Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Rinder sind stille Leider“

Auch in der Berufungsv­erhandlung werden Tierhalter freigespro­chen

- Von Wolfgang Steinhübel

- Woran erkennt man, ob ein Kalb leidet? Mit dieser Frage musste sich die Berufungsk­ammer des Landgerich­tes Ravensburg auseinande­rsetzen. Die Staatsanwa­ltschaft hatte in ihrer Anklage drei Personen aus dem Landkreis Ravensburg vorgeworfe­n, sie hätten einem Kalb die notwendige tierärztli­che Behandlung nicht zukommen lassen. Dadurch habe das Tier längere und andauernde Schmerzen erleiden müssen. Die Verhandlun­g endete mit einem Freispruch. Auch das Amtsgerich­t Ravensburg war im September 2021 schon zu diesem Urteil gekommen. Doch vieles bleibt im Bereich der Spekulatio­nen.

Der Vorsitzend­e Richter, Martin Hussels-Eichhorn hatte schon zu Beginn

der Sitzung den Beteiligte­n angeboten, das Verfahren gegen Zahlung einer geringen Geldstrafe an eine gemeinnütz­ige Organisati­on einzustell­en. Die Staatsanwa­ltschaft stimmte dem Vorschlag jedoch nicht zu. So begann die mühsame Befragung der Zeugen, die sich an die Ereignisse,

die sich vor dreieinhal­b Jahren, im September und Oktober 2019, auf dem Hof ereignet hatten, erinnern sollten. Begonnen hatte die Verhandlun­g um 8.30 Uhr – als das Urteil endlich um 18 Uhr gefällt war, blieb vieles im spekulativ­en Bereich. Der Jahrhunder­te alte Hof wurde bis 2017 vom Sohn betrieben. Diesem wurde ein Tierhaltev­erbot erteilt. Um zu „retten, was zu retten war“, gründeten seine beiden Geschwiste­r im Januar 2018 eine GbR (Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts) und führten den Hof nebenberuf­lich weiter. Dabei fühlten sie sich durch zahlreiche Kontrollen des Veterinära­mtes schikanier­t. Sie erhielten im Juli 2021ein Rinderhalt­ungsverbot. Alle Tiere wurden abgeholt und an Viehhändle­r veräußert. Allerdings ist dieses Urteil bis jetzt noch nicht rechtskräf­tig.

Im konkreten Fall wurde ein Tierarzt zur Begutachtu­ng eines Kalbes auf den Hof gerufen. Dieser stellte am 25. September 2019 eine Nabelentzü­ndung fest, die er mit Antibiotik­a und Schmerzmit­teln behandelte. Bei einem weiteren Besuch Anfang

Oktober stellte er keine Besserung fest und verordnete ein anderes Antibiotik­um. Das Kalb verendete wahrschein­lich am 16. Oktober und wurde in die Tierkörper­beseitigun­gsanstalt verbracht. Dort wurde eine Untersuchu­ng des toten Tieres vorgenomme­n und man stellte unter anderem fest, dass das Tier an Abszessen an der Leber, Entzündung­sprozessen im Bauchraum und an Gelenkentz­ündungen gelitten hatte. Alle Fettreserv­en waren aufgebrauc­ht. Daraufhin erfolgte die Anzeige.

Hätten die Tierhalter erkennen müssen, dass das Kalb gelitten habe? Eine schwer zu beantworte­nde Frage. Selbst der Veterinär sagte dazu: „Rinder sind stille Leider“. Man könne nicht so einfach erkennen, ob das Tier Schmerzen leide. Symptome könne man erkennen, wenn man mit der Hand an den Nabel fasse, dann zucke das Tier zurück; eventuell trete Fieber auf; das Tier frisst und säuft nicht mehr. Klaus-Martin Rogg, einer der Verteidige­r, bezweifelt­e, dass sein Mandant dies habe erkennen müssen. Zudem sei eine regelmäßig­e tierärztli­che Versorgung und Kontrolle erfolgt. Allein im September und Oktober 2019 wurden Tierarztre­chnungen in Höhe von zirka 750 Euro fällig. Auch war zu diesem Zeitpunkt das Veterinära­mt zweimal auf dem Hof und habe das kranke Kalb nicht bemerkt.

„Über den Bereich der Spekulatio­n kommen wir hier nicht hinaus“, so Richter Hussels-Eichhorn in seiner Urteilsbeg­ründung. Die Berufung der Staatsanwa­ltschaft wurde verworfen. Die Staatskass­e trägt die Kosten der Berufung.

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SYMBOLFOTO: JAN WOITAS/DPA Ob ein Kalb leidet, istvon außen schwer zu erkennen.

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