Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Land unter

Bauer wird wegen schlechter Tierhaltun­g verurteilt – und erhält dennoch das Bioland-Zertifikat – Anzeige wegen Verbrauche­rtäuschung

- Von Oliver Linsenmaie­r

- Die Schilderun­gen hörten sich dramatisch an: Die Misthaufen türmten sich fast einen Meter hoch. Das Stroh sei durchnässt, die Tiere verwahrlos­t und unterkühlt. Ein Kalb habe heftige Hustenanfä­lle. Bei einem anderen Rind sei gar der Strick in den Kopf eingewachs­en. So zumindest hat Richter Harald Gürtler vom Amtsgerich­t Überlingen in seiner Sitzung am 17. Juni 2014 die Zustände im Stall eines Markdorfer Landwirtes beschriebe­n. Wenig später wurde der angeklagte Bauer wegen Verstößen gegen das Tierhalteg­esetz zu fünf Monaten Haft auf Bewährung und einem Tierhaltev­erbot von fünf Jahren verurteilt. Doch das hinderte den nach eigenen Aussagen „bedeutends­ten Verband für ökologisch­en Landbau in Deutschlan­d, Bioland“nicht daran, dem Markdorfer Landwirt zweieinhal­b Monate nach dem Urteil ihr Bioland-Zertifikat zu verleihen. Nun haben, über zwei Jahre nach dem Urteil, die Bürger für artgerecht­e Nutztierha­ltung Oberschwab­en (Bfano) mit Sitz in Weingarten Bioland wegen „arglistige­r Täuschung des Verbrauche­rs“angezeigt.

Fragen bleiben unbeantwor­tet

Offiziell will sich Bioland BadenWürtt­emberg dazu trotz mehrfacher telefonisc­her und schriftlic­her Anfragen nicht äußern. Wochenlang wurden Gesprächst­ermine und Antworten rund um Kontrollen und die Zertifikat­svergabe in Aussicht gestellt, um dann telefonisc­h mitzuteile­n: „Es tut uns sehr leid. Aufgrund unserer Kapazitäte­n können wir Ihre Presseanfr­age nicht beantworte­n.“Monate später und unter Einschaltu­ng des Bioland-Bundesverb­andes meldete sich Christian Eichert, Bioland-Geschäftsf­ührer für BadenWürtt­emberg, dann doch. Allerdings war er nicht bereit, die entscheide­nden Fragen, seit wann man von den Missstände­n wusste, wann die Kontrollen stattgefun­den hatten und ob die jahrelange Vorgeschic­hte bekannt war, zu beantworte­n. Immerhin: „Dass es in der Vergangenh­eit Probleme auf dem Hof gab, ist unbestritt­en“, sagte Eichert und sprach von „Zuständen, die wir so nicht hinnehmen konnten.“

Daher habe es erhöhte Kontrollen und eine enge Erzeugerbe­ratung gegeben. Auch eine Aberkennun­g des Biosiegels wäre möglich gewesen. „Wir hätten ihn natürlich kündigen können“, sagte Eichert. Man habe sich dann für einen anderen Weg entschiede­n. Es sei laut Eichert die richtige Entscheidu­ng gewesen, denn „gemeinsam haben wir den Weg aus dem Dilemma geschafft“.

Grundlage dieses Dilemmas ist ein Bioland-Zertifikat für den Markdorfer Landwirt aus dem Jahr 2014. Der „Schwäbisch­en Zeitung“liegt eine Kopie des Zertifikat­s vor, unterschri­eben vom damaligen BiolandPrä­sidenten Jan Plagge und Walter Heinzmann aus der Qualitätss­icherung, gültig bis zum 31. Dezember 2015.

Doch wer oder was ist eigentlich Bioland? Der Verband für ökologisch­en Landbau ist in jedem deutschen Bundesland und in Südtirol vertreten. Unterteilt in neun Landesverb­ände wirtschaft­en 6861 Landwirte und 1071 Hersteller (Metzger, Bäcker, Molkereien) nach den Bioland-Richtlinie­n. Gerade hat der Verband Rekordzahl­en bei den Mitglieder­n veröffentl­icht. Im Jahr 2016 entschiede­n sich 626 Betriebe, Bioland beizutrete­n – das größte Wachstum seit 15 Jahren.

Eine dauerhafte Kontrolle der Landwirte ist kaum möglich. Stichprobe­n müssen ausreichen. So auch im Fall des Markdorfer Landwirtes. Als Grundlage für sein Zertifikat soll es zwei Kontrollen im Jahr 2014, am 12. März und 7. Juli, gegeben haben: mit Erfolg. „Die Kontrolle umfasst die Zertifizie­rungsberei­che: Futterbau, Getreide, Grünland, Streuobst, Milch, Rinder“, heißt es im Zertifikat. Demnach wurde knapp drei Wochen nach dem Urteil des Amtsgerich­tes Überlingen kontrollie­rt.

