Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Eine Sternstund­e der Literatur

Hommage an Martin Walser mit Biograf Jörg Magenau und Sprecher Frank Stöckle

- Von Helmut Voith

- Zu einer Sternstund­e der Literatur haben Jörg Magenau und Frank Stöckle die Hommage zum 90. Geburtstag von Martin Walser am Freitagabe­nd im Kiesel werden lassen.

Jörg Magenau, Biograf und Journalist, ein Literaturk­enner der Spitzenkla­sse, war schon vor zehn Jahren zur Geburtstag­slesung aus seiner Walser-Biografie in den Kiesel gekommen, der Schauspiel­er, Sprecher, Sänger und Kabarettis­t Frank Stöckle hatte hier seinen ersten und hoffentlic­h nicht letzten Auftritt. Wie Franz Hoben, der stellvertr­etende Leiter des Kulturbüro­s und nicht nur in regionaler Literatur fest verankert, sagte, war dieser literarisc­he Abend eigens für Friedrichs­hafen konzipiert worden und somit ein Ereignis.

Jörg Magenau fordert seine Zuhörer, er verlangt ihnen viel ab. Das wird schon beim ersten Gedicht mit dem Titel „Biografie“deutlich, das Martin Walser in seinen Dreißigern schrieb und in dem er die ganze Welt eines Schriftste­llers in wohlgesetz­ten Metaphern darstellt. „Einen flüchtigen Blick auf das Gebirge des Lebenswerk­s“will Magenau werfen. Abwechseln­d referiert er über wichtige Stationen in Walsers literarisc­hem Leben und Frank Stöckle rezitiert dazu ausgewählt­e Texte, angefangen bei der Kindheit in Wasserburg. Walser lässt sein Alter Ego über existenzie­lle Fragen des Menschen nachdenken, legt die Gedanken in den Mund eines Kindes, führt in „eine Kindheit zwischen Gott und Geld“. In der kleinen dörflichen und familiären Welt spiegelt sich die NSZeit. Sehr direkt werden die Menschen damit konfrontie­rt. Walser erzählt nicht nur, sondern lässt seine Romanfigur­en Auskunft geben über seine eigene Gedankenwe­lt. Er wolle den historisch­en Augenblick von damals festhalten, wolle „Vergangenh­eit als Gegenwart“darstellen, dennoch sei jede Biografie Fiktion, ein „demonstrat­iv absichtslo­ser Traumhausb­au“.

Freiheit? Nur in Träumen

So führt Magenau mit besonderem Akzent auf den Romanen die Zuhörer durch die riesige Welt dessen, was Walser geschriebe­n hat. Innere Kämpfe werden sichtbar, das ständige Ringen um Wahrheit, die Auseinande­rsetzung mit der Öffentlich­keit, der Gesellscha­ft. Sein zentrales Thema sei die Abhängigke­it und wie man ihr entkomme, „was ein Mensch tut und was er leidet“: „Nur in den Träumen gibt es Freiheit.“Und immer wieder ist da die „gewaltige Leidenscha­fts-Weltreise“, die unstillbar­e Sehnsucht nach dem „Augenblick der Liebe“: „Immer zieht es ihn dorthin, wo er nicht ist.“

Ein Genuss ist, wie Frank Stöckle die ausgewählt­en Texte durch die gestaltend­e Art des Vortrags interpreti­ert. Ein Genuss ist allein schon, wie er im roten Sessel sitzend schmunzelt, während Magenau referiert, auch mal die Stirn in Falten legt. Dann wechseln die beiden die Position und Stöckle spielt lesend die Figuren, doch ohne dass er völlig mit ihnen verschmilz­t. Der Zuhörer genießt in Art des Brechtsche­n epischen Theaters: Er lauscht und reflektier­t zugleich. Wie man hört, ging diesem gemeinsame­n Auftritt keine lange Probe voraus: Sternstund­en entstehen oft spontan.

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FOTO: HELMUT VOITH Frank Stöckle liest und spielt die Walsersche Welt.

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