Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Wir können sie nicht einfach auf die Straße setzen“
Landrat Lothar Wölfle: Bei der Anschlussunterbringung von Asylbewerbern hakt es noch
FRIEDRICHSHAFEN - Im Landratsamt herrscht noch Sommerbesetzung. Jedenfalls bekommt man derzeit mitten am Werktag ohne Herumkurverei auf Anhieb einen Parkplatz. Die Chefetage im siebten Stock ist allerdings wieder gut besetzt. Wasser tropft zwar nicht mehr von der Decke, aber das Malheur, über das wir am 1. August berichteten, sei noch nicht ausgestanden, wie Landrat Lothar Wölfle im Sommerinterview mit Anton Fuchsloch sagt.
Streiten Sie mit der Fränkel AG immer noch über die Sanierung des Dachs?
Leider ist die Sache noch nicht ganz ausgestanden. Der Sachverständige prüft derzeit die Vorschläge, wie man das Dach auf Dauer dicht bekommen kann. Sobald dieser das Okay gibt, kann saniert werden. Eine Flickschusterei, wie sie bisher vorgenommen wurde, kommt für uns nicht mehr in Frage. Wenn das Gebäude 2026 an den Landkreis geht bin ich vermutlich zwar nicht mehr im Amt, aber ich will mir von meinem Nachfolger nicht vorwerfen lassen, ich hätte mich nicht um das Problem gekümmert.
Die Sozialausgaben steigen und steigen. Schon lange kann die Kreisumlage das Defizit, das dieses Jahr erstmals die 100 Millionen Euro Marke überstiegt, nicht mehr ausgleichen. Wird der Kreis die Gemeinden wieder stärker zur Kasse bitten?
Es ist kein Gesetz, dass die Kreisumlage das Defizit der Sozialausgaben deckt, sondern ein Orientierungsrahmen. Von diesem weichen wir stark ab. Mit unter 90 Prozent haben wir landesweit die geringste Deckungsquote. Den Ausgleich schaffen wir nur, weil wir einen guten Haushalt haben. Wie sich die Umlage 2018 entwickelt, dazu kann ich noch nichts sagen. Was mir aber Sorge bereitet, ist die Entwicklung im Flüchtlingsbereich.
Wie das, die Lage hat sich doch entspannt und Zuweisungen haben sich stark reduziert?
Das ist richtig. Momentan müssen wir zirka 30 Menschen pro Monat neu unterbringen. Damit kommen wir klar. Aber es hakt bei einigen Städten und Gemeinden. Zwei Drittel von ihnen kommt der Verpflichtung nicht ausreichend nach, Asylbewerber, die einen Aufenthaltsstatus haben und die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen müssen, in die Anschlussunterbringung zu nehmen. Wir sprechen da von rund 300 Perkeine sonen, die wir nach einer an der Zahl der Einwohner bemessenen Quote längst hätten auf die Städte und Gemeinden verteilen müssen. Das klappt leider nicht so, wie wir uns das vorstellen und wie es sein müsste. Weil wir die Menschen aber nicht einfach auf die Straße setzen können, behalten wir sie in den Gemeinschaftsunterkünften. Das ist rechtlich nicht in Ordnung und hat enorme finanzielle Auswirkungen für den Kreis. Denn mit dem Aufenthaltsstatus fallen die zirka 1300 Euro weg, die das Land pro Asylbewerber und Monat als Kostenersatz zahlt. Das müssen wir übernehmen. Grob hochgerechnet werden es in diesem Jahr zirka 4,7 Millionen Euro sein, was in etwa zwei Prozentpunkten der Kreisumlage entspricht.
Und warum bitten Sie die Gemeinden, die die Quote nicht erfüllen, einfach zur Kasse?
Das geht leider nicht. Ich kann die Kreisumlage nicht splitten. Das heißt, dass eine Drittel der Städte und Gemeinden, die ihre Quote erfüllen, doppelt zur Kasse gebeten werden, indem sie die Flüchtlinge aufnehmen und ihnen Wohnraum zur Verfügung stellen und indem sie über die Kreisumlage andere Gemeinden sponsern. Ein Umstand, der kommunalpolitischen Sprengstoff birgt. Ich kann nur an alle, die im Verzug sind appellieren, mehr zu tun.
