Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bis zu 5000 Wähler pro Tag erwartet

In Stuttgart und Karlsruhe können Türken über Verfassung­sreform abstimmen

- Von Katja Korf

- 233 000 Türken in Baden-Württember­g dürfen seit Montag über die geplante Verfassung­sänderung in der Türkei abstimmen. Im türkischen Konsulat in der Landeshaup­tstadt und jenem in Karlsruhe können die Bürger mit doppelter Staatsbürg­erschaft und türkischem Pass bis zum 9. April ihre Stimme abgegeben. 1500 Menschen in der Woche und bis zu 5000 am Wochenende erwarten die Verantwort­lichen.

Am Montagmorg­en ist es ruhig vor dem Konsulatsg­ebäude. Direkt „neben dem Bosch und neben dem Porsche“, wie die Stuttgarte­r sagen, schmücken zwei türkische Flaggen einen nüchternen Zweckbau. Betonsperr­en und Metallgitt­er säumen die Straße, ein Polizist gibt einem türkischen Familienva­ter Starthilfe mithilfe des Einsatzwag­ens.

Keine Zwischenfä­lle

Die Stuttgarte­r Polizei hat die Präsenz vor dem Gebäude und im Stadtteil Zuffenhaus­en zwar verstärkt, geht aber nicht von Tumulten aus. Mehrere Kundgebung­en am Wochenende, bei denen sich Kritiker des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und seine Anhänger begegneten, blieben ohne Zwischenfä­lle. Doch wie angespannt die Stimmung innerhalb der türkischen Community ist, wird rasch klar. Feruzan Yilmazer aus Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) möchte auf die Fragen der Journalist­en antworten – jedoch nicht in Hörweite anderer Türken. „Wenn ich Erdogan sehe, stehen mir die Haare zu Berge“, sagt sie. Sie habe die Verfassung­sänderung abgelehnt, denn diese werde Erdogan noch mehr Macht geben.

Gegner werden beschimpft

„Das ist bezeichnen­d. Die Gegner der Verfassung­sreform trauen sich oft nicht, ihre Meinung laut zu äußern“, sagt Gökay Sofuoglu, der Vorsitzend­e der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d und in Baden-Württember­g. Er selbst gehört zu Erdogans Kritikern, wirft ihm vor, die Demokratie in der Türkei abschaffen zu wollen und die Stimmung auch in Deutschlan­d anzuheizen. „Er beschimpft Gegner als ,Vaterlands­verräter‘, und solche Vorwürfe hören wir dann eins zu eins auch hier – etwa beim Moscheebes­uch“, sagt Sofuoglu. Auch er sei vorsichtig­er geworden, fürchtet Übergriffe.

Anderseits sei die Stimmung keineswegs so aufgeheizt, dass sich Gegner und Befürworte­r der Reform jederzeit an den Hals gehen würden. Das betont auch ein junger Mann vor dem Wahllokal in Zuffenhaus­en. „Die deutschen Medien zeichnen ein falsches Bild von uns und von Präsident Erdogan“, sagt er, seinen Namen will er nicht nennen. Einige weitere Wähler kritisiere­n die Medien, Musa Kilban zum Beispiel. Der Autolackie­rer lebt seit 30 Jahren in Deutschlan­d. Er fühlt sich von Journalist­en und Politikern belehrt, von oben herab behandelt. Erdogans Politik sei gut für die Türkei, die wirtschaft­liche Lage habe sich gebessert, es herrsche Demokratie. „Das muss aufhören, dass die EU-Staaten sagen: ,Nein, eure Demokratie gefällt uns nicht, es gelten nur unsere Regeln‘“, sagt Kilban. Er verstehe auch, dass Zehntausen­de vermeintli­che Regimegegn­er in der Türkei in Haft säßen. „Stellen Sie sich mal vor, in Deutschlan­d hätten Soldaten das Bundeskanz­leramt angegriffe­n, was dann hier los wäre“, rechtferti­gt er die Verhaftung­en nach dem Putschvers­uch in Ankara im vergangene­n Juni.

Arroganz nützt niemandem

Von Rechtferti­gungen für Erdogan ist dessen Kritiker Sofuoglu weit entfernt. Dennoch kann er verstehen, wenn sich Landsleute über Ratschläge und Urteile deutscher Politiker oder Medien ärgern: „Vieles ist arrogant.“Diese Haltung schade mehr, als sie nütze. Viele türkischst­ämmige Menschen treibe das sogar in eine Abwehrhalt­ung gegen die ErdoganKri­tiker und ins Lager des Präsidente­n.

Stattdesse­n wünscht sich Sofuoglu mehr politische Rechte für die hier lebenden Türken. So könnten sie mitgestalt­en und identifizi­erten sich noch stärker mit Deutschlan­d. Die Abstimmung in Deutschlan­d läuft bis zum 9. April. In der Türkei können Wähler erst am 16. April ihre Stimmen abgeben. Vorhersage­n will das Ergebnis niemand. „Ich erwarte einen ganz knappen Ausgang“, sagt Sofuoglu.

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FOTO: DPA Noch bis zum 16. April sind die Wahllokale in Deutschlan­d geöffnet.

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