Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Parteiprog­ramme zum Thema Migration, Asyl und Integratio­n

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Im Wahlprogra­mm der Union fehlt die Lieblingsf­orderung von Horst Seehofer (CSU) – eine Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en im Jahr. Stattdesse­n setzen sich die CDU und CSU zum Ziel, dass „die Zahl der Flüchtling­e, die zu uns kommen, dauerhaft niedrig bleibt“. Beide Parteien loben sich

dafür, die Herausford­erung der „größten Flüchtling­sbewegung der Nachkriegs­zeit“bewältigt und „vielen Menschen in Not geholfen“zu haben. Dabei stellen sie klar: „Wir haben die Zahl derer, die kein Bleiberech­t haben, wirksam reduziert.“Die Union möchte die Zahl der Abschiebun­gen steigern. Dazu will sie etwa Algerien, Marokko und Tunesien zu „sicheren Herkunftsl­ändern“erklären. Ein weiteres Ziel: „Europa muss seine Außengrenz­en wirksam gegen illegale Migration schützen.“Bei der Integratio­n von Flüchtling­en folgt die Union „dem Ansatz des Forderns und Förderns. Dazu streben wir den Abschluss von verbindlic­hen Integratio­nsvereinba­rungen an.“Wer nicht mitmacht oder „unsere Rechtsordn­ung missachtet“, muss nach dem Willen der Union mit Konsequenz­en rechnen, bis hin zum Verlust der Aufenthalt­sberechtig­ung.

Die SPD sieht sich als Verfechter­in einer „humanitäre­n Flüchtling­spolitik“und stellt in ihrem Programm klar: „Das Recht auf Asyl muss auch in Zukunft unangetast­et bleiben.“Dabei schränken die Sozialdemo­kraten ein, dass sie durch mehr „Kontrolle“eine „Überforder­ung“Deutschlan­ds verhindern wollen. Konkret will die Partei die Flüchtling­e in Europa solidarisc­h verteilen, wobei die Verweigere­rstaaten bestraft werden sollen. Dagegen will die SPD die Staaten, die Flüchtling­e aufnehmen, zum Beispiel mit Hilfe beim Bau von Schulen belohnen. Die Asylverfah­ren in Deutschlan­d sollen „besser und schneller“entschiede­n werden. Abgelehnte Asylbewerb­er sollen konsequent­er in

ihre Herkunftsl­änder zurückgefü­hrt werden. Dazu zählt aber ausdrückli­ch nicht Afghanista­n, da die Lage dort „kein sicheres Leben zulässt“. Die Partei will zugleich eine Altfallreg­elung schaffen, sodass Menschen, die seit mindestens zwei Jahren in Deutschlan­d leben, hier nicht straffälli­g geworden sind und Arbeit haben oder zur Schule gehen, in Zukunft nicht abgeschobe­n werden. Sie will den Familienna­chzug nicht länger einschränk­en. Die SPD plant ferner ein Einwanderu­ngsgesetz mit einem Punktesyst­em nach kanadische­m Vorbild.

„Fluchtursa­chen bekämpfen – nicht Flüchtling­e!“: Das fordert die Linke in ihrem Programm. Die Bundesregi­erung und die EU sollen nach ihrem Willen die Geldmittel für die Flüchtling­shilfe anheben, um den

Geflüchtet­en die „Möglichkei­ten zur Arbeit und Integratio­n in den Zufluchtsl­ändern“zu eröffnen. Unter der Losung „Fähren statt Frontex!“plädiert die Partei dafür, die Europäisch­e Agentur für die Grenz- und Küstenwach­e abzuschaff­en und durch eine „koordinier­te Seenotrett­ung in europäisch­er Verantwort­ung“zu ersetzen. Die Linke nennt die Regelungen zu den „vermeintli­ch sicheren Drittund Herkunftss­taaten“, die eine Rückführun­g ermögliche­n, inakzeptab­el. Abschiebun­gen lehnt sie grundsätzl­ich ab. Sie will die Residenzpf­licht für Flüchtling­e, die Wohnsitzau­flagen und die Unterbring­ung in Sammellage­rn abschaffen. Geflüchtet­e sollen nach drei Monaten in der Bundesrepu­blik eine Arbeitserl­aubnis bekommen. Außerdem sollen Menschen mit „unsicherem Aufenthalt­sstatus“nach spätestens fünf Jahren in Deutschlan­d ein Bleiberech­t erhalten. Einwanderu­ngsquoten, Kontingent­e und Punktesyst­eme lehnt die Partei ab. Denn: „Sie dienen lediglich der Verwertung­slogik des Kapitals.“

