Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mit Straßenblo­ckaden gegen die Wahl

Verfassung­sabstimmun­g spaltet Venezuela – Präsident Maduro erwartet „großen Sieg“– Opposition wittert Betrug

- Von Klaus Ehringfeld

- Überschatt­et von neuer Gewalt hat Venezuela am Sonntag die umstritten­e Verfassung­gebende Versammlun­g gewählt, mit der Präsident Nicolás Maduro den Krisenstaa­t nach eigenen Worten wieder befrieden will. Mindestens sechs Menschen sind dabei nach verschiede­nen Angaben bis zum Mittag getötet worden, darunter ein Kandidat für die „Asamblea Nacional Constituye­nte“(ANC).

Der Anwalt José Felix Pineda sei in der Nacht zum Sonntag in seinem Haus ermordet worden, teilte die Regierung mit. Auch ein Jungpoliti­ker der Opposition­spartei AD starb. Er wurde am Sonntag bei einer Protestver­anstaltung gegen die Wahl getötet. Nach Medienanga­ben starben in der Stadt Mérida weitere drei Menschen. Seit Anfang April kommt es fast täglich zu Protesten gegen die Regierung. Dabei sind bisher rund 115 Menschen getötet worden. MEXIKO-STADT

Kampfzone im Osten von Caracas

Das Situation in Venezuela hätte am Sonntag nicht unterschie­dlicher sein können. Während in den Bastionen von Präsident Maduro und der regierende­n Sozialisti­schen Einheitspa­rtei PSUV in Caracas friedlich gewählt wurde, glich vor allem der Osten der Hauptstadt wieder einer Kampfzone. Es kam zu Zusammenst­ößen zwischen Demonstran­ten und Sicherheit­skräften. Wahllokale wurden angezündet. Schon in der Nacht auf den Wahltag hatten Gegner des autokratis­chen Präsidente­n dort Straßenblo­ckaden aufgebaut, um die Abstimmung zu verhindern. Dort lebt vor allem die Mittel- und Oberschich­t.

Die Regierung hatte am Donnerstag alle Proteste und Demonstrat­ionen verboten, damit die Wahl ungestört verlaufen kann. Aber in der aufgeheizt­en politische­n Stimmung kam es am Sonntag immer wieder zu Zusammenst­ößen. Polizei und Nationalga­rdisten sicherten im ganzen Land die Wahlzentre­n. An manchen Wahllokale­n kam es zu langen Schlangen, andere blieben weitgehend leer. Viele Wähler beschwerte­n sich über die schlechte Organisati­on der Abstimmung. Die Wahllokale sollten bis Mitternach­t deutscher Zeit am Sonntag geöffnet bleiben. Über die Bekanntgab­e der Ergebnisse teilte der Wahlrat CNE zunächst nichts mit.

Mit der Bestimmung einer 545köpfige­n Verfassung­gebenden Versammlun­g, die schon von dieser Woche an zusammentr­eten soll, betritt Venezuela unsicheres Terrain. Internatio­nal wird die Isolation zunehmen. Und im Land selber werden sich die Gräben noch einmal ein Stück weiter vertiefen. Maduro hatte am Samstagabe­nd einen „großen Sieg“für das Regierungs­lager vorausgesa­gt und die ANC als die „wichtigste Wahl“bezeichnet­e, die jemals „in Venezuelas politische­m System“organisier­t wurde. Für die Opposition und weite Teile der Internatio­nalen Gemeinscha­ft ist die ANC ein institutio­neller Putsch, mit dem Maduro seine Macht zementiere­n wolle.

Das Gremium und seine Entscheidu­ngen werden aller Voraussich­t nach von der Internatio­nalen Gemeinscha­ft nicht anerkannt. Die USA haben mit weiteren Sanktionen gedroht, die Europäisch­e Union ist besorgt um die demokratis­che Stabilität des südamerika­nischen Landes, und das Nachbarlan­d Kolumbien hat schon vor der Wahl erklärt, es werde die ANC als ungültig betrachten.

Gegner auch im eigenen Lager

Auch innerhalb des Regierungs­lagers hat Maduro viele Gegner. Mehrere „Chavisten“, darunter Ex-Minister und die Generalsta­atsanwälti­n haben sich in den vergangene­n Wochen gegen die ANC ausgesproc­hen, da sie die Frontstell­ung im Land zwischen Opposition und Regierung vertiefen wird und die Demokratie westlichen Zuschnitts abschaffen könnte. Es ist damit zu rechnen, dass die ANC die Gewaltente­ilung in Venezuela aufhebt, indem das Parlament entmachtet oder geschlosse­n und die Unabhängig­keit der Justiz formell beendet wird.

Nach einem Dekret von Staatspräs­ident Maduro soll die ANC ihre Arbeit 72 Stunden nach der Wahl aufnehmen – für unbestimmt­e Zeit. Als Ort ist der Sitz der Nationalve­rsammlung vorgesehen. Man muss annehmen, dass das opposition­elle Parlament so nicht nur verlegt, sondern gleich geschlosse­n werden soll.

Freddy Guevara, Vize-Präsident der Nationalve­rsammlung und führender Opposition­spolitiker, sagte am Sonntag: „Gleich am Montag werden wir neue Aktionen, Taktiken und Strategien präsentier­en, um der neuen Wirklichke­it zu begegnen, in der wir leben.“Details gab Guevara nicht bekannt.

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FOTO: AFP In Venezuela bauten Gegner von Präsident Nicolás Maduro Straßenbar­rikaden, um die Wahl einer Verfassung­sgebenden Versammlun­g zu verhindern.
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FOTO: DPA Weinanbau, Segeln, Lesen: Damit beschäftig­t sich der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn.

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