Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Fett macht glücklich“
Warum unser Gehirn an Übergewicht Schuld ist, erklären die Mediziner Günther J. Wiedemann und Hans Bürger
Dick funktionieren normal, denn Fett macht glücklich und unser Gehirn braucht Zucker zum Denken. Das sagen Günther J. Wiedemann, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Onkologie in der Oberschwabenklinik in Ravensburg, und der Allgemeinmediziner und Internist Hans Bürger. Warum man sich trotzdem nicht mit Zucker vollstopfen sollte, das haben sie Karin Geupel im Interview erklärt.
Herr Wiedemann, Sie werden zusammen mit Herrn Bürger im Medienhaus in Ravensburg einen Vortrag zum Thema Fett und Hirn halten. Ich dachte bisher immer, das Hirn hat nur deshalb mit Fett zu tun, weil es mich mit meinem inneren Schweinehund davon abhält, Sport zu machen. Doch das ist nicht alles, oder?
Wiedemann: Es gibt den Begriff: „Selfish brain“. Das Hirn denkt nur an sich. Es will Glucose fressen und legt Fettdepots im Körper an. Davon lebt das Hirn, denn es braucht diese gespeicherte Energie zum Arbeiten. Das Gehirn ist gleichzeitig auch das einzige Organ, das Menschen belohnt und glücklich macht. Wir werden also vom Gehirn für das Aufnehmen von Fett und Zucker belohnt.
Heißt das, Fett macht glücklich?
Wiedemann: Ja. Fett macht glücklich. Wenn wir zum Beispiel einen Camembert essen, erkennt das Gehirn, dass darin viel Fett ist, es schüttet Belohnungshormone aus. So schmeckt uns der Camembert besonders gut. Es ist also völlig normal, dass der Mensch dick wird. Dicke sind nicht dumm, sondern bei ihnen funktioniert das Gehirn ganz normal. Eigentlich sind so gesehen die Dünnen eher krank. Der Körper ist der Kellner des Gehirns und schafft das Essen für das Hirn heran. Das Problem heutzutage ist einfach nur, dass wir in unserer Gesellschaft ein Überangebot haben. Wir kommen ganz einfach an unser Essen an, ohne uns groß dafür anstrengen zu müssen. Bürger: Das ist genau das Problem. Wir haben zu viel Input, essen also zu viel und bewegen uns im Vergleich dazu zu wenig.
Wenn ich aber, wie viele Arbeitnehmer, mehr als acht Stunden am Tag im Büro arbeite und mich danach noch mit meiner Familie beschäftigen will, wie kann ich mich trotzdem ausreichend bewegen?
Bürger: Es reicht, wenn man in der Woche drei Stunden, also täglich etwa 30 Minuten Sport macht. Dazu zähle ich aber auch schon, wenn jemand mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, oder in flottem Schritt zur Arbeit geht. Es kann außerdem helfen, wenn der Drucker im Büro nicht auf dem selben Stockwerk steht. Dann ist man gezwungen regelmäßig von seinem Stuhl aufzustehen und Treppen zu laufen. Man sollte auch nie den Aufzug nehmen. Man kann den Sport aber auch akkumulieren und zum Beispiel am Wochenende drei Stunden eine Fahrradtour machen oder Tanzen gehen. Wichtig ist, dass es Spaß macht. Gleichzeitig sollte man natürlich auch auf seine Ernährung achten. Süße Getränke, ob Fruchtsaft oder Spezi, enthalten viel zu viel Zucker. Am Besten ist es, einfach Wasser oder ungesüßten Tee zu trinken.
Heißt das, dass ich mich in der Mittagspause nicht mal mit einem Schokoriegel belohnen darf, wenn ich gerade viel Stress habe?
Bürger: Belohnen darf man sich natürlich. Das geht aber auch anders, als mit einem Schokoriegel, zum Beispiel mit einem Stück Camembert. Oder warum nicht einfach ein Stück Obst. Zu einer gesunden Ernährung gehören sowieso fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag. Insgesamt gilt: Eine kalorienbeschränkte, ballaststoffreiche Ernährung mit wenig rotem Fleisch, viel pflanzlichen Bestandteilen - und Alkohol nur in Maßen. Ich appelliere da an die Verantwortung eines jeden für sich selbst.
Was halten Sie von Diäten?
Bürger: Da ist jede Woche eine andere modern. Am Besten ist das SelbstMonitoring mit der Waage oder dem Maßband. Das ist einfach und da kann man Erfolge sofort sehen. Wichtig ist aber auch, das Gewicht zu halten. Wenn man viel abgenommen hat, bekommt man von allen Seiten Anerkennung. Man sollte sich selbst, die Kollegen und Freude auch einmal für das schlank bleiben loben. Außerdem bin ich dafür, bei den Menschen im Bezug auf ihre Figur für Entspannung zu sorgen. Manche Leute hassen sich regelrecht, bloß weil sie nicht abnehmen. Aber wenn man ein paar Rundungen hat, ist das doch nicht schlimm. Das ist doch schöner, als wenn man ein Strich in der Landschaft ist.
Ab wann weiß ich selbst, dass ich zu dick bin?
Bürger: Ich kann mit dem Maßband meinen Taillen-Hüft-Umfang messen. Also der Umfang zwischen Hüftknochen und unterem Rippenbogen. Der sollte bei Frauen die 88 Zentimeter und bei Männern die 102 Zentimeter nicht überschreiten. Jeder sollte einfach ein bisschen im Gefühl haben, wenn er einen Bauch bekommt.
Ist ein dicker Bauch schlimmer als ein dicker Po?
Wiedemann: Ja. Das Fett am Bauch setzt bei seinem Abbau entzündungsfördernde Substanzen frei wodurch das Risiko von Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen erhöht wird. Zudem sorgt es mechanisch für Druck auf die Organe, was ebenfalls nicht gut ist. Die Reiterhosen sind dagegen anlagebedingt und unter gesundheitlichen Aspekten unproblematisch.
Wenn ich an Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck leide, hilft da auch eine Ernährungsumstellung?
Wiedemann: Die Ursache von Typ 2 Diabetes und Bluthochdruck ist identisch, nämlich: Muskuläre Insulinresistenz. Das ist vererbt und wird durch Bewegungsmangel und Fehlernährung verstärkt. Glucose, also Zucker, wird mittels Insulin in die Muskulatur transportiert, wo sie mit Sauerstoff verbrannt wird und so Energie bringt. Bei muskulärer Insulinresistenz reagieren die Zellen nicht mehr richtig auf das Insulin. Man braucht immer mehr Insulin, um den Zucker in die Muskelzellen zu transportieren. Wegen der ständigen Überproduktion erschöpft sich die Bauchspeicheldrüse irgendwann. Fettzellen geben verschiedene Stoffe, wie zum Beispiel Stresshormone ab, durch die Insulinempfindlichkeit der Zellen mit der Zeit herabgesetzt wird, man bekommt muskuläre Insulinresistenz und damit Diabetes und Bluthochdruck. Bürger: Wenn der Blutdruck wegen Übergewicht zu hoch ist, dann muss man auch präventiv denken. Da helfen nicht nur Medikamente sondern eben auch eine andauernde Ernährungsumstellung und Bewegung.