Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wenn stillen zur gesellschaftlichen Frage wird
Zum internationalen Tag der Hebammen berichten Annika Rieber und Corinna Baier aus ihrem Alltag
SIGMARINGEN - Der internationale Tag der Hebammen hat einen runden Geburtstag. 1991 ist er erstmals begangen worden, 30 Jahre später kämpfen Hebammen immer noch um mehr Anerkennung des Berufs. Corinna Baier und Annika Rieber sind zwei von ihnen, die im Kreis Sigmaringen tätig sind. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“berichten sie von einem Alltag, der kaum alltäglich ist.
Beide sind seit mehreren Jahren als Hebamme tätig. Ein Beruf, der wie sie sagen, einiges abverlangt. Zum einen ist es ihnen wichtig, jede Familie, jede Schwangere individuell auf dem Weg zu begleiten. „Es ist eine sehr emotionale Phase, in der die werdenden Eltern eine Hebamme sehr nah an sich heranlassen“, beschreibt Annika Rieber ihre Arbeit. Dem stimmt ihre Kollegin Corinna Baier zu und ergänzt: „Eine Geburt ist faszinierend und wundervoll und ein intimer Moment.“Beide Hebammen erinnern sich noch an die erste Geburt, bei der sie dabei waren, und das mehr als zehn Jahre später. Doch es gehe nicht allein um diese eine Phase, auch vor und nach der Geburt sind Hebammen gefragt.
Zum einen begleiten sie die Familien bis zur Geburt hin: Die Vorsorge ist ein essenzieller Aspekt der Arbeit, der sich im Alltag der beiden Frauen deutlich niederschlägt. Neben Kursen wie Geburtsvorbereitung und Aquafit steht vor allem die fachkundige Beratung im Fokus. Hier werden auch Ängste offen besprochen. „Es ist wichtig, dass die werdenden Eltern einen Weg einschlagen, der sich für sie richtig anfühlt, wir werden sie nicht in eine Richtung drängen“, betont Baier. Damit spielt sie auf das Thema Stillen an. „Hier steht eine Frau immer etwas unter dem Druck der Gesellschaft“, so die 38-Jährige weiter. Stillen in der Öffentlichkeit werde häufig nicht so gerne gesehen, nicht zu stillen, werde aber auch kritisiert, fasst sie die Problematik zusammen. Ihre Kollegin Rieber ergänzt, dass es die Entscheidung der Frau sei und sie sie schlichtweg auf jedem Weg unterstütze, ob gestillt wird oder nicht.
Das ist ein Thema, dem sich Frauen unter anderem in der sogenannten Wochenbettbetreuung durch die Hebammen stellen. Hier erhalten Familien Tipps im Umgang mit ihren Neugeborenen, die kindliche Entwicklung wird beobachtet, auch die mütterliche Rückbildung wird kontrolliert und steht im Fokus. Um das unter einen Hut zu bekommen, setzen die beiden Hebammen auf verschiedene Modelle: Während Baier eher auf morgendliche Kurse setzt, die telefonische Beratung im Auto auf dem Weg zu Terminen macht und nachts ihre E-Mails checkt, sieht es bei Rieber anders aus. Sie bietet abends Kurse an, arbeitet die Telefonberatungen zwischendrin ab und übernimmt dann die Termine. Beide verdeutlichen, dass das oftmals damit einhergeht, nicht abzuschalten. „Wenn ich im Urlaub bin und eine EMail von einer Schwangeren bekomme, dann antworte ich auch, denn es fällt mir schwer, auf meinen Urlaub hinzuweisen“, fasst es Baier zusammen. Burnout sei bei Hebammen nicht selten, die Sorge um die zu Betreuenden sei zu groß. Dem pflichtet Rieber bei, auch sie setze die Frauen an die erste Stelle. Hinzu kommen die bürokratischen Aufgaben wie das Qualitätsmanagement, Abrechnung und Material bestellen.
Auf die Frage, wie die beiden ihre Akkus aufladen, kommt eine Antwort sehr prompt und deutlich: durch die Familie. Mit einem Lächeln erklärt Rieber, dass es zum einen besondere Männer braucht. „Hebammenmänner sind ein spezieller Schlag“, so die 35-Jährige, die daraufhin ein Kopfnicken von ihrer Kollegin erhält. Ihre Männer geben ihnen ausreichend Rückhalt und würden dafür sorgen, dass das Abschalten funktioniert. Auch eine ehrliche Einschätzung der Kinder helfe zu erkennen, dass die Arbeit die Familie nicht verdrängen sollte, merkt Baier an. Gemeinsame Ausflüge helfen beiden, wie sie sagen. „Einfach mal zwei Stunden für sich haben, ist eine kurze, wichtige Auszeit“, ist Rieber überzeugt.
Allerdings loben beide als freiberufliche Hebammen, dass sie wohl wie kaum eine andere Frau Beruf und Familie gut kombinieren können. „Einen Rückbildungskurs ohne Nele gab es lang nicht. Meine jüngste Tochter war meist dabei und hat immer für ein Lächeln in der Gruppe gesorgt“, erinnert sich die 38-Jährige. Ein Kleinkind dabei zu haben, sei auch für Rieber kein Thema gewesen, die zu betreuenden Familien akzeptierten die Situation. Mehr von dieser Akzeptanz würden sich die beiden Hebammen vonseiten der Politik wünschen. Eine bessere Bezahlung und dass der Beruf in der Gesellschaft präsenter wird, seien wichtig. „Das gilt aber für die meisten pflegerischen Berufe“, merken beide an. In Zusammenhang mit der Corona-Pandemie kam das deutlich zutage. Viele Hebammen bemängelten deutschlandweit, „dass wir einfach auch in den Beschlüssen der Regierung oft vergessen wurden“, so Baier und ergänzt: „Während beispielsweise andere Berufsgruppen namentlich in den jeweils neuen CoronaRegeln benannt wurden, mussten wir uns immer erkundigen, was gilt für uns, in welchen Bereich fällt unsere Arbeit. Das empfand ich anfangs schon auch ein bisschen schwierig.“Nach einiger Zeit, einigen E-Mails und Telefonaten habe sie gewusst, in welchem Bereich Hebammen eingeordnet wurden und konnte die Arbeit dementsprechend anpassen.
Trotz dieser Schwierigkeiten gehen sie in ihrem Job auf, weil sie eine Leidenschaft dafür haben, die auch nötig sei, wie sie scherzhaft anmerken. „Wichtig ist, dass ich mich jeden Tag auf meinen Job freue“, sind sich Annika Rieber und Corinna Baier einig.