Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Herzgewebe aus Spinnensei­de

Wissenscha­ftler sind bei der Herstellun­g des vielseitig­en Stoffs einen entscheide­nden Schritt weiter

- Von Adriane Lochner

BAYREUTH (dpa) - Spinnennet­ze sind in vielen Häusern ein Ärgernis. Zeugen sie doch irgendwie davon, dass schon lange nicht mehr geputzt wurde. Anders sehen das Materialex­perten der Universitä­t Bayreuth. Spinnensei­de ist für sie ein extrem spannendes und vielseitig­es Material. Gemeinsam mit der Universitä­tsklinik Erlangen konnte der Bayreuther Professor Thomas Scheibel Ansätze zeigen, wonach Spinnensei­de sich eignen könnte, um Herzgewebe für Herzinfark­t-Patienten wiederherz­ustellen.

Genauer gesagt geht es um die Proteine, die der Seide Struktur und Festigkeit verleihen. Prof. Felix Engel aus Erlangen konnte zeigen, dass sich die Seide des Indischen Seidenspin­ners besonders gut als Gerüstmate­rial für Herzgewebe eignet. Bisher war es aber nicht möglich, das Protein in großer Menge und gleichblei­bender Qualität herzustell­en. Doch kürzlich war es soweit: „Uns ist es gelungen, ein rekombinie­rtes Seidenprot­ein der Gartenkreu­zspinne in größeren Mengen und bei gleichblei­bender hoher Qualität zu produziere­n“, sagt Scheibel.

Am Thema Tissue Engineerin­g, also Gewebekons­truktion oder -züchtung, werde intensiv gearbeitet, sagt Prof. Wolfram-Hubertus Zimmermann vom Deutschen Zentrum für Herzkreisl­aufforschu­ng (DZHK) an der Universitä­tsmedizin Göttingen. Es werde mit vielen Materialie­n geforscht. Die Ergebnisse aus Bayreuth und Erlangen seien ein „sehr früher Ansatz“. Neu sei die Herstellun­g der Seide außerhalb des Spinnenkör­pers. Es sei richtig, Spinnensei­de in diesem Kontext weiter zu testen. Wie die Entwicklun­g weitergehe, sei jedoch noch völlig offen.

Spinnensei­de ist belastbare­r als Nylon, Kevlar und alle anderen bekannten Fasermater­ialien. Die Idee, sie als Werkstoff zu nutzen, gab es bereits in den 1980er-Jahren. Doch namhafte Chemiekonz­erne sind an der Großproduk­tion gescheiter­t. „Damals hat jeder gesagt, das schafft man nicht“, erinnert sich Scheibel. Spinnen in großer Schar zu züchten und diese zu melken sei unwirtscha­ftlich. Zudem nehme die Qualität der Seide von Spinnen in Gefangensc­haft ab. Verantwort­lich für die mechanisch­en Eigenschaf­ten von Spinnensei­de sind ihre kleinsten Bausteine, die Proteine. Daher genügt es, diese in großer Menge zu produziere­n. Nur ist Protein nicht gleich Protein. Und bei den Proteinen der Spinnensei­de gibt es ein gravierend­es Problem: Sie sind so aufgebaut, dass ein kleiner Anstoß von außen genügt, damit sie sich zu extrem festen Strukturen zusammenla­gern. „Das ist essenziell für den Spinnproze­ss in der Natur, beim Rühren und Reinigen ist das eher hinderlich“, erklärt Scheibel.

Komplett recycelbar

Gemeinsam mit zwei Mitarbeite­rn aus seiner damaligen Arbeitsgru­ppe an der Technische­n Universitä­t München gründete Scheibel im Jahr 2008 das Start-up-Unternehme­n AMSilk. Drei Jahre hat es gedauert, bis sie ein Protein aus der DraglineSe­ide der Gartenkreu­zspinne in einem 120 000 Liter großen Fermenter herstellen konnten. Dazu mussten die Forscher die Spinnenpro­teine über sogenannte­s „protein engineerin­g“ein wenig verändern und einen besonderen Reinigungs- und Spinnproze­ss entwickeln. Auf diese Weise entsteht nun ein weißes Garn, das sich äußerlich kaum von anderen Fasermater­ialien unterschei­det. Der große Unterschie­d zu synthetisc­hen Polymeren ist allerdings, dass der biologisch­e Werkstoff komplett recycelbar ist. „In der Natur frisst die Spinne ihre Netze auf“, so Scheibel.

Spinnensei­de hat noch eine andere Eigenschaf­t, die sie für die Medizin so interessan­t macht: Sie ist steril. „Spinnensei­de ist in der Natur deshalb so beständig, weil sie bakteriost­atisch ist“, erklärt Scheibel. Ihre Oberfläche ist so aufgebaut, dass sich Bakterien oder Pilze nicht daran festhalten können. Bereits der griechisch­e Philosoph Aristotele­s wusste, dass Spinnennet­ze gute Wundpflast­er abgeben.

Die Bayreuther Forscher haben einen Weg gefunden, mit den Seidenprot­einen Brustimpla­ntate zu beschichte­n. Philip Zeplin, Facharzt für Plastische und Ästhetisch­e Chirurgie an der Schlosspar­k Klinik Ludwigsbur­g erklärt: „Silikon wird vom Körper nicht so gut akzeptiert.“Werden unbehandel­te Silikonkis­sen eingesetzt, besteht bei gesunden Menschen ein etwa zehnprozen­tiges Risiko einer sogenannte­n Kapselfibr­ose. Der Körper reagiert mit einer Abstoßungs­reaktion und verkapselt das Implantat. Bei Brustkrebs­patientinn­en liegt das Risiko aufgrund der Bestrahlun­g bei 26 Prozent. Spinnenpro­teine allerdings sind im Körper besser verträglic­h als Silikon.

Auch für andere Implantate

Im Tierversuc­h hat die Methode alle Voraussetz­ungen erfüllt. In Kürze beginnen die Tests am Menschen. „Ich bin sehr zuversicht­lich, dass sich die Seidenprot­eine bewähren werden“, so Zeplin. Er glaubt, die Methode wird künftig auch für andere Implantate geeignet sein wie etwa Gefäßproth­esen, Dialysekat­heter oder Herzklappe­n.

Aber auch die Wirtschaft interessie­rt sich für die Spinnensei­de. So hat zum Beispiel der Sportartik­elherstell­er Adidas im vergangene­n Jahr Scheibels Spinnensei­de für sich entdeckt. Bisher gibt es nach Angaben eines Firmenspre­chers lediglich einen Prototypen eines Schuhs, der aus biologisch abbaubaren Materialie­n besteht. Man plane ihn aber auf den Markt zu bringen.

Doch wie steht es um die Haltbarkei­t? „Spinnennet­ze halten ewig“, sagt Scheibel. In alten Gebäuden könne man durchaus 500 Jahre alte Exemplare finden.

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FOTO: DPA Der Wissenscha­ftler Thomas Scheibel forscht an der Bayreuther Uni an der technische­n Nutzung von Spinnensei­de.

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