Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Jenseits der Komfortzone
Survival-Training in Oberschwaben – Für ein Wochenende im Wald schlafen, Fische erschlagen und mit dem Funkenstab Feuer machen
Apropos schnell: Das Kursprogramm scheint straff zu sein, also zackzack Material verteilen. Seile und Beile, Sägen und Spaten sowie Päckchen mit Erste-Hilfe-Zeug und Not-Essensrationen wollen in die mitgebrachten Rucksäcke, in denen jeder Schlafsack, Isomatte, Kochgeschirr, Messer, Trinkwasser sowie Kleidung gegen drohende Kälte und Regen mitschleppt, dazugepackt werden. Kompasse und laminierte DIN-A4-Umgebungskarten kommen gleich zum Einsatz. „Heutzutage verlassen sich ja alle aufs Navi“, meint Philipp, „Kartenlesen kann kaum mehr jemand.“Also soll hier das Wissen aufgefrischt werden, indem wir uns selbst auf der Karte verorten, dann den Sportplatz, den nächsten Stopp.
Per Marschzahl visieren wir das erste Ziel an, einen Schuppen am Ende des Feldes. Aber klar, in Wahrheit ist der Weg das Ziel. Und auf dem hat Philipp, der als Bundeswehrausbilder in zwölf Jahren mehr als 1200 Soldaten Outdoor-Techniken beigebracht hat, einiges zu erzählen. Ständig weist er auf etwas hin: Hier die Wildtierfurt durch den Bach („ein idealer Ort für eine Falle“), dort Bibernagespuren, ebenso wie später einen in der Riß schwimmenden Biber höchstselbst. Dann da oben: ein Roter Milan. Dort unten: eine Eidechse. Und was haben wir denn hier bei den Brennnesseln? „Weinbergschnecken! Mit etwas Bärlauch, Öl und Knoblauch schmecken die köstlich“, frohlockt Philipp. „Die gibt's später zum Nachtisch!“Als Appetitanreger reicht er Löwenzahnblätter und Fichtentriebe zum Kauen. Schemmerberg liegt zwar noch nicht einmal zwei Kilometer entfernt und doch fühlen wir uns schon wie Robinson Crusoe. Aber eher auf die angenehme Art: ohne richtigen Schmutz an den Händen, ohne richtigen Hunger, ohne richtiges Leiden. Und dennoch ist der Entdeckergeist geweckt, der Blick für die Besonderheiten der Natur ringsum geschärft.
Dieses Bedürfnis scheinen viele zu haben. Survival-Camps, eintägig oder als Wochenendaktion konzipiert, sind schwer gefragt. 23 Angebote vermittelt allein Jochen Schweizer, deutscher Marktführer für „Erlebnisse und Erlebnisgeschenke“, hinzu kommen noch viele weitere, oft kleine Veranstalter, die sich selbst vermarkten. Keine Frage: Die Nachfrage steigt stetig. Das spürt auch Philipp, der seine Survival-Schule erst 2016 gründete, aber dessen Kurse 2017 gut gebucht waren – und sind. Er denkt sogar schon an die nächsten Ausbaustufen. Eine hochfliegende Idee etwa sieht vor, die Themen Fallschirmspringen und Übernachten im Wald zu kombinieren.
Der Wald ist auch bei unserem Camp zentraler Kursort. Wir sehen: viele Fichten, wenig Licht, kaum andere Pflanzen. Wir spüren: die Schräglage des Hanges, der kaum ebene Stellen aufweist. Wir hören: ungefähr alle 15 Minuten einen Zug, der in ein paar Hundert Meter Entfernung vorbeirattert. Wir wissen: Hinter der Kuppe liegen die ersten Häuser von Schemmerberg, dem wir uns bogenartig wieder genähert haben. Kurz: Wildnis ist hier nur angedeutet, die Schönheit der Natur auch. Aber es geht ja um eine praktische Kulisse für praxisorientierte Kursinhalte. Hier muss man sich erst einmal per Spaten eine ebene Fläche für sein Notlager schaffen, bevor es mit Planen oder Baummaterial überdacht wird. Zudem werden jetzt alle Register gezogen: Äste gesägt, Zweige drapiert, Wurzeln aus dem Erdreich gerupft und als Naturleinen verwendet.
Nach dem Lagerbau und einer Runde Knotenkunde steht Fischzubereitung an. Olli zeigt, wie’s geht. „Forelle aus dem Bottich mit Wasser schnappen und in der Hand beruhigen. Dann hinknien und den Fisch erschlagen.“Spricht’s, nimmt ein Holzscheit, drischt drauf bis Blut spritzt. Bei den nächsten Versuchen tauschen wir Holzkeule gegen Messergriff, was unblutiger vonstattengeht. Dann kommt Schritt drei: das spitze Messer hinten ansetzen und Fisch zum Kopf hin aufschlitzen, den Bauch aufklappen und die Innereien per Hand entfernen, aber: „Vorsicht, Gallenblase nicht verletzen, sonst schmeckt’s bitter!“
Ich habe so etwas, typisch Stadtmensch, noch nie gemacht. Eine intensive Erfahrung! Wenn es gelingt, den eigenen Kopf auszuschalten, während man den Fischkopf malträtiert, ist das Schlimmste geschafft. Bis der Fisch letztlich verzehrt werden kann, dauert es aber noch. Vor dem Essen müssen Wassertonnen zum Lagerplatz geschleppt, die Sitzkreissteine