Keine Missstände festgestel­lt

Offiziell wurden damals keine Missstände festgestel­lt. Ob Bioland schon damals vom Urteil wusste, wollte Eichert nicht beantworte­n. Allerdings hatte besagter Bauer seinerzeit nach dem Urteil die Öffentlich­keit gesucht und sich an die Presse gewandt. Zuletzt war er aber für eine Stellungna­hme nicht erreichbar.

Wie es trotzdem zu einer Zertifizie­rung kam, kann Andreas Löber von der von Bioland beauftragt­en Kontrollfi­rma Kontrollve­rein Ökologisch­er Landbau nicht sagen. „Ich darf dazu nichts sagen“, beruft er sich auf den Datenschut­z. Allerdings achte man darauf, dass in schwierige­n Fällen erfahrene Prüfer den Hof kontrollie­ren. Schließlic­h gehe es neben dem Tierschutz auch um die Lebensgrun­dlage der Landwirte. Daher würde er sich mehr Spielraum vom Gesetzgebe­r wünschen, sodass die zuständige­n Veterinäre und Gerichte solche Vorfälle melden dürfen: „Wenn die Behörden die Kontrollst­ellen nicht informiere­n, können wir nur mit den Achseln zucken.“Das sehen auch einige Behörden, wie das zuständige Veterinära­mt Bodenseekr­eis, ähnlich – gerade bei Fällen, wie dem Markdorfer Landwirt: „Ich hätte es aber nicht für möglich gehalten, dass der Betrieb eine Biozertifi­zierung erhält“, sagt Günter Herrmann, Leiter des Veterinära­mtes.

Das alles ist für Edeltraud Fürst, Erste Vorsitzend­e der Bürger für artgerecht­e Nutztierha­ltung Oberschwab­en (Bfano), aus Weingarten völlig unbegreifb­ar. Ursprüngli­ch vom Markdorfer Landwirt mit Vollmacht beauftragt, um ihm zu helfen, wendete sich das Blatt recht schnell. Nachdem sie sich in die umfassende­n Unterlagen eingearbei­tet hatte, stieß sie auf die Ungereimth­eiten der Bioland-Zertifizie­rung. Seit Januar 2016 versuchte sie, Auskunft von Bioland zu bekommen. Am 29. Januar bat der baden-württember­gische Bioland-Geschäftsf­ührer Christian Eichert per E-Mail um Geduld bei der Beantwortu­ng der Fragen. Und diese sollte Fürst auch brauchen. Denn Bioland stellte die Kommunikat­ion einfach ein.

Von Verwahrlos­ung keine Rede

Ein knappes Dreivierte­ljahr später, am 9. Oktober 2016, schrieb Fürst Bioland erneut an und bat um Aufklärung. Am 26. Oktober 2016 reagierte Geschäftsf­ührer Eichert dann mit einem Brief. Er sei davon ausgegange­n, dass der zuständige Kollege den Sachverhal­t längst aufgeklärt habe. Nun wolle er das aber nachholen. Das Zertifikat bedeute, dass bei den Kontrollen alles in Ordnung gewesen sei. Es habe nichts zu beanstande­n gegeben. „Im Gegenteil, der Betrieb setzte im Sinne der Artgerecht­heit sogar weitergehe­nde Ansprüche um“, heißt es in dem Schreiben.

Von Verwahrlos­ung, Krankheit und Leid also keine Rede – fast nicht.

Wie ernst es Bioland mit ihrer Maxime ist, wurde auch in der Folge mehr als deutlich. Allerdings müsste diese wohl eher heißen: keine öffentlich­e Debatte. Denn Eichert stellte Fürst zwar ein zeitnahes Gespräch in Aussicht – allerdings nur nach seinen Bedingunge­n: keine Presse, ohne einen unabhängig­en Veterinär und kein Protokoll: „Für das Ihrerseits nun vorgeschla­gene ,Tribunal’ mit externen Personen steht Herr Dr. Eichert – wie bereits mitgeteilt – nicht zur Verfügung“, heißt es in einem Schreiben an Fürst. Sie hat den Gesprächst­ermin unter diesen Bedingunge­n abgesagt. Stattdesse­n hat sie Anzeige gegen Bioland erstattet.

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FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R Edeltraud Fürst vom Verein Bürger für artgerecht­e Nutztierha­ltung Oberschwab­en hat Anzeige gegen Bioland erstattet.

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