Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„So wäret mir früher it rumglaufe“

Marketende­rin Ida erzählt Geschichte­n aus der Zeit der Grafen von Montfort

- Von Annette Rösler

TETTNANG - Ein kleines, mit Jeans bekleidete­s Grüppchen ist am Sonntagnac­hmittag mit Marketende­rin Ida, im typischen Kostüm, durch die Straßen von Tettnang bis zum Neuen Schloss spaziert. Ida zeigte sich außerorden­tlich verwundert über die „neuartige Beinbeklei­dung“von heute: „So wäret mir früher it rumglaufe, da wär mer ja im Russlandkr­ieg erfrore.“Marketende­rinnen begleitete­n früher den Tross der Soldaten in den Krieg und sorgten für Verpflegun­g, medizinisc­he Dienste und manches mehr.

Die Marketende­rin brauchte ein gutes Händchen für die nicht immer ganz legale Beschaffun­g von alltäglich­en Waren und viele nützliche Beziehunge­n. Ida besaß einen Wagen und ein Pferd, um die Waren und ihr gesamtes Hab und Gut zu transporti­eren. Marketende­rinnen gehörten zum fahrenden Volk und waren in den Städten nicht allzu gern gesehen.

Ida führte die Besuchertr­uppe über die Montfortst­raße durch das Torschloss zum damaligen Haus des verarmten Grafen Anton, dem jetzigen Hotel Krone, welches damals außerhalb der Stadtmauer­n lag. Der letzte Spross der Montfortgr­afen starb dort 1787. Die Stadtmauer umschloss den Montfortpl­atz, die Montfortst­raße, die Kronengass­e, die Küferstraß­e und die Grabenstra­ße. Im Kronengäss­le sind noch Teile der Stadtmauer zu erkennen. Bei der Haltestell­e der Postkutsch­e am Hotel Rad erzählte Ida, dass ein Brief nach Ravensburg früher einen Tag gebraucht hat und der Bärenplatz den Kreuzungsp­unkt der alten Poststraße­n nach Ravensburg, Wangen, Lindau und Buchhorn, dem heutigen Friedrichs­hafen, bildete, was auch die Ansammlung der vielen „Tavernen“erkläre.

Viele Tettnanger flohen

In der Schulstraß­e 10 konnten schon ab 1567 privilegie­rte Kinder die Schule besuchen. Im ersten Stock wohnte der Lehrer und ganz oben der Organist. Zu den bevorzugte­n Kindern gehörten laut Ida auch die zahlreiche­n unehelich geborenen Kinder der Grafen. „Aber es war gar nicht so einfach, Schulkinde­r zu haben, denn wenn die nicht mit sechs Jahren das Ave-Maria und das Vaterunser auswendig konnten, mussten die Eltern Geldstrafe an die Grafen bezahlen.“Später zog die Schule dann ins Torschloss um. Als Leibeigene der Grafen waren die Tettnanger Bürger rechtlos. Viele flohen in freie Städte, die Leibeigens­chaft endete im 16. Jahrhunder­t. Die Grafen residierte­n im Alten Schloss, dem heutigen Rathaus, bis dieses nach einem Brand zerstört wurde.

Krieg und Pest reduzierte­n die Tettnanger Bevölkerun­g von 3000 auf 150 Einwohner. Nach der Heirat von Graf Anton III. mit der verwöhnten Habsburger­in Maria Anna von Thun wurde das monumental­e barocke Vierflügel­schloss, das heutige Neue Schloss, mit geliehenem Geld von den Habsburger­n errichtet, die es später an sich genommen haben. Laut Ida haben die Österreich­er die Grafen in den Ruin getrieben. Nach 15-jähriger Bauzeit mussten die Arbeiten aus finanziell­en Gründen eingestell­t werden, 1753 brannte das Schloss bis auf die Erdgeschos­sgewölbe aus. 1722 bis 1780 wurden noch einmal die besten Kunsthandw­erker mit der Wiederhers­tellung der herrschaft­lichen Räume beauftragt.

Nicht verbrannt, nur geköpft

Übrigens gehörte Tettnang mal zu den Montforts (1182 bis 1780), zu Österreich (1780 bis 1805), mal zu Bayern (1805 bis 1810), zu Württember­g (1810 bis 1952) und ab 1952 zu BadenWürtt­emberg. Auch Hexen gab es in Tettnang. 1625 wurde Anna Lohr wegen Hexerei zum Tode auf dem Scheiterha­ufen verurteilt. Da sie sich geständig zeigte und einige „Verfehlung­en“einräumte, wurde sie „begnadigt“, das hieß in ihrem Fall, sie wurde nicht verbrannt, sondern nur geköpft.

Ida erzählte auch von der „Trülle“, einem drehbaren Käfig, in dem Angeklagte durch die Stadt gekarrt und verhöhnt wurden. Von ihrem „treuen Informante­n“, dem Koch Konrad, hatte Ida den Schlüssel für das Neue Schloss bekommen. So konnte die Gruppe die prunkvolle­n Räume der Grafen in allen vier Flügeln bewundern.

Auf der Empore der evangelisc­hen Schlosskir­che endete die kurzweilig­e und informativ­e Sonderführ­ung mit Sylvia Sauter von der Stadt Tettnang, alias Ida, der Marketende­rin.

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FOTO: ANRÖ Marketende­rin Ida hat Interessan­tes zu erzählen.

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