Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Eine Gemeinde zerbricht
Seit Beginn von Erdwärmebohrungen haben mehr als 270 Gebäude Risse – Bislang gibt es keine Entwarnung
STAUFEN (dpa) - Die Suche nach umweltfreundlicher Energie bringt eine Kleinstadt ins Wanken. Staufen bei Freiburg gerät aus den Fugen – seit nunmehr einem Jahrzehnt. Der Grund sind missglückte Geothermiebohrungen im September 2007. Seither hebt sich der Boden, Gebäude bekommen Risse. Nach zehn Jahren ist das Problem nicht gelöst. Mit den Rissen, sagen die Betroffenen, werde Staufen und seine historische, unter Denkmalschutz stehende Altstadt noch viele Jahre leben müssen. Nun soll verstärkt saniert werden.
„Es ist eine Katastrophe in Zeitlupe“, sagt Michael Benitz. Der Bürgermeister der rund 8100 Einwohner zählenden Gemeinde am Rande des Schwarzwalds sitzt im Zentrum des Geschehens. Risse durchziehen sein Rathaus, gut sichtbar an der Außenfassade. Ein überdimensionales rotes Transparent hängt daran. „Staufen darf nicht zerbrechen!“steht darauf.
Im Hof direkt hinter dem Gebäude wurde im September vor zehn Jahren nach Erdwärme gebohrt. Die Geothermie galt damals als ein Hoffnungsträger unter den umweltfreundlichen Energien. Eine neue Heizung für das Rathaus sollte mit ihr betrieben werden. Doch die Bohrsonden trafen im Untergrund auf eine Erdschicht, die Staufen bis heute keine Ruhe lässt.
„In Verbindung mit Grundwasser verwandelt sich diese Erdschicht in Gips, die Schichten quellen auf, drücken die Erde nach oben. Der Untergrund hebt und verschiebt sich“, erklärt Benitz. Die Bilanz nach zehn Jahren: „An manchen Stellen hat sich Staufen 62 Zentimeter nach oben und seitlich bis zu 45 Zentimeter bewegt. Es gibt Häuser, die werden auseinandergezogen und förmlich zerrissen.“Die Folge seien Risse an den Gebäuden sowie Einsturzgefahr.
Mehr als 270 Gebäude sind den Angaben zufolge beschädigt, zwei Häuser mussten bereits abgerissen werden. Der Schaden wird auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt. Genau beziffern lässt er sich nicht. Denn es werden immer wieder neue Schäden gemeldet – auch wenn sich die Zahl der betroffenen Häuser zuletzt nicht mehr erhöht hat.
Staufen ist mit dem Problem nicht alleine, erklärt das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau mit Sitz in Freiburg. Auch in Böblingen und in Rudersberg (Rems-MurrKreis) gingen Geothermiebohrungen schief und führten zu größeren Schäden an zahlreichen Gebäuden. Und in Basel kam es durch Geothermie zu Erdbeben. Doch zum Symbol für missglückte Bohrungen wurde das bei Touristen beliebte Staufen.
Dauerhafter Imageschaden
Für die bis dahin aufstrebende Geothermiebranche brachte Staufen einen andauernden Imageschaden, bestätigt der Bundesverband Geothermie. „Bei einer ordnungsgemäßen Ausführung der Bohrungen sind derartige Schäden ausgeschlossen“, sagt ein Verbandssprecher. Geothermie bleibe, wenn richtig gebohrt werde, eine sinnvolle und umweltfreundliche Energiequelle. Die Zahl der Bohrungen für Erdwärme ging im Südwesten deutlich zurück. 2015 habe es landesweit etwas mehr als 500 Erdwärmebohrungen gegeben. 2008 und 2009 waren es den Angaben zufolge jeweils noch mehr als 4500.
In Staufen hebt sich die Erde unterdessen weiter. Doch seit große Pumpen rund um die Uhr Grundwasser aus dem Boden holen und so die Gipsbildung verringern, wird es besser, sagt der Bürgermeister. Ging die Stadt anfangs noch zentimeterweise pro Monat in die Höhe, seien es zuletzt 1,8 Millimeter gewesen. „Ich gehe aber davon aus, dass wir mit dem Problem noch viele Jahre, vermutlich eher Jahrzehnte zu kämpfen haben werden.“
Geld für die Sanierung der Häuser kommt von der Stadt, dem Land und weiteren Kommunen in BadenWürttemberg. Zudem gab es einen außergerichtlichen Vergleich mit den Bohrfirmen. Die Stadt hat von den Firmen 1,175 Millionen Euro erhalten. Und verzichtet im Gegenzug auf alle weiteren Forderungen.