Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Flohmarkt auf dem Handy
Mehrere Gruppen ermöglichen Austausch in der Region – Eine Gründerin spricht über Beweggründe
- „Suche Harry Potter und der Stein der Weisen als Buch. Hat es zufällig jemand abzugeben?“Das schreibt Bina, ihre Handynummer ist rechts daneben angezeigt. Mehr ist über sie nicht bekannt. Unter ihrem Beitrag verkauft jemand, dessen Name nur aus Emojis besteht, Bilderrahmen für fünf Euro in Wald, weiter oben bietet Darinka Schutzengeltassen für je drei Euro im Raum Bad Saulgau zum Verkauf an. Die Whatsapp-Gruppe „Flohmarkt Sigmaringen“ist eine von mehreren im Landkreis, in denen es darum geht, ungeliebten Hausstand an den Mann oder die Frau zu bringen. Manche legen den Schwerpunkt auf Kinderkleider, andere auf Bücher. Was sie gemeinsam haben: Sie holen den Flohmarkt aufs Smartphone.
Dagmar Harder hat drei von ihnen ins Leben gerufen. Sie wohnt in Meßkirch und organisiert für gewöhnlich mit Christel Jusa die Kinderkleiderbörse in Rohrdorf. Dann kam Corona. „Die Börse fiel weg und plötzlich hatte ich die Klamotten zu Hause“, sagt die Mutter einer heute 13-jährigen Tochter. Schon damals war sie Mitglied in der einen oder anderen Gruppe, aber die seien ihr zu breit gefächert und räumlich zu stark verteilt gewesen. „Wenn etwas angeboten wurde, war es manchmal zu weit weg“, erinnert sie sich. Deshalb habe sie 2020 die erste Gruppe für Kleidung älterer Kinder rund um Meßkirch gegründet.
Es folgte eine weitere Gruppe für Erwachsenenbekleidung. „Da ist es ja noch schwerer, etwas zu finden“, so Harder. Mitglieder finden sich per Mund-zu-Mund-Propaganda, und das System funktioniert offenbar gut – auch Riedlinger haben sich schon in die Gruppen gewählt. „Das ist dann schon enttäuschend, wenn derjenige nie in der Gegend ist. 40 Kilometer fährt ja niemand“, sagt die Gruppengründerin. Sie verweist deshalb auf die Gruppenbeschreibung, in der das sehr deutlich steht – und sie habe auch die Mitglieder
noch einmal informiert: „Da möchte ich Enttäuschungen vorbeugen.“
Gab es früher noch eine technische Beschränkung der Mitgliederzahl solcher Whatsapp-Gruppen, lässt sie heute wiederum deutlich mehr Menschen zu. In Harders Gruppe für Erwachsenenkleidung sind es derzeit 116 Mitglieder, in der Kinderkleidergruppe sind es sogar 195. Pro Tag, schätzt sie, kommen zehn bis 20 Nachrichten rein. Als Administratorin schaut sie daher regelmäßig nach und vergewissert sich, dass die Unterhaltungen zum einen zivilisiert ablaufen, zum anderen
aber auch bezüglich der Menge nicht Überhand nehmen. „Wenn es in der Gruppe die ganze Zeit hin und her geht, nervt es“, sagt Harder. Stattdessen werden die Nutzer angehalten, sich bei Interesse privat auszutauschen: „Die Nummer haben die Mitglieder ja, sie werden angezeigt.“Unfreundliche Nachrichten entdecke sie immerhin selten.
Doch die Meßkircherin schaut nicht nur als Moderatorin, was eingestellt wird, sondern auch aus Eigenintersse. „Ich verkaufe manchmal noch die Sachen meiner Tochter oder schaue, ob ich etwas für sie finde“,
berichtet Harder. Oft funktioniere das auch, zumindest bei ihr. Wie erfolgreich andere sind, könne sie nicht beurteilen, da der Verkauf schließlich oft im Privaten stattfindet. Harder selbst habe über die Gruppe sogar schon Stammkunden gewonnen: „Mit ein bis zwei bin ich seit dem Verkauf weiter privat in Kontakt, andere kommen auch mal zum Stöbern vorbei oder fragen mich an, ob ich wieder etwas abzugeben habe.“
Als Ersatz in der Coronapandemie gegründet, sieht Harder die Gruppen inzwischen als Ergänzung zu realen Flohmärkten, denn gerade Kleiderbasare finden meistens im Frühjahr und im Herbst statt. „Wenn jemand etwas Spezielles sucht, fragt er in den Gruppen nach, zum Beispiel jetzt gerade Faschingskostüme“, sagt sie.
Der Vorteil gegenüber anderen Formaten wie Ebay-Kleinanzeigen sei die räumliche Nähe untereinander; es muss nichts versendet werden. Den Basar in Rohrdorf wollen sie in jedem Fall wieder ins Leben rufen, sofern sie genug Helfer finden – die Gruppen bleiben trotzdem bestehen.