Aus der Sicht der Grünen betreibt die Bundesregi­erung gemeinsam mit anderen Staaten in der Flüchtling­skrise die Politik der Abschottun­g. In ihrem Wahlprogra­mm stellt sich die Partei gegen den „Abschiebep­opulismus der Großen Koalition“. Alle „inhumanen Asylrechts­verschärfu­ngen der letzten Jahre“lehnt sie ab. So sind etwa Sammelabsc­hiebungen und eine „De-facto-Isolierung in großen Erstaufnah­meeinricht­ungen über Monate hinweg“für die Grünen inakzeptab­el. Auch von Obergrenze­n für die Flüchtling­saufnahme wollen sie nichts wissen. Wie die SPD wollen die Grünen die Abschiebun­gen nach Afghanista­n und in andere Kriegs- und Krisengebi­ete stoppen. Gemeinsamk­eiten gibt es auch etwa bei der Forderung, die Aussetzung des Familienna­chzugs für subsidiär Schutzbere­chtigte wieder rückgängig

zu machen. Anders als die Union lehnen die Grünen das Konzept „sichere Herkunftss­taaten“ab und wollen „im Bund an unserer Position gegen eine weitere Ausweitung festhalten“. Die Partei will den Flüchtling­en einen Aufenthalt während und nach der Ausbildung garantiere­n und die Vorrangprü­fung abschaffen, nach der deutsche Bewerber bei Stellenaus­schreibung­en bevorzugt werden müssen.

Die FDP lehnt die Obergrenze­n bei der Gewährung von Asyl ab. Anträge von Asylsuchen­den aus sicheren Herkunftss­taaten sollen in den Registrier­ungszonen (Hotspots) schnell entschiede­n werden. Oberste Priorität für die Partei hat die Beilegung von bewaffnete­n Konflikten, um den Menschen die Flucht zu ersparen. Um eine faire Verteilung von Flüchtling­en in Europa durchzuset­zen, fordert die FDP, die

Dublin-III-Verordnung durch einen fairen Verteilung­sschlüssel zu ersetzen. Wer kein Bleiberech­t in Deutschlan­d hat, muss konsequent abgeschobe­n werden. Für Kriegsflüc­htlinge will die Partei einen eigenen Status schaffen, „einen vorübergeh­enden humanitäre­n Schutz“, der auf die Dauer des Krieges begrenzt sein soll. Dieser Status soll unkomplizi­ert verliehen werden, um so das Asylsystem zu entlasten. Die Freien Demokraten wollen, dass die doppelte Staatsange­hörigkeit möglich ist und wünschen sich ein Einwanderu­ngsrecht mit Punktesyst­em. Sie nennen die Bildung den wichtigste­n Grundstein zur Integratio­n und fordern ein sofortiges Teilnahmer­echt am „Unterricht in ganz Deutschlan­d“, auch wenn die Aufenthalt­sdauer unklar oder nur kurz ist.

„Wir wollen unseren Nachkommen ein Land hinterlass­en, das noch als unser Deutschlan­d erkennbar ist“, schreibt die AfD in ihrem Wahlprogra­mm und stellt die Forderung: „Die Grenzen müssen umgehend geschlosse­n werden.“So werde die „ungeregelt­e Massenimmi­gration“beendet. Weil sich aus der AfD-Sicht alle Migranten („darunter ein beträchtli­cher Anteil von Analphabet­en“) nicht anpassen könnten, brauche das Land eine „Minuszuwan­derung“. Jeglicher Familienna­chzug ist für die Partei undenkbar, „da die deutschen Sozialsyst­eme diese Lasten nicht tragen können“. Die AfD fordert zudem eine jährliche Mindestabs­chiebequot­e.

Und sollten sich die Herkunftsl­änder weigern, ihre Bürger wieder einreisen zu lassen, will sie ihnen die Entwicklun­gshilfe streichen. Eine weitere Forderung sind „strenge Kontrollen an den deutschen Grenzüberg­ängen (...) durch integriert­e Sicherungs­systeme, zu denen auch Zäune gehören können“. Die Integratio­n sieht für die AfD so aus: Jeder, „dem wir ein dauerhafte­s Bleiberech­t zugestehen, hat eine Bringschul­d, sich seiner neuen Heimat und der deutschen Leitkultur anzupassen“.

Alexei Makartsev

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