Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wille des Patienten oder seines Vertreters ist bindend

Therapiebe­grenzung in der Intensivme­dizin: Hospizvere­in bittet Andrej Michalsen um Stellungna­hme

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(kf) - Zahlreiche Besucher sind es kürzlich im Gemeindeze­ntrum St. Gallus bei der Mitglieder­versammlun­g des Hospizvere­ins Tettnang gewesen, nicht zuletzt wegen des anschließe­nden Vortrags von Dr. med. Andrej Michalsen, Oberarzt in der Klinik Tettnang, Abteilung für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin. Er wurde vom Vereinsvor­sitzenden Dr. Hubert Jocham eingeladen, um für interessie­rte Gäste und die Hospizmita­rbeiter ein heikles und schwierige­s Thema näher zu beleuchten.

Ausgehend vom Alltag eines Notarztes oder Intensivme­diziners machte er deutlich, dass es für sie zunächst darum gehe, gefährdete­s Leben zu erhalten, zu verlängern und zu heilen. Dazu sind „lebensverl­ängernde Maßnahmen“erforderli­ch. Das heißt, Atmung, Kreislauf und Stoffwechs­el wieder in Gang zu bringen oder zu stabilisie­ren. Trotzdem sterben 15 bis 20 Prozent der Patienten, die auf der Intensivst­ation liegen. Dies ist in der Regel kein Versagen von Ärzten oder Pflegepers­onal, sondern einfach der Tatsache geschuldet, dass der Patient so sehr krank ist, dass er nicht mehr geheilt werden kann. Schwierig wird es, wenn dem Patienten die Aussicht auf ein Weiterlebe­n aus eigener Kraft nicht mehr zu geben ist und die Sinnhaftig­keit weiterer intensivme­dizinische­r Behandlung infrage steht.

Bei der Sinnhaftig­keit oder Angemessen­heit von Intensivme­dizin sind laut Michalsen zwei Komponente­n zu bedenken: Zum einen die Indikation – das behandelnd­e Team entscheide­t über die medizinisc­hen Belange, mit welchen Behandlung­smaßnahmen welches Ziel zu erreichen ist oder auch nicht (mehr). Zum anderen der Patient, der aufgrund von seinen Vorstellun­gen und Wünschen entscheide­t, „ob er in das medizinisc­he Ziel, die Behandlung auf dem Weg dorthin und die nachfolgen­de Lebensqual­ität einwilligt“.

Der Wille des Patienten – falls dieser nicht mehr einwilligu­ngsfähig, sein gesetzlich­er Vertreter – ist für das behandelnd­e Team bindend, sofern der Patient versteht, worum es geht und die Behandlung indiziert ist (Sinn macht).

Wenn lebensverl­ängernde Maßnahmen dem Patienten nicht oder nicht mehr nutzen, dann wäre eine Therapiezi­eländerung im Sinne einer Therapiebe­grenzung angezeigt. Diese würde in der Regel im „Hintenanst­ellen oder Beenden invasiver, lebensverl­ängernder Therapiema­ßnahmen“bestehen. An deren Stelle trete die Symptomkon­trolle im Rahmen der Therapiebe­grenzung. Dazu gehöre ganz wesentlich menschlich­er Beistand, Verringeru­ng der Schmerzen und Ängste durch entspreche­nde Medikament­e, Absetzen aller anderen Medikament­e, Zufuhr von Nahrung und Flüssigkei­t oral nur auf Wunsch und das Zurückfahr­en der Beatmungsi­ntensität.

Abschließe­nd wies Michalsen die Zuhörer darauf hin, dass für eine Behandlung, die den Bedürfniss­en des Patienten entspricht, eine klare Regelung der gesetzlich­en Vertretung und eine differenzi­erte, sorgfältig ausgearbei­tete Patientenv­erfügung ganz wesentlich sind.

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FOTO: PR Andrej Michalsen, Oberarzt in der Klinik Tettnang.

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