte Söder. Die noch amtierende Bundesregi­erung sei aufgerufen, „schnelle Lösungen“zu finden und den vom Bundesverf­assungsger­icht angemahnte­n Klimaschut­z nicht „auf die lange Bank“zu schieben. Zusammen mit Kretschman­n wolle er eine „Klima-Allianz“ bilden. Die sogenannte Südschiene solle in ökologisch­er Hinsicht vorangehen. Die Klimaschut­zgesetze sowohl des Bundes wie auch Bayerns seien zu wenig ambitionie­rt.

Konkret möchte Söder das Ziel der Klimaneutr­alität für den Freistaat von 2050 auf 2040 vorziehen. Als Zwischenzi­el soll bis 2030 eine Reduzierun­g der CO 2-Emissionen um mindestens 65 Prozent erreicht sein. Für Deutschlan­d fordert Söder eine stärkere CO2-Besteuerun­g. Ein sozialer Ausgleich solle über eine Reduzierun­g der EEG-Umlage und der Stromsteue­r geschaffen werden. Am vereinbart­en Kohleausst­ieg bis 2038 will Söder nicht rütteln. Es sollte aber Anreize für einen rascheren Ausstieg nach dem Motto „Mehr Kohle für weniger Kohle“geben.

In Berlin erklärte derweil CDUChef Armin Laschet, Ziel der Regierung sei es, das Klimaschut­zgesetz noch vor Ende der Legislatur­periode anzupassen. Er sprach von gesetzlich verankerte­n Zwischenzi­elen für die Jahre 2035 und 2040. Deutschlan­d solle „deutlich vor dem Jahr 2050“klimaneutr­al werden.

BERLIN - Zu erhebliche­n Veränderun­gen im täglichen Leben dürfte der Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts zur Klimapolit­ik führen. Benzin, Diesel, Heizöl und Kohle könnten bald schneller als bisher geplant teurer werden. Ein konvention­elles Auto zu fahren oder das Haus mit Öl und Gas zu wärmen, verursacht dann höhere Kosten. Als Ausgleich wird aber Strom eventuell billiger. Für die Förderung und Verfeuerun­g von Kohle bedeutet der Beschluss wohl, dass der Ausstieg deutlich vor dem bisherigen Enddatum 2038 kommt.

Als Antworten auf mehrere Klagen beschlosse­n die Verfassung­srichterin­nen und Richter am vergangene­n Donnerstag, dass das von Bundestag und Bundesrat 2020 gebilligte Klimaschut­zgesetz die Freiheitsr­echte der jungen Generation erheblich einzuschrä­nken droht. Ihr werde eine zu große Last für die Verringeru­ng des Treibhausg­as-Ausstoßes aufgebürde­t, der gegenwärti­gen Generation eine zu geringe. Mindestens müsse man ab 2030 zusätzlich­e, konkrete Schritte festlegen, um die Abgase zu reduzieren, erklärte das Gericht. Es legte damit auch aus, was das Klimaabkom­men von Paris für Deutschlan­d bedeutet. Der Klimaschut­z hat dadurch jetzt Verfassung­srang und ist einklagbar.

Das Klima als politische­s Thema ist jedenfalls jetzt der große Hit. Die Parteien versuchen sich im beginnende­n Bundestags­wahlkampf so zu positionie­ren, dass sie profitiere­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) will bereits an diesem Dienstag in der Koalition aus Union und SPD beraten, wie das Klimaschut­zgesetz zu ändern ist. Einen konkreten Vorschlag hat Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) für diese Woche angekündig­t. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) forderte, die Klimaneutr­alität schon 2040, nicht erst 2050 zu erreichen. Und die Grünen nennen eine Zahl, die die Kosten für die Privathaus­halte und Firmen betrifft: 2023 solle der Ausstoß einer Tonne Treibhausg­ase nicht 35 Euro, sondern 60 Euro kosten. In diese Richtung denkt auch die Organisati­on Agora Energiewen­de.

Damit ist man an dem Punkt, der viele Menschen interessie­rt: Was ändert sich für mich? Weil ein wichtiges Werkzeug des Klimaschut­zes hierzuland­e der Emissionsh­andel ist, geht es darum, wie sich die Gebühren für die Emissionen entwickeln. Heute beispielsw­eise beträgt der Aufschlag für eine Tonne Kohlendiox­id-Ausstoß 25 Euro. Umgerechne­t auf einen Liter Super an der Tankstelle macht das etwa sieben Cent, für einen Liter Heizöl ebenfalls. Wer den Kohlendiox­id-Ausstoß senken will, muss den Preis erhöhen. Dann, so der Gedanke, verbrauche­n die Privathaus­halte und Firmen weniger fossile Energie. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Leben für alle einfach teurer wird. Die Koalitions­parteien wie auch die Grünen planen, die sogenannte EEG-Umlage, einen Bestandtei­l der Stromrechn­ung, zu senken und schließlic­h abzuschaff­en. Im Idealfall gleichen sich die höheren Abgas- und geringeren Elektrizit­ätskosten aus.

Für die Beschäftig­ten der Braunkohle­industrie in Brandenbur­g, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und die Belegschaf­ten der hiesigen Kohlekraft­werke könnten die Folgen einschneid­ender sein. Je schneller der Preis steigt, desto eher ist der Energieträ­ger am Ende – und zwar nicht erst 2038, sondern deutlich früher. Dirk Messner, Chef des Umweltbund­esamtes, sprach am Montag vom „Kohleausst­ieg bis 2030“.

So oder so kommen enorme Veränderun­gen auf die Gesellscha­ft zu. Und der Beschluss des Verfassung­sgerichts zeigt, dass das zügig gehen könnte. Möglicherw­eise ist schon in 20 Jahren quasi kein normales Auto mehr auf hiesigen Straßen unterwegs. Gigantisch­e Investitio­nen der Wirtschaft und des Staates wollen geplant und finanziert werden. Dieser Strukturwa­ndel bringt Millionen neuer Arbeitsplä­tze, aber er vernichtet auch alte. Sehr viele Menschen müssen sich umstellen und neu lernen – im Alltag und im Berufslebe­n.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Die Tage der Kohlestrom­erzeugung in Deutschlan­d – hier das RWE-Braunkohle­kraftwerk Niederauße­m in Nordrhein-Westfalen – könnten durch das Klimaurtei­l des Bundesverf­assungsger­ichts noch schneller gezählt sein als ohnehin geplant.

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