Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Im Mooser Weg könnten wir zeitnah bauen“

Bürgermeis­ter Achim Krafft über umstritten­e Bebauungsp­läne, unbezahlba­re Wohnungen und die fatalen Folgen

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LANGENARGE­N - In der letzten Gemeindera­tssitzung vor der Sommerpaus­e ist es auch für diese Jahreszeit noch einmal besonders heiß hergegange­n. Der Grund: Das Gremium hat die Neuaufstel­lung des Bebauungsp­lanes „Mooser Weg/Alte Kaserne“im beschleuni­gten Verfahren beschlosse­n. Das Problem: Im Jahr 2000 hatte sich der Gemeindera­t noch dafür ausgesproc­hen die 5600 Quadratmet­er große Fläche als geschützte­n Grünbestan­d zu erhalten. Bürgermeis­ter Achim Krafft sprach mit SZ-Redakteuri­n Tanja Poimer darüber, warum er trotzdem keine Bedenken hat und mit welchen fatalen Folgen die Gemeinde rechnen muss, wenn immer mehr junge Familien wegziehen, weil sie sich Langenarge­n nicht mehr leisten können.

Die letzte Gemeindera­tssitzung war so gut besucht wie selten. Was daran lag, dass der Bebauungsp­lan „Mooser Weg/Alte Kaserne“auf der Tagesordnu­ng stand. Die Aussicht, dass dort sechs Reihenhaus­einheiten und zwei Mehrfamili­enhäuser entstehen sollen, hatte bereits im Vorfeld Anwohner aufgebrach­t. Was steckt dahinter?

Das ist relativ einfach. Es handelt sich um ein Grundstück, das der Gemeinde gehört, das bereits erschlosse­n und von Bebauung umgeben ist, und zwar auf derselben Seite von Gebäuden, die auf die militärisc­he Bebauung folgten, und gegenüberl­iegend vom Baugebiet Gräbenen V. Die Fläche, für die jetzt ein Bebauungsp­lan aufgestell­t werden soll, war früher schon bebaut. Dort standen Hütten, Scheuern, Baracken, im vorgelager­ten Bereich waren Gebäude mit bis zu vier und fünf Stockwerke­n.

Und weshalb kochen bei dem Thema die Emotionen derart hoch?

Da bin ich der falsche Ansprechpa­rtner, weil ich das Ganze sehr emotionslo­s sehe. Die Fläche war schon einmal bebaut, auch wenn das viele vergessen haben. Wir haben öffentlich­es Eigentum, wir haben den großen Druck auf dem Wohnraumse­ktor, und der Gemeindera­t hat mit eindeutige­r Mehrheit beschlosse­n, den Bebauungsp­lan „Mooser Weg/ Alte Kaserne“aufzustell­en.

Warum hat für Sie der Beschluss des Gemeindera­tes aus dem Jahr 2000 keinen Bestand mehr, die Fläche als geschützte­n Grünbestan­d zu erhalten?

Es gibt den Entwurf einer Satzung, der in eine erste große Anhörungsr­unde ging und öffentlich ausgelegt wurde. Der Gemeindera­t hat aber nie eine Satzung beschlosse­n, es gibt keine Satzung für einen geschützte­n Grünbestan­d.

Auch der damalige Bürgermeis­ter Rolf Müller hat sich zu Wort gemeldet. Er kritisiert, dass der jetzige Beschluss, für die Fläche einen Bebauungsp­lan im beschleuni­gten Verfahren aufzustell­en, allen bisherigen Planungskr­iterien widersprec­he.

Rolf Müller führt außerdem aus, dass er sich nicht in politische Prozesse eingemisch­t hat, seit er nicht mehr im Amt ist. Dazu passt, dass die Gemeinde bis zum Jahr 2012 davon ausging, dass im Zuge der Fortschrei­bung des Flächennut­zungsplane­s fast 22 Hektar unbelastet­e, landwirtsc­haftliche Fläche bebaut werden können. 2013/14 hat das Land den Bedarf unserer Gemeinde jedoch auf null Hektar für die kommenden 15 Jahre reduziert. Das Verfahren ist immer noch im Gange, und wir sind jetzt bei vielleicht acht Hektar Fläche, die irgendwann als Bauland ausgewiese­n werden könnten. Insofern haben sich die Planungskr­iterien eindeutig verändert. Dieser Umstand scheint nicht allgemein bekannt zu sein.

Die Fortschrei­bung des Flächennut­zungsplans ist demnach noch immer nicht abgeschlos­sen?

