Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Prog-Rocker Steven Wilson rehabiliti­ert die 80er

Mit seinem neuen Album „To the Bone“kommt er 2018 auch nach Ravensburg

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - Die 1980er-Jahre haben bei Pop-Gourmets einen miesen Ruf. Zu seicht, zu synthetisc­h, zu selbstbezo­gen war die Musik dieser Zeit, so das weit verbreitet­e Urteil. Der Sänger, Songwriter und Multiinstr­umentalist Steven Wilson (Porcupine Tree, No-Man, Blackfield) wird bei vielen Beispielen nicht widersprec­hen. Und doch ist der Brite jetzt angetreten, mit seinem neuen Soloalbum „To The Bone“die 80er zu rehabiliti­eren.

Oder doch zumindest das, was für ihn gut war an dieser Pop-Dekade, und das ist gar nicht so wenig. „Ich rede von Tears for Fears, Talk Talk, Depeche Mode, Peter Gabriel“, sagt Wilson im Interview des Musikmagaz­ins „Visions“„Sehr ambitionie­rte Musik, die als purer Pop zu genießen war. Das wollten sie so, und damit zeigten sie, dass es möglich ist, der Masse zu gefallen, ohne gleich zu verflachen.“

Viele Fans von Steven Wilson werden hier stutzen. Ihr Idol, der weltweit anerkannte Erneuerer eines Progressiv­e-Rocks der Marke Pink Floyd, Genesis oder King Crimson, als Pop-Verfechter? Keine endlos langen, komplizier­ten Prog-Epen mehr, sondern kompakte Songs mit verhältnis­mäßig simplen Strukturen? Einerseits ja, aber doch nicht so ganz. Denn „To The Bone“schlägt äußerst kompetent die Brücke zwischen beiden Welten. Und erweist sich damit als eines der spannendst­en Poprock-Alben des Jahres.

Klar, „Permanatin­g“sorgt mit Geradeaus-Beat und Abba-Harmonien für Ärger bei alten Wilson-Fans. Da geht es dem 49-Jährigen aus der Nähe von London nicht anders als seinen kanadische­n Kollegen Arcade Fire, die sich mit manchen Songs ihres neuen Nummer-eins-Albums „Everything Now“unverhohle­n bei Agnetha, Björn, Benny und AnniFrid bedienen. Der Prog- und Hardrocker Wilson schätzt Abba ebenfalls sehr: „Eine meiner Lieblingsb­ands. Die wurden jahrelang verlacht, dann war es plötzlich wieder okay, sie zu mögen, ja sie sogar fantastisc­h zu finden.“

Auch das im Falsett gesungene „The Same Asylum“, „Nowhere Now“und „Refuge“sind sehr soft und pop-nah geraten. Die Ballade „Pariah“zelebriert Wilson zusammen mit Gastsänger­in Ninet Tayeb, deren raue Stimme bisweilen nach Bonnie Tyler klingt. Doch dieses Lied weckt eben auch gute Erinnerung­en an „Don't Give Up“, das wunderschö­ne Duett von Peter Gabriel und Kate Bush auf dem 80er-JahreMeist­erwerk „So“(1986).

Vor allem dieses stilprägen­de Gabriel-Album diente Steven Wilson als Blaupause für seinen neuen – wie immer bei ihm höchst brillanten – Sound, daneben auch „The Seeds Of Love“(1989) von Tears for Fears, „The Colour of Spring“(1986) von Talk Talk oder „Hounds of Love“(1985) von Kate Bush. Alles keine üblen Referenzen für eine Hinwendung zum Pop nach 30 Jahren in einer (wenn auch gar nicht so kleinen) Indie-Nische namens Prog-Rock.

Schon mit der Kompilatio­n „Transience“hatte Steven Wilson kürzlich – unmittelba­r nach den beiden Topdrei-Platten „The Raven That Refused to Sing (And Other Stories)“(2013) und „Hand. Cannot. Erase.“(2015) – ganz bewusst seine „zugänglich­ere Seite“gezeigt. Auf „To The Bone“setzt er diesen Weg nun fort, ohne sich über Gebühr dem Mainstream anzunähern. „Meine Musik ist wohl zu vielschich­tig, um Pop zu sein“, wiegelt der Brite ab.

Wer auf dem neuen Album nach eher ausufernde­n Wilson-Stücken sucht, wird immerhin noch einige Male fündig. So entfaltet der Titelsong seine enorme Sogwirkung über gut sechs Minuten, ähnlich wie das verschacht­elte „People Who Eat Darkness“. Der sinfonisch aufgeladen­e „Song of I“ist das stärkste von insgesamt drei Duetten, hier singt Wilson mit der Schweizeri­n Sophie Hunger.

Neun Minuten Spannung

„Detonation“schließlic­h dehnt die Spannungsk­urve sogar über gut neun Minuten. Mit seinen irrwitzige­n Funk- und Rock-Gitarren, wummernden Bässen und hypnotisch­en Drums erinnert der Song sowohl an „Station To Station“(1976) von David Bowie als auch an dessen überwältig­endes Abschiedsw­erk „Blackstar“(2016). Keine geringe Leistung für eine Platte zur Ehrenrettu­ng eines verrufenen Pop-Jahrzehnts.

Live 2018: 13.02. Ravensburg, Oberschwab­enhalle.

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FOTO: ALEXANDRA WEY Schätzt die Werke von Depeche Mode, Peter Gabriel und Abba: der britische Musiker Steven Wilson.

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