Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Terror: Wenn Ärzte an ihre Grenzen stoßen
Fortbildungsveranstaltung für Rettungskräfte im Elisabethen-Krankenhaus in Ravensburg
- Wie können sich Ärzte und Rettungskräfte auf die Behandlung vieler Opfer nach einem Terroranschlag vorbereiten? Bei einer Fortbildungsveranstaltung des Traumanetzwerks OberschwabenBodensee in Zusammenarbeit mit der Kreisärzteschaft Ravensburg am Elisabethen-Krankenhaus (EK) hat Bundeswehrarzt Benedikt Friemert aus Ulm erklärt, wie Terroristen vorgehen – und was Lebensretter dringend beachten müssen.
Der Islamische Staat hat seine Anhänger im Internet dazu aufgerufen, weiche Ziele in Europa anzugreifen und dabei möglichst viele Zivilisten zu töten. (Religiöse) Feste, Restaurants, selbst Krankenhäuser werden ausdrücklich als Objekte für Attacken genannt. Zwar erscheint die Wahrscheinlichkeit gering, dass auf dem Weingartener Blutritt oder dem Ravensburger Rutenfest etwas passiert, weil Anschläge in europäischen Hauptstädten wie Paris, London oder Berlin mehr Aufmerksamkeit erregen, aber ganz auszuschließen ist die Gefahr nicht. Deshalb will auch das EK Handlungsanweisungen für den Notfall aufstellen, denn bislang wurde das Thema eher vernachlässigt.
Die Stimmung unter den Medizinern – es waren auch viele niedergelassene Ärzte da, die im Fall eines Terroranschlags die Versorgung der „normalen“Patienten mit Herzinfarkten und dergleichen übernehmen müssen – war am Ende der Fortbildung gedrückt. „Wenn auf uns so ein Einsatz zukommt, wissen wir im Grunde genommen gar nichts“, sagte Andreas Koch, Oberarzt für Unfallchirurgie am Krankenhaus Biberach. Er hat als einer der wenigen schon an einem Fortbildungskurs teilgenommen und warb dafür, dass die Arbeitgeber die Kosten übernehmen sollten.
Benedikt Friemert, der als Chirurg der Bundeswehr mehrere Afghanistan-Einsätze hinter sich hat, erläuterte, wie sich Terroranschläge von anderen Katastrophen unterscheiden. Letztere seien zwar auch schrecklich, aber immer zeitlich eng begrenzt. In Rammstein dauerte es 1998 nur 15 Sekunden vom Zusammenstoß zweier Flugzeuge bis zum Einschlag in die Menschenmenge, bei dem 800 Liter brennendes Kerosin auf die Zuschauer niedergingen. Es gab 70 Tote und 1000 Verletzte, die auf 46 Kliniken verteilt wurden, für die Helfer selbst bestand keine Gefahr.
Die Brandverletzungen waren zwar schrecklich, aber für die Ärzte kein Neuland. Anders sehe das bei Schussverletzungen aus, die in Deutschland wegen des beschränkten Zugangs zu Schusswaffen selten vorkommen, oder bei Opfern von Explosionen. Die Todesrate bei Attentaten mit Kriegsgerät ist höher, weil die Opfer sehr schnell verbluten. Deutsche Chirurgen haben so gut wie keine Erfahrungen damit.
Perfide Strategien
Anders als Unfälle oder Naturkatastrophen geschehen Terroranschläge nicht zufällig, und das ist laut Friemert der zweite große Unterschied. Sie müssen daher nicht auf einen Tatort beschränkt sein, wie die Attentate in Paris gezeigt haben. Um möglichst großes Chaos und Verwirrung zu stiften, würden Terroristen eher an mehreren Orten gleichzeitig oder kurz nacheinander zuschlagen. Wenn die Täter nicht gleich gefasst werden, kann sich die Angriffswelle über Tage hinziehen.
Eine perfide, aber sehr geläufige Strategie der Terroristen sei der sogenannte „Second hit“. Heißt: Nach der ersten Bombe wird mit zeitlichem Abstand eine zweite gezündet, um auch die Rettungskräfte zu töten, die an den Einsatzort eilen. Zum Glück explodieren diese zweiten Bomben nicht immer, man findet sie aber oft an Anschlagsorten. Unter anderem beim Boston Marathon 2004 oder in Brüssel 2016. Schwere Fehler haben die Rettungskräfte laut Friemert daher beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz begangen. Er zeigte ein Foto, auf dem der schwarze Lastwagen zu sehen war, mit dem Anis Amri in die Menschenmenge gefahren war. Direkt daneben hatten die Helfer ihre Einsatzwagen geparkt und ein Zelt für die Verletzten aufgebaut. „Ohne dass vorher jemand einen Blick in den Lkw geworfen hat. Er hätte mit 40 Tonnen Sprengstoff beladen sein können“, warnt Friemert.
Auch die Ärzte am EK müssten sich im Ernstfall völlig anders verhalten als sonst. Individualmedizin trete in den Hintergrund, wenn plötzlich sehr viele Opfer zum Teil zu Fuß in die Notaufnahmen strömen und nicht genug Personal da ist, um alle sofort und adäquat zu versorgen. Möglichst viele Leben zu retten habe den Vorrang vor der späteren Lebensqualität. „Ärzte müssen dann Entscheidungen treffen, die sie auch psychisch auf die Reihe kriegen müssen. Das sind dann Verhältnisse wie im Krieg.“
Nach dem Anschlag auf ein Krankenhaus in Kabul vor wenigen Wochen und dem ausdrücklichen Aufruf des IS, auch Krankenhäuser anzugreifen, sollten sich Kliniken besser schützen und über Securitys oder Metalldetektoren wie am Flughafen nachdenken, so das Fazit der Veranstaltung. Auf keinen Fall dürften bewaffnete Terroristen nach einem Anschlag als Patienten in die Klinik gelassen werden. Das lasse sich nur verhindern, indem man alle, die hereinwollen, schon vorher in einer Art Schleuse ausziehe. Jan-Ove Faust, Ärztlicher Geschäftsführer der OSK, sieht jetzt die Politik gefordert, die Übungen und Sicherheitsvorkehrungen zu finanzieren. Die zum Sparen gezwungenen Krankenhäuser könnten das nicht ohne Weiteres: „Das wird Geld kosten.“