Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Rinder sind stille Leider“
Auch in der Berufungsverhandlung werden Tierhalter freigesprochen
- Woran erkennt man, ob ein Kalb leidet? Mit dieser Frage musste sich die Berufungskammer des Landgerichtes Ravensburg auseinandersetzen. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anklage drei Personen aus dem Landkreis Ravensburg vorgeworfen, sie hätten einem Kalb die notwendige tierärztliche Behandlung nicht zukommen lassen. Dadurch habe das Tier längere und andauernde Schmerzen erleiden müssen. Die Verhandlung endete mit einem Freispruch. Auch das Amtsgericht Ravensburg war im September 2021 schon zu diesem Urteil gekommen. Doch vieles bleibt im Bereich der Spekulationen.
Der Vorsitzende Richter, Martin Hussels-Eichhorn hatte schon zu Beginn
der Sitzung den Beteiligten angeboten, das Verfahren gegen Zahlung einer geringen Geldstrafe an eine gemeinnützige Organisation einzustellen. Die Staatsanwaltschaft stimmte dem Vorschlag jedoch nicht zu. So begann die mühsame Befragung der Zeugen, die sich an die Ereignisse,
die sich vor dreieinhalb Jahren, im September und Oktober 2019, auf dem Hof ereignet hatten, erinnern sollten. Begonnen hatte die Verhandlung um 8.30 Uhr – als das Urteil endlich um 18 Uhr gefällt war, blieb vieles im spekulativen Bereich. Der Jahrhunderte alte Hof wurde bis 2017 vom Sohn betrieben. Diesem wurde ein Tierhalteverbot erteilt. Um zu „retten, was zu retten war“, gründeten seine beiden Geschwister im Januar 2018 eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) und führten den Hof nebenberuflich weiter. Dabei fühlten sie sich durch zahlreiche Kontrollen des Veterinäramtes schikaniert. Sie erhielten im Juli 2021ein Rinderhaltungsverbot. Alle Tiere wurden abgeholt und an Viehhändler veräußert. Allerdings ist dieses Urteil bis jetzt noch nicht rechtskräftig.
Im konkreten Fall wurde ein Tierarzt zur Begutachtung eines Kalbes auf den Hof gerufen. Dieser stellte am 25. September 2019 eine Nabelentzündung fest, die er mit Antibiotika und Schmerzmitteln behandelte. Bei einem weiteren Besuch Anfang
Oktober stellte er keine Besserung fest und verordnete ein anderes Antibiotikum. Das Kalb verendete wahrscheinlich am 16. Oktober und wurde in die Tierkörperbeseitigungsanstalt verbracht. Dort wurde eine Untersuchung des toten Tieres vorgenommen und man stellte unter anderem fest, dass das Tier an Abszessen an der Leber, Entzündungsprozessen im Bauchraum und an Gelenkentzündungen gelitten hatte. Alle Fettreserven waren aufgebraucht. Daraufhin erfolgte die Anzeige.
Hätten die Tierhalter erkennen müssen, dass das Kalb gelitten habe? Eine schwer zu beantwortende Frage. Selbst der Veterinär sagte dazu: „Rinder sind stille Leider“. Man könne nicht so einfach erkennen, ob das Tier Schmerzen leide. Symptome könne man erkennen, wenn man mit der Hand an den Nabel fasse, dann zucke das Tier zurück; eventuell trete Fieber auf; das Tier frisst und säuft nicht mehr. Klaus-Martin Rogg, einer der Verteidiger, bezweifelte, dass sein Mandant dies habe erkennen müssen. Zudem sei eine regelmäßige tierärztliche Versorgung und Kontrolle erfolgt. Allein im September und Oktober 2019 wurden Tierarztrechnungen in Höhe von zirka 750 Euro fällig. Auch war zu diesem Zeitpunkt das Veterinäramt zweimal auf dem Hof und habe das kranke Kalb nicht bemerkt.
„Über den Bereich der Spekulation kommen wir hier nicht hinaus“, so Richter Hussels-Eichhorn in seiner Urteilsbegründung. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten der Berufung.