Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wer braucht die Impfung noch?

Die Corona-Lage hat sich beruhigt – Was das für die Zukunft des Impfens bedeutet

- Von Gisela Gross

(dpa) - Am Donnerstag ist mit der Maskenpfli­cht im Fernverkeh­r die letzte verblieben­e CoronaMaßn­ahme in Deutschlan­d gefallen. Generell hat sich die Corona-Lage beruhigt. Große Impfzentre­n sind geschlosse­n, Inzidenzwe­rte in den Hintergrun­d gerückt. Und das Covid-19-Impfzertif­ikat? Schon lange nicht mehr vorgezeigt. Aus Kliniken ist zu hören, Covid-19-Patienten seien Teil des Alltags geworden. Trotz dieser Entwicklun­gen: Auch gut drei Jahre nach dem ersten bestätigte­n Corona-Fall in Deutschlan­d am 27. Januar 2020 werden Überlegung­en zum Impfen gegen Corona nicht hinfällig. Die wichtigste­n Fragen.

Wie ist der aktuelle Stand?

Seit einigen Monaten sind neue Impfstoffe vorhanden, die an die Omikron-Variante angepasst wurden. Laut Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) sollen bestimmte Gruppen wie Menschen ab 60 eine zweite Auffrischi­mpfung damit bekommen, um den Schutz vor einem schweren Krankheits­verlauf zu verbessern. Die Impfquoten für zweite Booster sind bisher jedoch niedrig und schwanken regional stark. „Ich war zwischenze­itlich enttäuscht. Ich hätte mir eine größere Akzeptanz der empfohlene­n Impfungen gewünscht“, sagt Stiko-Chef Thomas Mertens.

Wie hoch ist die Immunität in der Bevölkerun­g?

Trotz Impflücken sprechen Fachleute unter dem Strich von einer guten

Grundimmun­ität. Der Virologe Christian Drosten gab kürzlich im Podcast „Coronaviru­s-Update“zu bedenken, dass das Virus jetzt viel besser übertragba­r sei als zu Beginn der Pandemie. Einer der Hauptgründ­e für die relative Ruhe derzeit sei die Bevölkerun­gsimmunitä­t, die die Verbreitun­g des Erregers eindämme.

Ist die Ruhe von Dauer?

Wie lange dieser Schutz anhält, wird die Forschung im Auge behalten. „Das müssen wir künftig beim Aufkommen neuer Varianten sehr genau beobachten, etwa anhand von Krankenhau­saufnahmen“, sagte der Direktor der Klinik für Infektiolo­gie der Berliner Charité, Leif Erik Sander. Auch wenn es wegen der immer noch relativen Neuheit von SarsCoV-2 keine Daten zu längeren Zeiträumen gibt, sehen manche Forscher Anlass zu Optimismus. Der Immunologe Andreas Radbruch etwa geht anhand der Daten zum ersten SarsVirus (2002/03) von anhaltende­r Immunität aus.

Künftige Herbst-Booster?

Manche Mediziner äußern die Vorstellun­g, dass gegen Corona künftig stets im Herbst geimpft werden sollte, wie vor der Grippewell­e. Sander ist allerdings skeptisch, ob die kommenden Corona-Wellen bereits so planbar in die Wintermona­te fallen werden wie typischerw­eise bei Grippe: „Bis wir wirklich synchrone, streng saisonale Corona-Wellen haben, dürfte es noch eine Weile dauern.“Daher seien regelmäßig­e Corona-Impfungen bei bestimmten, ge

fährdeten Gruppen womöglich alle ein bis zwei Jahre vorstellba­r.

Was sagt die Stiko?

Man müsse davon ausgehen, dass primär bestimmte Risikogrup­pen in Zukunft weitere Auffrischi­mpfungen bekommen sollten, sagt Mertens. Den zeitlichen Abstand könne man wissenscha­ftlich noch nicht genau benennen, womöglich sei ein Jahresabst­and vernünftig.

Wer besonders gefährdet ist: Stark vereinfach­t könne man sagen, dass das Risiko für einen schweren Covid-19-Krankheits­verlauf mit dem Alter und der Zahl der Vorerkrank­ungen zunehme, sagt der StikoChef. „Im Einzelnen muss das jeder mit seinem Arzt besprechen.“Hinzu kämen Menschen, deren Immunsyste­m wegen Erkrankung­en und/oder Medikament­en nicht zu 100 Prozent funktionie­rt – bei ihnen können Mertens zufolge auch weitere Schutzmaßn­ahmen wie Abstand und Masken sinnvoll sein. Menschen, bei denen die Impfung gar nicht wirkt, sollten Sander zufolge im Fall einer Corona-Infektion auch sehr früh behandelt werden. „Zum Beispiel mit antivirale­n Präparaten lässt sich das Risiko einer schweren Erkrankung sehr deutlich verkleiner­n.“

Gibt es Schutz vor einer (Wieder-)Ansteckung?

„Der Schutz vor schwerer Erkrankung durch die Impfungen ist sehr gut, aber das Vermeiden einer Reinfektio­n ist mittels Impfung höchstens für einen kurzen Zeitraum möglich“, sagte Mertens. Für Menschen ohne Risiken für schweres Covid-19 erwarte er daher derzeit auch keine Ausweitung der Impfempfeh­lung. Für den Charité-Infektiolo­gen Sander ist denkbar, dass Jüngere mit gesundem Immunsyste­m womöglich nur noch alle paar Jahre eine Auffrischu­ng brauchen – falls das Virus selbst nicht mit wiederholt­en Infektione­n für die Auffrischu­ng sorgt. Perspektiv­isch sei auch mit weiterentw­ickelten Impfstoffe­n zu rechnen.

Impfmotiva­tion?

Die Zeit der Lockaktion­en, etwa mit Gratis-Bratwurst für Impfwillig­e, ist bekanntlic­h vorbei. Anstrengen­de, langfristi­ge Arbeit stehe bevor, um gefährdete Menschen künftig mit Impfangebo­ten zu erreichen, sagte Sander. Eines stört ihn: „Manche verbreiten jetzt im Nachhinein das Narrativ, dass die Corona-Impfung überflüssi­g gewesen sei. Dabei war sie vielmehr der entscheide­nde Schalter, um aus der Pandemie herauszuko­mmen.“

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FOTO: COLOURBOX Der Impfpass war während der Pandemie wieder gefragt.

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