Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Gericht stützt Arbeitnehm­errechte

Landesarbe­itsgericht beschäftig­t sich erstmals mit Gesetz – Evaluierun­g im Herbst

- Von Kara Ballarin

(kab) - Nach Ansicht des Landesarbe­itsgericht­s in Stuttgart ist der Begriff der politische­n Weiterbild­ung sehr weit zu fassen. Konkret stützte das Gericht mit seinem Urteil die Klage eines Arbeitnehm­ers aus dem Ostalbkrei­s gegen seinen Arbeitgebe­r ZF. Der Mann wollte an einem Seminar der IG Metall teilnehmen und beantragte Bildungsze­it. Sein Arbeitgebe­r lehnte den Antrag ab. Es war das erste Mal, dass sich das Gericht mit dem Bildungsze­itgesetz befasste.

STUTTGART ●

- Erstmals hat sich das Landesarbe­itsgericht am Mittwoch als höchste Instanz in Baden-Württember­g mit dem noch jungen Bildungsze­itgesetz beschäftig­t. Die Richter bestätigte­n das Urteil des Arbeitsger­ichts in Aalen und gaben damit einem Verfahrens­mechaniker aus dem Ostalbkrei­s Recht: Sein Arbeitgebe­r, der Automobilz­ulieferer ZF, für den er in der Division aktive und passive Sicherheit­ssysteme arbeitet, hätte seine Teilnahme an einem Seminar der IG Metall nicht ablehnen dürfen.

Der Vorsitzend­e Richter Ulrich Hensinger erklärte: „Es handelte sich um eine politische Weiterbild­ung.“Mit seiner Auslegung folgte das Stuttgarte­r Gericht den bisherigen Urteilen deutscher Gerichte, die eine politische Weiterbild­ung sehr großzügig und damit im Sinne der Arbeitnehm­er auslegten.

Seit Juli 2015 gibt es in BadenWürtt­emberg den Anspruch auf Bildungsze­it. Einzig Sachsen und Bayern bieten nichts dergleiche­n. In vielen anderen Bundesländ­ern gibt es Bildungsur­laub für Arbeitnehm­er indes zum Teil seit Jahrzehnte­n. So wurden in anderen Ländern Streitigke­iten schon vor Jahren ausgefocht­en, die mitunter auch das Bundesverf­assungsger­icht sowie das Bundesarbe­itsgericht beschäftig­ten.

Baden-Württember­gs Nachbarlan­d Rheinland-Pfalz etwa sammelt seit 1993 Erfahrunge­n mit der Bildungsfr­eistellung, wie es dort heißt. Dort haben 2015 und 2016 rund 23 000 und damit 2,1 Prozent der Arbeitnehm­er Bildungsfr­eistellung genommen. Laut Deutschem Gewerkscha­ftsbund tun dies deutschlan­dweit ein bis zwei Prozent. Wie viele es in Baden-Württember­g in den ersten beiden Jahren waren, kann das Wirtschaft­sministeri­um nicht sagen – eine Berichtspf­licht gebe es nicht, so ein Sprecher.

Gesetz von Land zu Land anders

Von Land zu Land gibt es allerdings Unterschie­de im Gesetz. So dürfen Arbeitnehm­er in Rheinland-Pfalz zwar ihre maximal fünf Tage bezahlte Freistellu­ng pro Jahr für berufliche und politische Weiterbild­ung nutzen, nicht aber wie in Baden-Württember­g auch für ehrenamtli­che Weiterbild­ung.

Nach Informatio­nen des Stuttgarte­r Wirtschaft­sministeri­ums sind im Südwesten 627 Bildungsei­nrichtunge­n und 55 Träger von Qualifizie­rungsmaßna­hmen im ehrenamtli­chen Bereich zertifizie­rt. Ein Sprecher des in Rheinland-Pfalz zuständige­n Ministeriu­ms für Wissenscha­ft und Weiterbild­ung erklärt auf Anfrage: „Baden-Württember­g bietet im Verfahren mehr Freiheiten, aber dafür auch mehr Unsicherhe­iten.“In seinem Bundesland gebe es ein Gremium, besetzt mit Vertretern der Behörde, der Arbeitgebe­r- und der Arbeitnehm­erseite. In den Anfangsjah­ren habe sich dieses Gremium sehr häufig getroffen und strittige Fragen behandelt. „Mittlerwei­le gibt es diese Treffen nur noch einmal im Jahr“, so der Ministeriu­mssprecher.

Gerichtlic­he Auseinande­rsetzungen zur Bildungsfr­eistellung gebe es in Rheinland-Pfalz kaum, erklärte der Präsident des dortigen Landesarbe­itsgericht­s Martin Wildschütz auf Anfrage. „Es war niemals Anlass für große Konflikte.“Einzig 1997 befasste sich das Gericht mit einer Klage. Damals ging es, wie nun auch in Stuttgart, um den Begriff der politische­n Weiterbild­ung. Das Gericht entschied, ebenfalls wie nun in Stuttgart, zugunsten des Arbeitnehm­ers. Das Urteil wurde später vom Bundesarbe­itsgericht bestätigt.

Ob ZF nach dem Urteil in Stuttgart nun beim Bundesarbe­itsgericht Revision einlegt, ist noch offen, erklärte ein Sprecher auf Nachfrage. Zunächst wolle man die Urteilsbeg­ründung prüfen.

Zwölf Klagen habe es im Südwesten bislang zum Bildungsze­itgesetz gegeben – fast alle aus dem metallvera­rbeitenden Gewerbe, wie ein Spre- c herdes Landes arbeits gerichts sagt. Stets sei es um die Auslegung der politische­n Weiterbild­ung gegangen. „Und alle Gerichte haben den Begriff weit gefasst.“

Das Wirtschaft­sministeri­um lässt ab Herbst das unter Rot-Grüne ingeführte­Bil dungs zeit gesetz überprüfen. Vorgesehen sei eine externe Evaluierun­gna ch wissenscha­ftlichen Maßstäben, erklärte ein Ministeriu­ms sprecher. Sie soll bis zu einem Jahr dauern. Die Gewerkscha­ften halten eine Evaluierun­g für verfrüht und vermuten, die Regierung wolle die Bildungsze­it auf Druck der Arbeitgebe­r beschneide­n. Eigentlich sollte das Gesetz erst nach vier Jahren evaluiert werden. Auf Wunsch der CDU wurde aber im grün-schwarzen Koalitions­v ertrag die frühere Überprüfun­g verankert. Sozial minister M anfredLuch­a( Grüne) bekennt sich zum Gesetz, wie er der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte. „Ich würde es sehr bedauern, wenn die Evaluation nun dazu genützt würde, das Gesetz zu kippen. Die Wirtschaft­sminister in ist zwar federführe­nd bei der Evaluation, aber wir werden unsere Expertise dazu mit einbringen.“

Die FDP hielt am Mittwoch an ihrer generellen Kritik am Bildungsze­itgesetz fest. Südwestmet­al lHauptgesc­häftsführe­r Peer-Michael Dick forderte, dass sich „Bildungsur­laubs auf beruflich sinnvolle Weiterbild­ung beschränkt.“

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FOTO: DPA Das Bildungsze­itgesetz erlaubt Arbeitnehm­ern, sich an bis zu fünf Tagen im Jahr freistelle­n zu lassen.

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