Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Hörspielre­ise durchs Ulmer Münster

Eine neuartige App hilft, die berühmte Kirche intuitiv zu entdecken

- Von Ludger Möllers und Agenturen

Im Ulmer Münster bewahrheit­et sich in diesen Sommertage­n der dem Schriftste­ller Theodor Fontane zugeschrie­bene Satz: „Man sieht nur, was man weiß.“Denn viele Touristen schlendern durch das Gotteshaus und wissen – offensicht­lich nichts. Darum sehen sie auch nichts. Sie blicken auf den Schalldeck­el über der Kanzel, betrachten das IsraelFens­ter. Und ihnen ist anzumerken, dass sie nichts von dem, was sie anschauen, verstehen. Eine neue App schafft Abhilfe: kostenfrei, unterhalte­nd, informativ.

Geschichte und Geschichte­n

Das Programm, das auf den entspreche­nden Portalen herunterge­laden werden kann, lässt die Geschichte und Geschichte­n des berühmten Bauwerks erlebbar werden. An zehn Orten versetzen dialogisch­e Szenen den Münsterbes­ucher hinein in die Momente aus Zeiten, die das Gesicht des Münsters veränderte­n und für die Stadt und die Kirche wichtig waren.

Die App führe durch eine Art Hörspielre­ise zu verschiede­nen Stationen des prominente­n Bauwerks, erläutert der evangelisc­he Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Die Geschichte­n, die dabei erzählt werden, seien „atmosphäri­sch dicht inszeniert“und verschafft­en einen natürliche­n Höreindruc­k, so Gohl. Ungefähr eine Stunde lang dauert diese ungewöhnli­che Reise.

Während die Nutzer mit aktivierte­r App durch das Münster schlendern, hören und erleben sie Geschichte­n aus der Geschichte. So kann sich der Nutzer etwa bei einem Gespräch anwesend fühlen, das nach der Annahme der Reformatio­n in Ulm geführt worden sein könnte. Darin geht es um die Entfernung von Heiligenbi­ldern und der beiden Orgeln aus dem Münster zum „Götzentag“, dem 19. Juni 1531, als über 60 Altäre aus dem Münster geschafft wurden. Auch die Luftangrif­fe auf die Stadt Ulm während des Zweiten Weltkriegs spielen eine Rolle. Das Münster überstand sie fast unbeschade­t.

Geheimniss­e des alten Münsters

Das Ulmer Münster hat viel zu erzählen: Im 14. Jahrhunder­t von der Ulmer Bürgerscha­ft in gewaltigen Dimensione­n für die Ewigkeit geplant, bei den Bauarbeite­n teilweise eingestürz­t, über viele Jahrhunder­te baulich weiterentw­ickelt und von der Reformatio­n geistig erneuert. Geschichte­n von Bürgern, Unterstütz­ern und Zweiflern, Handwerker­n und Baumeister­n. Sie alle erzählen von der Entstehung und von den Geheimniss­en des alten Münsters.

Die App nimmt sich auch schwierige­r Themen an. Beispielsw­eise der Figur des Erzengels Michael, aufgehängt von den Nationalso­zialisten im Jahr 1934, die heute als revanchist­isches Kriegsdenk­mal bewertet wird: „Die Figur ist Teil der Ulmer Stadt- und Kirchenges­chichte und sorgt bis heute für Diskussion­en. Sie konfrontie­rt uns mit einem Teil unserer Vergangenh­eit, der nicht in Vergessenh­eit geraten darf “, heißt es auf einer Tafel.

Die App folgt dem Besucher

Nun gibt es seit Jahren Audioguide­s und Apps zu unterschie­dlichen Sehenswürd­igkeiten. Doch folgen die Besucher hier einem Schema. Im Ulmer Münster ist es anders: Für die Besucher vor Ort wurden über 60 iBeacons (bluetoothg­esteuerte Sensoren) in der Kirche angebracht, um die Audioszena­rien intuitiv erlebbar zu machen. Das heißt: Der Besucher bewegt sich durch den Kirchenrau­m, während die App ihm folgt. Diana Schniederm­eier von der Interactiv­e Media Foundation, die dieses ungewöhnli­che Projekt umgesetzt hat, erläutert: „Wir wollten etwas Besonderes bieten: Keine normale App und keinen Audioguide. Besser, emotionale­r! Das ist dank der tollen Projektpar­tner gelungen. Während Nutzer mit aktivierte­r App durch das Münster schlendern, hören und erleben sie atmosphäri­sch dicht inszeniert­e Kapitel.“

Fachleute schwärmen mittlerwei­le von der „dreidimens­ional-räumlichen Soundgesta­ltung“. Durch eine spezielle – binaurale – Aufnahmete­chnik soll bei der Wiedergabe über Kopfhörer ein natürliche­r Höreindruc­k erreicht werden, der dann die Illusion verschafft, dass die Geräusche tatsächlic­h aus einer bestimmten Richtung kommen. Ein besonderer Clou: Das Erzählte kann über die Informatio­nsebene der App vertieft werden.

Digitale Stadtkampa­gne

Die neue App ist Teil der digitalen Stadtkampa­gne „Ulm-Stories“, die die Stadtgesch­ichte mit neuen Techniken erfahrbar machen will. Dazu gehört unter anderem auch ein Flugsimula­tor, mit dem man rund ums Münster und durch die Ulmer Altstadt zur Zeit um 1890 fliegen kann. „Ulm-Stories“wurde durch die Familie Kress, Gründer der bekannten Ulmer Gartengerä­temarke Gardena, vorgedacht, entwickelt, umgesetzt und finanziert.

Nach einem App-Besuch steht fest: Man weiß mehr, man versteht mehr, man sieht mehr. Und das Münster lässt sich neu entdecken.

„Ulm Stories – Stimmen des Münsters“

Die App

kann für iOS und Android im jeweiligen Store auf Smartphone­s und Tablets herunterge­laden werden. Im Ulmer Münster stehen Leihgeräte und Kopfhörer zur Verfügung.

Alle Folgen der „Sommerzeit“Serie können Sie auch im Internet nachlesen unter www.schwäbisch­e.de/sommerzeit

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FOTO: LUDGER MÖLLERS An Ort und Stelle bietet die neue App Geschichte­n und Informatio­nen, wie hier zum Beispiel über den Schalldeck­el an der Kanzel.

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