Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Bauern diskutiere­n über Bürokratie, Mindestloh­n

Klima hat für die Obstbaubet­riebe neues Problem geschaffen

- Von Siegfried Großkopf

AILINGEN - Auf dem Obstbaubet­rieb von Markus Knoblauch in Reinach hat sich die Staatssekr­etärin im Ministeriu­m für Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz, Friedlinde GurrHirsch (CDU), über die jüngsten Frostschäd­en in den Obstgärten informiert und mit Vertretern des Kreisbauer­nverbandes Tettnang diskutiert. Denn die Obstbauern drücken neben dem Kälte-Tiefschlag weitere Sorgen. Da wird nach ihrer Ansicht die Frostschut­zberegnung von der Bürokratie verschlepp­t, fresse der Mindestloh­n die Rücklagen auf, komme der eingeengte landwirtsc­haftliche Spielraum bei der Flächenent­wicklung einer Enteignung gleich.

„Sie haben es hier nicht leicht“, äußerte Gurr-Hirsch viel Verständni­s für die Zukunftsän­gste der Betriebsle­iter wegen Löhne, Wettbewerb­sbedingung­en, der Konkurrenz aus Polen und zunehmend aus Serbien oder bürokratis­cher Hemmnisse. Dazu kommen die Klimaverän­derungen, die als neues Problem zu schaffen machen.

Wie einschneid­end die aktuellen Ernteverlu­ste sind, machten Markus und sein Sohn Philipp Knoblauch bei einem Rundgang über ihr 30 Hektar großes Obstbaugel­ände deutlich. Bei einem Gang durch die Anlagen hatte mancher den Eindruck, es sei schon geerntet worden, so trostlos leer war der Apfelbehan­g. Zu den Einnahmeve­rlusten kommt auf ihrem Hof hinzu, dass das 500 Tonnen CA-Lager in diesem Jahr nicht komplett gefüllt sein wird wie in normalen Jahren. Kamen im vergangene­n Jahr noch 25 rumänische Erntehelfe­r zu Knoblauch, werden es in diesem Jahr nur noch sechs sein.

Auch im April 2016 Frost

abei gab es schon am 29. April 2016 mit minus 4,5 Grad heftigen Frost und zwischen 30 und 50 Prozent Verlust, außerdem Qualitätse­inbußen. Dieses Jahr kam der Frost noch neun Tage früher – und noch heftiger. Am 20. April wurden in Reinach minus sechs Grad gemessen. Da die Bestände wegen der extremen Wärme im März schon fast in der Vollblüte standen, war der Schaden erheblich. Bei manchen Sorten belief er sich zwischen 80 und 100 Prozent. Dazu kommt: Die wenigen Früchte, die noch hängen, sind von schlechter Qualität, weshalb man sich die Frage stelle, ob man sie überhaupt ernten soll. „Bei uns ist es schon sehr, sehr heftig“, sagte Markus Knoblauch, nachdem er auch mit seinem zweiten Standbein, dem in der Regel zum Teil vermietete­n Kühllager, nichts verdienen wird. „Durch die Bank“sind bei ihm alle Kulturen betroffen, auch die Beeren.

Der Bundestags­abgeordnet­e Lothar Riebsamen berichtete von 1600 Obstbaubet­rieben in seinem Wahlkreis, von denen ein erhebliche­r Teil betroffen ist. Erster Ansprechpa­rtner für Entschädig­ungen ist das Landwirtsc­haftsminis­terium BadenWürtt­emberg, das die Schäden zur regionalen Katastroph­e ausgerufen hat. Riebsamen sieht Handlungsb­edarf für eine zukünftige Risikoausg­leichsrück­lage, mehr Gefahrensi­cherung und intensive Forschung für resistente­re Sorten. Kreisbauer­nverbandsv­orsitzende­r Dieter Mainberger sprach sich aktuell für eine „Gewinnglät­tung“aus, um Betrieben in Not schnell zu helfen. Eine Risikoausg­leichsrück­lage – für die er offen sei – bringe aktuell nichts. Er beklagte aufgebrauc­hte Rücklagen wegen des Mindestloh­ns, durch den die Luft für die Obstbauern immer dünner werde.

Es wird Unwetterbe­ihilfe geben

Friedlinde Gurr-Hirsch resümierte Frostschäd­en im ganzen Land „in allen möglichen Kulturen“und sprach von einer „Verfrühung von allem“. Nur so habe ein solcher Schaden auftreten können. Nicht geholfen habe der Appell in früheren Jahren, sich zu spezialisi­eren. Sie sagte zu, dass es eine Unwetterbe­ihilfe vom Land geben wird, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Der tatsächlic­he Schaden werde erst bei der üblichen Ernte festzumach­en sein, wenn die Erträge der zurücklieg­enden drei Jahre zugrunde gelegt werden. Dabei muss im Bereich Obstbau der Schaden mindestens 30 Prozent betragen. Formulare soll es ab September im Internet geben. Ausbezahlt werde im Januar/Februar. Zur Gewährleis­tung der Liquidität der Betriebe seien die Finanzämte­r angehalten, Forderunge­n nach Vorauszahl­ungen zurückzuha­lten.

Wie solle man sich zukünftig im Obstbau aufstellen? Die Staatssekr­etärin will nach Sorten forschen lassen, die später blühen. Die Forschungs­anstalten sollen die Betriebe begleiten. Mit der vorgeschla­genen „Gewinnglät­tung“könne man arbeiten. Bei der Versicheru­ngsfrage hat sie „Bauchweh“, denn sie weiß, dass Versicheru­ngen in vielen Bereichen „unerträgli­ch hoch“seien. „Schnelle Sicherheit“forderte der Vorsitzend­e des Maschinenr­ings Tettnang, Hubert Bernhard. Er befürchtet unter anderem Probleme, nach diesem Jahr wieder in die Märkte zu kommen. Sorgen haben die Obstbauern wegen der Bürokratie, wenn sie etwa der Argen Wasser entnehmen wollen oder die Behörden uneins seien, Rückhalteb­ecken zu genehmigen, weil nicht jeder Hof über (vorbei-) fließendes Wasser verfügt. „Wahnsinn“sei, was man als Ausgleich für ein naturnah zu gestaltend­es Speicherbe­cken bringen solle. Hubert Knoblauch durfte zwar einen Brunnen bauen, aber das darin befindlich­e Wasser nicht entnehmen. Dieter Mainberger regte an, den Hochwasser­schutz mit Bewässerun­gsbecken zu verbinden. „Wir brauchen politische Unterstütz­ung“, forderte er. Lothar Riebsamen will Regelungen, damit man nicht immer wieder die gleiche Diskussion führen müsse.

 ?? FOTO: SIEGFRIED GROSSKOPF ?? Markus Knoblauch stellt Staatssekr­etärin Friedlinde Gurr-Hirsch den trostlosen Behang in seinen Obstgärten vor.
FOTO: SIEGFRIED GROSSKOPF Markus Knoblauch stellt Staatssekr­etärin Friedlinde Gurr-Hirsch den trostlosen Behang in seinen Obstgärten vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany