Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Zweifel und Zufälle

Parlamenta­rier glauben weiter an Mittäter der NSU-Terroriste­n – Kritik an Ermittlern

- Von Katja Korf

STUTTGART - 2007 mordeten die Rechtsterr­oristen des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU) nach heutigem Wissenssta­nd zum letzten Mal. Ihr Opfer: die Heilbronne­r Polizistin Michèle Kiesewette­r. 2011 flog die rassistisc­h motivierte Mordserie auf. Seither haben mehrere parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschü­sse unter anderem versucht, eine Frage zu beantworte­n: Gab es neben den Haupttäter­n weitere Helfer, gerade in Baden-Württember­g? Eine Antwort ist nicht in Sicht.

Wolfgang Drexler (SPD) und Clemens Binninger (CDU) sind Experten für den NSU. Der Esslinger Sozialdemo­krat leitet im Stuttgarte­r Landtag den zweiten Untersuchu­ngsausschu­ss, der Böblinger Binninger stand dem Pendant im Bundestag vor. In einem sind sich beide einig: „Ich halte es nach wie vor für wahrschein­lich, dass der NSU Unterstütz­er in Baden-Württember­g hatte“, so Drexler.

Verdacht: Terrorzell­e war größer

Binninger geht noch weiter. Er glaubt, dass zum Kern des NSU mehr als nur drei Personen gehörten. Für die Ermittler steht dagegen fest: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordeten zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen, mit Unterstütz­ung von Beate Zschäpe. Mundlos und Böhnhardt sind tot, Zschäpe steht in München vor Gericht, ebenso vier mutmaßlich­e Unterstütz­er.

Binninger sagt: „Meine Kollegen aus dem Ausschuss und ich haben bis heute Zweifel an der These, dass es nur zwei Haupttäter gab.“Es müsse Mittäter gegeben haben. An keinem Tatort habe man DNA oder Fingerabdr­ücke von Mundlos oder Böhnhardt gefunden. Außerdem habe nie ein Zeuge einen der beiden beschriebe­n. Phantombil­der hätten weder Mundlos noch Böhnhardt geähnelt.

Blutversch­mierte Personen

Es gibt weitere Indizien. Da sind zum einen die zahlreiche­n Besuche der NSU-Terroriste­n. Mehr als 30-mal reisten sie zu Nazis in der Region Ludwigsbur­g. Doch bis auf eine der Stippvisit­en liegen nach Erkenntnis­sen der Polizei alle vor 1998, als das Trio in den Untergrund abtauchte. Doch die Parlamenta­rier halten es für wahrschein­lich, dass die Kontakte bestehen blieben.

Die Politiker glauben auch an Helfer in Baden-Württember­g, weil Mundlos und Böhnhardt bekanntlic­h in Heilbronn die Polizistin Kiesewette­r ermordeten. Die Fluchtrout­e macht sie stutzig. Statt direkt auf eine nahe Autobahn zu fahren, steuerten die beiden Terroriste­n Richtung Norden. Genau in jener Region lebten bekannte Anhänger der rechten Szene. Außerdem hatten die Täter den Mietvertra­g für ihr Wohnmobil zuvor verlängert. „Wo haben die Täter ihr Wohnmobil geparkt, woher kamen Strom und Wasser?“, so Drexler. Alle Campingplä­tze der Region wurden überprüft, ohne Ergebnis. Das sei ein klares Indiz dafür, dass es Helfer in der Region gegeben habe.

Binninger und seine Berliner Kollegen halten den Mord an Kiesewette­r nicht für geklärt. Sie glauben, es seien mehr als nur zwei Täter am Werk gewesen. Zeugen hatten mehrere blutversch­mierte Personen in der Nähe des Tatorts an der Theresienw­iese gesehen. Außerdem fanden Ermittler DNA-Spuren am schwer verletzten zweiten Opfer, die weder Mundlos noch Böhnhardt zugeordnet werden können. Diese gelten als alleinige Täter. Der Stuttgarte­r Ausschuss dagegen hält die Zeugen für unglaubwür­dig und sieht keine Anhaltspun­kte dafür, dass es Mittäter gab.

Tunnelblic­k des Bundesanwa­lts

All diese Punkte aber brachten den Generalbun­desanwalt nicht dazu, weiter nach möglichen Terrorhelf­ern zu suchen. Aus Sicht der Parlamenta­rier versäumten die Ermittler das, weil sie sich seit November 2011 voll auf die drei Haupttäter Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe konzentrie­rten. „Damit war der Blick so eng fokussiert und wurde nicht mehr geweitet“, kritisiert Binninger. Ermittlung­en der Landespoli­zeien wurden vom Bundeskrim­inalamt beendet. Hinzu kamen Defizite beim Informatio­nsaustausc­h zwischen den Behörden.

Dem Ausschuss in Baden-Württember­g bleibt noch ein Jahr. Dann endet sein Untersuchu­ngsauftrag. Selbst Aufklärer Drexler ist skeptisch, ob sich handfeste Belege finden lassen, die zu NSU-Unterstütz­ern führen. „Wenn sich niemand von sich aus meldet oder Frau Zschäpe aussagt nach dem Prozess in München, wird es schwierig.“Einige wenige Ansatzpunk­te sehen sowohl der SPD-Mann als auch sein Bundeskoll­ege Binninger (siehe Kasten).

Dass mögliche Unterstütz­er der Terroriste­n noch aktiv sind, glaubt Binninger nicht. Sein Kollege Drexler warnt jedoch: „Es wäre fahrlässig zu glauben, mit dem NSU sei der Rechtsterr­orismus tot.“

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FOTO: DPA Wolfgang Drexler (rechts) bei einem Ortstermin auf der Heilbronne­r Theresienw­iese. Dort starb 2007 die Polizistin Michèle Kiesewette­r.

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