Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Diesen Menschen fehlen die Glückshorm­one“

Prof. Dr. Borwin Bandelow, Experte für Angststöru­ngen, zum Tod von Linkin-Park-Sänger Chester Bennington

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- Der Tod von LinkinPark-Sänger Chester Bennington ist der zweite Suizid eines Rockstars innerhalb weniger Monate: Erst vor zwei Monaten brachte sich Soundgarde­n-Frontmann Chris Cornell um, der am Donnerstag 53 geworden wäre. Wieso Stars trotz oder gerade wegen ihrer großen Popularitä­t leiden und was sie zur Selbsttötu­ng treiben kann, erklärt Borwin Bandelow, Professor für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Universitä­t Göttingen, im Gespräch mit Daniel Drescher.

Viele Menschen denken: Rockstars sind berühmt und reich. Warum bringen sich Menschen, die scheinbar alles haben, trotzdem um? Was macht sie so unglücklic­h?

Viele Rockstars hatten einen ganz ähnlichen Lebenslauf wie Chester Bennington. Er hatte eine schwierige Jugend, die Eltern ließen sich scheiden, als er elf war. Er soll sexuell missbrauch­t worden sein und kurz nach der Scheidung der Eltern mit Drogen und Alkohol angefangen haben, darunter auch die ganz harten Sachen. Ich vermute, dass sein Suizid darauf zurückzufü­hren ist, dass er den Kampf gegen die Drogen aufgegeben hat. So ähnlich wie bei Robin Williams, der auch gemerkt hat, dass er nicht dagegen ankommt.

In ihrem Buch „Celebritie­s: Vom schwierige­n Glück, berühmt zu sein“stellen Sie die These auf, dass nicht der Ruhm den Menschen verändert, sondern dass Stars berühmt werden, weil sie anders sind. Welche Form des Anderssein­s ist besonders prädestini­ert dafür, Anklang bei der Masse zu finden?

Chester Bennington hat sehr früh angefangen, an seiner Karriere zu arbeiten. Das ist typisch: Meine Theorie ist, dass Menschen mit emotional instabilen Persönlich­keiten, wie wir das nennen, dazu neigen, Drogen zu nehmen und auch partnersch­aftliche Probleme haben. Sie neigen zu Depression­en und Suizidgeda­nken, aber sie suchen auch nach Aufmerksam­keit. Wenn das bereits im Kindedie salter anfängt, wird man der bessere Künstler, denn man weiß, was bei den Menschen ankommt und macht die bessere Musik, weil man die ganze Zeit auf nichts anderes ausgericht­et ist, als möglichst gut auf das Publikum zu wirken. Chester Bennington­s Stimme würde man nicht als schön bezeichnen, aber das Zerbrechli­che, aber auch das Aggressive, das ist genau das, was das Publikum schätzt. Solche Menschen können authentisc­her und gefühlvoll­er auftreten, mit ihren zerbrechli­chen Persönlich­keiten kommen sie an und werden zu Superstars. Anders zu sein allein, das reicht nicht. Man muss auch den Nerv der Zeit treffen.

Sind äußere Faktoren also völlig unwichtig für das Empfinden von Glück und Unglück?

Der normale Mensch denkt: Der hat ja alles gehabt, das ganze Geld, fast 60 Millionen Fans bei Facebook, er hatte eine sehr hübsche Frau und konnte sich praktisch jeden Partner aussuchen, den er haben wollte. Warum wollen solche Menschen aus dem Leben scheiden? Ich habe eine neurobiolo­gische Theorie dazu aufgestell­t. Diesen Menschen fehlen die Glückshorm­one, sie haben zu wenig davon im Blut. Es fängt früh an, dass man auf der Jagd nach Endorphine­n ist. Diese bekommt man zum Beispiel, indem man Drogen nimmt, denn Rauschmitt­el wirken direkt an den Rezeptoren. Damit lässt sich der eklatante Mangel an Endorphine­n ausgleiche­n. Andere Möglichkei­ten sind viel Sex oder die Aufmerksam­keit, die man als Star auf der Bühne bekommt.

Wir reden heute offener über Depression­en, aber trotzdem gilt psychische Krankheit immer noch als Stigma. Was muss passieren, damit dieses Thema weiter enttabuisi­ert wird?

Es ist nach wie vor so, dass sich nur 50 Prozent der Menschen, die Depression­en haben, in Behandlung begeben. Der Hauptgrund ist oft, dass sie sich nicht die Blöße vor Verwandten und Angehörige­n geben wollen, denn kein Mensch möchte zugeben, dass etwas in seinem Kopf nicht in Ordnung ist. Aus der heutigen Sicht eines Psychiater­s ist das eine ganz normale Krankheit wie eine Lungenentz­ündung auch, man kann sie mit Medikament­en behandeln. Es ist kein Zeichen des persönlich­en Versagens, wenn man Depression­en hat.

Inwiefern sollte über den Suizid einer bekannten Persönlich­keit überhaupt berichtet werden? Besteht die Gefahr der Nachahmung?

Inzwischen findet man in den Zeitungen und Artikeln online oft einen Absatz mit einer Telefonnum­mer, an man sich bei Suizidgeda­nken wenden kann. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber man kann heute solche Nachrichte­n gar nicht verschweig­en, da sie sich ohnehin über Internet und soziale Netzwerke verbreiten. Die Menschen wollen wissen, warum jemand gestorben ist. Zeitungen müssen darüber berichten und es wird leider auch immer einen Nachahmere­ffekt geben. Aber es gibt vielleicht auch einen Effekt der Gewöhnung, mein Eindruck ist, dass die Menschen heute nicht mehr so geschockt von Suiziden sind wie zu Zeiten von Goethes Werther.

Was können Verwandte und Freunde unternehme­n, wenn sie Suizidalit­ät bei jemandem vermuten?

Auf jeden Fall sollte man versuchen, den Betroffene­n in psychiatri­sche Behandlung zu bringen. Ob es nur ein Heischen nach Aufmerksam­keit ist oder ob es konkrete Suizidplän­e sind, kann nur jemand mit Fachkenntn­is entscheide­n. Es kann nötig sein, dass man den Angehörige­n gegen dessen Willen einem Psychiater vorstellt – auch wenn das persönlich­e Vertrauens­verhältnis dadurch für Jahre kaputt ist.

Chester Bennington ist nicht der erste und sicher nicht der letzte Star mit diesem Schicksal ....

Linkin Park gehören zu den bekanntest­en Bands überhaupt. Es trifft immer genau diese Megastars wie Micheal Jackson, Whitney Houston und Elvis Presley. Das sind aber eben auch die besten Musiker. Dazu, warum das Publikum dieses Stars so liebt, habe ich eine Theorie: Jeder hat in sich ein heimliches Bedürfnis, so ein wildes Leben zu führen, Sex, Drugs and Rock’n’Roll eben. Doch die meisten können sich das aus gesellscha­ftlichen Gründen nicht leisten. Der Rockstar lebt genau das für uns aus.

 ?? FOTO: THOMAS MELCHER ?? Linkin-Park-Sänger Chester Bennington während des Auftritts beim Southside Festival in Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) vor wenigen Wochen: Es war sein letzter Auftritt in Deutschlan­d.
FOTO: THOMAS MELCHER Linkin-Park-Sänger Chester Bennington während des Auftritts beim Southside Festival in Neuhausen ob Eck (Kreis Tuttlingen) vor wenigen Wochen: Es war sein letzter Auftritt in Deutschlan­d.

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