Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Asylbewerber muss Haftstrafe absitzen
24-Jähriger wollte Mitbewohner mit Stein schlagen
ALTSHAUSEN - Mit der gegenseitigen Rücknahme der Berufung ist die Wiederaufnahme der Verhandlung gegen einen Gambier aus Altshausen am Freitag vor dem Landgericht Ravensburg abgeschlossen worden. Der 24-Jährige muss somit seine vom Amtsgericht Ravensburg erhobene Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten aufgrund verschiedener Körperverletzungs- und Bedrohungsdelikte absitzen.
Im März 2020 geriet der Asylbewerber in der Unterkunft „Haus am Weiher“mit zwei anderen Bewohnern in Streit. Nachdem er Wasser verschüttet hatte, wies ein Mitbewohner ihn zurecht, woraufhin der Angeklagte ihn mit einem Messer bedrohte, zu Boden warf und schrie, ihn töten zu wollen. Ein weiterer Mitbewohner eilte zu Hilfe und der Angeklagte floh aus dem Gebäude. Die alarmierte Polizei konnte den 24-Jährigen zunächst nicht finden. Ein Mitbewohner fand ihn aber schließlich in einer Seitenstraße. Der Angeklagte packte daraufhin einen rund ein Kilogramm schweren Stein und wollte damit auf den Kopf des Mitbewohners einschlagen. Der konnte ausweichen, wurde stattdessen aber von seinem Landsmann kräftig in den Unterarm gebissen. Er konnte ihn dennoch überwältigen und der Polizei übergeben. Das Amtsgericht hatte ihn im Dezember 2020 zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Dagegen waren sowohl seine Anwältin als auch die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen.
Richter Matthias Geiser ging in seiner Befragung im Landgericht mit Unterstützung eines Dolmetschers ausführlich auf den Werdegang des Gambiers ein, um sich ein Bild von dem jungen Mann machen zu können. In seiner Heimat war der 1997 Geborene nur fünf Jahre zur Schule gegangen. Sein Vater starb bereits als er neun Jahre alt war, er lebte mit seiner Mutter und der jüngeren Schwester zusammen. Eine Zukunft sah er im Fußballspiel, in dem er seinen Angaben zufolge so talentiert war, dass er dafür bezahlt wurde. Bei einem Fußballspiel kam es zu einem Zusammenstoß mit einem gegnerischen Spieler. Dabei landete er mit seinem Knie auf dessen Hals, verletzte ihn dabei so schwer, dass der Mann an den Folgen verstarb. „Seine Familie gab mir die Schuld an dem Tod und bedrohte mich. Da habe ich mich zur Flucht entschieden“, sagte der Angeklagte. Rund zwei Jahre verbrachte der Jugendliche allein in Libyen. Als dort der Krieg so ernst wurde, dass er nicht mehr zur Arbeit raus konnte, verlor er seinen Unterhalt. Also entschied er sich erstmals für eine Flucht über das Mittelmeer nach Europa. Diese scheiterte, er landete im Gefängnis. Durch Arbeit konnte er sich seine Freiheit zurückverdienen, schaffte es bei einem zweiten Versuch über das Mittelmeer nach Sizilien. 2015 kam er nach Karlsruhe und schließlich nach Altshausen. Aufgrund von Beschwerden mit den Augen war er für Operation und Behandlung drei Monate lang im Krankenhaus in Ulm. „Ich habe damals Drogen genommen, was ich heute sehr bereue“, sagte der 24-Jährige. Probleme mit der Polizei bekam er aufgrund seines Drogenhandels und -missbrauchs 2018, landete in Untersuchungshaft, kam aber durch eine Bewährungsstrafe nach vier Monaten wieder frei. Im Frühjahr 2020 verlor er seinen Job aufgrund der Corona-Pandemie.
Wann er das erste Mal Drogen konsumiert hat, wollte Richter Geiser vom Angeklagten wissen. „Ich war 14 oder 15 Jahre alt. Das war damals in Libyen“, sagte der gebürtige Gambier. Als er nach Deutschland kam, habe er zunächst keine Drogen genommen. Er habe erst um 2016 wieder damit angefangen, als der Stress für ihn zu viel wurde. Er räumte ein, regelmäßig Marihuana geraucht und Pillen genommen zu haben. „Das hat mich beruhigt und ich konnte schlafen. Ich habe in meiner Jugend und auf meiner Reise so viel erlebt, das ich nicht verarbeitet habe“, sagte der 24-Jährige. Pro Monat habe er rund 300 bis 400 Euro für seinen Drogenkonsum ausgegeben. Er räumte die Vorwürfe der verschiedenen Körperverletzungsund Bedrohungsdelikte ein, bekundete seine Reue.
Richter Geiser machte deutlich, dass das Amtsgericht weder eine brutal harte noch eine unvertretbar milde Strafe verhängt habe. „Wir können die Zeugen verhören und alles neu aufrollen. Das sowie ein Geständnis können sich strafmildernd auswirken, aber das kann ich nicht zusichern“, erläuterte Geiser. Nach einer Sitzungsunterbrechung einigten sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft auf die gegenseitige Rücknahme der Berufung. Es bleibt somit bei der Strafe des Amtsgerichts. Der Richter gab dem 24-Jährigen den Rat, sich angesichts seiner Neigung zu Drogen Hilfe zu suchen. Die gebe es in der JVA. „Sie sind jung und fit. Sie haben das Leben noch vor sich und das geht nach der Haft weiter. Egal ob und wo Sie Bleiberecht bekommen“, sagte Geiser. Dazu müsse er sich aber selber Hilfe holen und auch die Zeit in der Haft nutzen.