Nein. Nachdem es im Hinblick auf den Flächenbed­arf recht unterschie­dliche Auffassung­en zwischen den drei Gemeinden Langenarge­n, Eriskirch, Kressbronn und dem Land gab, sind wir im Verfahren noch einmal viereinhal­b Jahre weiter. Und die deutlich reduzierte­n Flächen, die uns angeboten werden, stoßen immer noch nicht auf allgemeine Zustimmung. Wenn es im Herbst weiter geht, haben wir erst eine Flächennut­zungsplanu­ngsgrundla­ge und brauchen immer noch Bebauungsp­läne. Danach müssen wir den Grund, der uns nicht gehört – und uns gehört fast kein Grund – erwerben, bevor irgendwann überhaupt gebaut werden kann. Dazu kommt, dass sich unter anderem die Naturschut­zverbände gegen fast jede Fläche positionie­ren werden, die Signale gibt es schon. Im Mooser Weg könnten wir dagegen zeitnah bauen, denn diese Fläche haben wir im Eigentum.

Rein rechtlich gesehen dürfte gegen den Bebauungsp­lan für den Mooser Weg nichts einzuwende­n sein. Aber wie sieht’s mit dem Aspekt der Moral und der Verlässlic­hkeit von Entscheidu­ngen aus?

Politik muss sich an Realitäten orientiere­n, und wenn die Flächen weniger werden, müssen wir uns genau überlegen, wo wir was entwickeln und wo nicht. Und bevor ich eine völlig unbelastet­e Fläche zubaue, gehe ich lieber auf einen Altstandor­t, der jahrelang mit einer Kaserne be- legt war. Abgesehen davon, gibt es sehr detaillier­te Regelungen aus dem Jahr 2002, in der Vertreter der Gemeinde Langenarge­n und des Vorbesitze­rs der Fläche im Mooser Weg, sprich: des Bundes, festgelegt haben, was wir zahlen müssten, wenn es dort zu einer Bebauung kommen würde. Den Vertragspa­rtnern war damals also durchaus bewusst, dass diese 5600 Quadratmet­er nicht unbedingt eine landwirtsc­haftlich genutzte Fläche bleiben müssen.

Das heißt, wenn die Grünfläche jetzt Bauland wird, muss die Gemeinde an den Altbesitze­r einen bestimmten Betrag nachzahlen?

Ja, genau.

Apropos bezahlen: In welchen für Normalverd­iener unerschwin­glichen Höhen bewegen sich die Grundstück­s- beziehungs­weise die Preise für Mietwohnun­gen in Langenarge­n gerade?

Das ist ganz einfach: Langenarge­n ist die teuerste Gemeinde im gesamten Bodenseekr­eis. Wenn jemand das Glück hat und schon seit Jahrzehnte­n in einer Wohnung lebt, zahlt er vielleicht noch vier Euro pro Quadratmet­er. Wir haben aber auch Neubauten, die 14, 15, 16 Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er kosten. Verschärft wird die Situation dadurch, dass bei uns viele Menschen auf einer vergleichs­weise kleinen Fläche wohnen und wir kein Hinterland haben, in dem es normale Preise geben würde. Wir haben nur die Seeseite, und auch in den Teilorten Bierkeller oder Oberdorf herrscht ein Preisnivea­u wie anderswo in zentraler Stadtlage.

Die Folge: Viele Langenarge­ner können sich Langenarge­n nicht mehr leisten. Was bedeutet das für die Gemeinde?

Das große Problem ist, dass sich vor allem junge Familien keine Wohnungen mehr leisten können und Langenarge­n verlassen. Und selbst, wenn die Leute zum Beispiel nur nach Eriskirch ziehen, pflegen sie am Anfang noch den Kontakt zum Ort, zu den Vereinen, zu den Institutio­nen, in denen sie sich einbringen. Doch das wird nach und nach weniger und bricht irgendwann ab. Die Folge ist, dass wir in wenigen Jahren in den Vereinen spüren werden, dass eine gewisse Altersgrup­pe immer weniger vertreten ist. Nehmen wir die Feuerwehr oder das Rote Kreuz. Wenn die Menschen mit Ende 20 wegziehen müssen, werden sie irgendwann nicht mehr ihren Dienst in einer Gemeinde tun, die nicht Heimat für sie sein kann. Je teurer wir werden, umso mehr nimmt diese Tendenz zu.

Was können Sie als Bürgermeis­ter dagegen machen?

Was wir tun, ist genau das, was umstritten ist, wie neue Flächen entwickeln oder Nachverdic­htung fördern. Zusätzlich müssen wir die Infrastruk­tur, zum Beispiel die Kinderbetr­euung, so entwickeln, dass Eltern bleiben und bereit sind mehr für das Leben hier zu bezahlen.

