Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Von Beichtgeheimnissen und Gespenstern
Lorenz Göser und Elmar Kuhn führen gut 40 Wanderer auf den Spuren von Martin Walser
- Bei wunderschönem Frühlingswetter sind am Sonntag gut 40 Literaturfreunde auf Martin Walsers Spuren durch das Kressbronner Hinterland gewandert: von Kressbronn über Gattnau und Poppis nach Kümmertsweiler zur „Frohen Aussicht“und durchs Nonnenbachtal wieder zurück.
An Stationen, die mit Walsers Helden zu tun haben, haben Elmar Kuhn und Lorenz Göser die passenden Textstellen gelesen – eigentlich fast wie kürzlich bei der gemeinsamen Lesung aus ihrem Buch „Nirgends wäre ich lieber als hier“in der Buchhandlung Lesbar. Dort hat man jedes Wort ohne Schwierigkeiten verstanden, in der Natur hieß es dagegen die Ohren spitzen.
Glockengeläut lässt improvisieren
Und das schon bei der Begrüßung der munteren Wandererschar um 10 Uhr hinter dem Kressbronner Rathaus, denn kaum setzte Lorenz Göser zur Einführung an, begrüßte feierliches Geläut die Erstkommunikanten. Spontan schob Göser einen wichtigen Text über die Erstkommunion seines Helden aus dem „Springenden Brunnen“ein.
Improvisiert wurde noch öfter an diesem Tag. Lorenz Göser ist ein so leidenschaftlicher Walser-Fan, dass es ihm um jedes noch so kleine Zitat leidtut, das er weglassen muss. Elmar Kuhn bleibt dagegen hart am Konzept, und das tut fast allen gut. Unmöglich, hier alle zitierten Stellen auch nur zu erwähnen. Köstlichkeiten sind darunter wie die Beichte der Mutter in der Kirche in Gattnau. Eigentlich grenzt es an Erpressung, wenn Augusta im „Springenden Brunnen“im Beichtstuhl sagt, sie wolle ins Kloster gehen, falls der ersehnte Obsthändlersohn wieder nicht sein Fahrrad an die Hecke vor dem Haus gelehnt habe – sieben Samstage in Folge hat sie vergeblich nach ihrem Verehrer Ausschau gehalten. Der Rest ist schnell erzählt: Das Rad steht wieder da – und ein Jahr später haben Walsers Eltern geheiratet. Andächtige Blicke richteten sich auf die schöne Hecke.
Bestaunt wurde auch der ehemalige Platz für die „Miste“, auf dem der Chauffeur Xaver Zürn immer den 450er Mercedes seines Chefs Dr. Gleitze parkte. Literatur am Originalschauplatz, das erzeugt bei so manchem ein andachtsvolles Prickeln, es hat auch etwas Weihevolles an sich.
Mit an Bord: Ralph Kolars
Herrlich war dann der Gang hinunter zum Nonnenbach mit seinen Erlen und weiter zur wunderbar gelegenen Antoniuskapelle, wo Anselm aus „Das Einhorn“der Orli das „Seeplusalpenpanorama“schenkt – nur ein kurzer Abstecher nach Bayern, dann ging es über den Nonnenbach zurück, wo Ralph Kolars einen kleinen Text ganz im Walser-Ton zum Besten gab.
Bald war das Gasthaus „Rössle“in Gattnau erreicht, wo die Wanderer mit dem „Gespenst von Gattnau“Bekanntschaft machten und Lorenz Göser mit einer abschließenden Würdigung des nunmehr 90-jährigen Dichters Martin Walser ein Highlight für Literaturfreunde zum Abschluss brachte.