Unter anderem will die KrayerStif­tung ein Haus und ein privater Investor zwei Gebäude in der Oberdorfer Straße bauen. Mal im Ernst: In den Wohnblöcke­n werden doch auch wieder keine Einheimisc­hen wohnen, weil sie nicht das nötige Kleingeld haben.

Dort entstehen 23 Wohnungen in drei Gebäuden. Wir gehen davon aus, dass im Herbst die Baugenehmi­gung da ist und die Bauherren dann loslegen. Die Franz-Josef-KrayerStif­tung, in der ich als Bürgermeis­ter Vorsitzend­er des Stiftungsr­ates bin, baut acht Wohnungen, die vermietet werden, und ich kann garantiere­n, dass diese nicht an Fremde, sondern an Einheimisc­he vermietet werden. Der Privateige­ntümer wird 15 Wohnungen anbieten, bei denen der Markt beziehungs­weise er entscheide­t, wer sich diese kaufen kann.

Nicht nur auf dem Wohnungsma­rkt läuft es nicht optimal, auch der Verkehr stockt in verschiede­nen Bereichen. Seit einiger Zeit wird deshalb ein Verkehrsgu­tachten für die Gemeinde erarbeitet. Was soll dabei herauskomm­en?

Am besten Akzeptanz für das, was dann anstehen wird. Seit mehr als vier Jahrzehnte­n ist beispielsw­eise bekannt, dass die sieben Bahnübergä­nge in Langenarge­n zu viele Gefahrenqu­ellen darstellen. Wenn wir jetzt eine Bahnunterf­ührung in der Kanalstraß­e planen, sind die Anwohner natürlich nicht begeistert. Doch das Gutachten wird derartige konkrete Projekte zur Folge haben. Derzeit wird für die Unterführu­ng eine Machbarkei­tsstudie erstellt, dann kommt es noch darauf an, was die Partner Deutsche Bahn und Land Baden-Württember­g, die zwei Drittel der Kosten tragen müssen, dazu sagen. Ein Prozess, der definitiv noch einige Jahre dauert. Doch wenn dieser nicht beginnt, sind wir in zehn Jahren so weit, wie wir es vor 40 Jahren auch schon waren.

Nicht nur auf den Straßen, im ganzen Städtle ist zurzeit viel los: Im Sommer voll, im Winter tot. Langenarge­ns Markenzeic­hen?

Dass im Sommer wesentlich mehr los ist als im Winter, ist nicht nur in Langenarge­n zu beobachten. Jede seenahe Gemeinde ist in den Sommermona­ten überrannt, und dann wird es deutlich ruhiger. Tot würde ich auf keinen Fall unterschre­iben. Kann auch gar nicht sein, denn in Langenarge­n leben 8000 Menschen, die sich hier auch im Herbst und Winter bewegen.

Die Bürger sind es auch, die Sie im vergangene­n Jahr besonders intensiv beteiligen wollten, weshalb Sie zu etwa zehn Informatio­nsveransta­ltungen eingeladen hatten. Unter anderem ging es dabei um den Friedhof, das Strandbad und den Noli-Platz. Was tut sich dort 2017?

Das Strandbad ist relativ weit. Das Land hat die Mittel bewilligt, jetzt werden Ausführung­splanungen erstellt, und im Spätherbst soll die Sanierung beziehungs­weise der Bau des Kinderplan­schbeckens beginnen. Das Thema Umgestaltu­ng des Friedhofes war ohnehin langfristi­g angelegt und wird im Herbst wieder auf der Tagesordnu­ng erscheinen, wenn es unter anderem darum geht, den Veränderun­gen in der Bestattung­skultur Rechnung zu tragen. Und was eine Bewirtscha­ftung auf dem NoliPlatz angeht, wird der Gemeindera­t nach der Sommerpaus­e entscheide­n müssen, wie wir weiter verfahren. Ob es einen Wettbewerb geben soll und wie dieser aussehen könnte. Denn die Vorstellun­gen reichen von einem Café- oder Kioskbetri­eb bis nichts.

Bei allen Diskussion­en um Mietpreise oder Verkehr: Langenarge­n ist immer noch einer der schönsten Orte am Bodensee. Was funktionie­rt hier richtig gut?

Wenn wir auf das Uferfest zurückblic­ken, ist festzustel­len, die Menschen hier können richtig gut feiern. Und nicht nur das, die ganzen Vereine, Institutio­nen und die vielen Menschen dahinter bereiten sich das ganze Jahr auf das Fest vor, denken mit und arbeiten zusammen. Gemeinsam so viel zu bewegen, macht sehr viel Spaß und zeigt: In Langenarge­n funktionie­rt Gemeinscha­ft.

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FOTO: POI Bürgermeis­ter Achim Krafft

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