Wohnen ist ja allgemein ein schwieriges Thema. Wäre es denn keine Option, dass der Landkreis in den sozialen Wohnungsbau einsteigt? Das gab’s ja schon mal vor vielen Jahren.
Tatsächlich würde es die Situation rechtfertigen. Aber das Problem im Bodenseekreis ist, Grundstücke zu vernünftigen Preisen zu bekommen. Eigentlich gelingt es nur Städten und Gemeinden, die eigene Flächen haben, zu bauen, und das tun ja auch einige. Ich selbst habe im Kreistag mehrmals eine neue Genossenschaftslösung ins Gespräch gebracht und mir das Ganze auch als Geschäftsmodell durchrechnen lassen, aber der Vorschlag stieß bisher auf Resonanz.
Der Landkreis ist mit 39,38 Prozent Gesellschafteranteilen einer der beiden großen Gesellschafter des Flughafens Friedrichshafen. Nach einer Kapitalerhöhung in 2015 um 3,5 Millionen Euro braucht das Unternehmen schon wieder eine Finanzspritze von zwei Millionen. Wie lange noch kann und will der Landkreis das jährliche Defizit ausgleichen?
Wir können nicht jedes Jahr einen siebenstelligen Betrag drauflegen, das geht nicht. Wenn wir die innerdeutschen Linien wieder hinkriegen, müssten wir aber die 600 000 Passagiere schaffen. Damit würde der Flughafen auf Null herauskommen. Noch ist aber kein Geld geflossen. Mit der Zusage der zwei Millionen von Stadt und Landkreis wollten wir die Geschäftsleitung des Flughafens in die Lage versetzen, handlungsfähig zu sein. Das zweite Problem ist, wir müssen von den Schulden runter. Da müssen alle Gesellschafter ran, auch das Land. Beides hängt zusammen. Es sind aus meiner Sicht die beiden existenziellen Fragen: Sind die Gesellschafter bereit, bei den Schulden tabula rasa zu machen und klappt das Geschäftsmodell als Regionalflughafen mit attraktiven innerdeutschen Verbindungen?
Der Start des Vorzeigeprojektes der DBT, die Echt Bodensee Card (EBC), war eher holprig. Die Widerstände im Gastgewerbe sind groß, die Gemeinderäte zögern oder schießen quer, Bürgermeister zeigen wenig Kampfgeist. So kann das mit der touristischen Vermarktung des Bodensees und der Einbindung des Nahverkehrs doch nichts werden – oder?
Ich bin vom Produkt EBC felsenfest überzeugt. Der Tourismus braucht die Karte, und ich bin froh, dass es Bürgermeister gibt, die sich dafür einsetzen. Auf deren Wunsch hin haben wir schließlich das Projekt gestartet. Nächstes Jahr werden wir, bezogen auf die EBC-Gemeinden, doppelt so viel Übernachtungen haben, was schon mal positiv ist. Dennoch wird sich die Refinanzierung der Investitionen länger hinziehen als geplant. Was mich bedrückt, ist die Art der Auseinandersetzung, die zuweilen kreuzzugartige Züge annimmt. Für manche Leute scheint mit der neuen Gästekarte die Welt unterzugehen.
Können Sie nicht auch Friedrichshafen für die Karte gewinnen?
Weil hier die rein touristischen Übernachtungen gegenüber dem Geschäftsreiseverkehr eher unterrepräsentiert sind, gibt es dort kein sonderliches Interesse. Dennoch wäre die Teilnahme der Stadt für uns wichtig. Und sicher würde mancher Messebesucher die EBC nutzen, um statt mit dem Auto mit dem Bus zur Messe zu kommen.
Für den Ausbau der Bodenseegürtelbahn legen sich alle ins Zeug. Das Zukunftsprojekt ist politisch unumstritten. Doch wie, wann, mit welchen Kosten und zu welchen Konditionen das Ganze umgesetzt werden kann, ist noch unklar. Haben Sie eine konkrete Vorstellung, wie das Ding unter Strom und auf die Schiene gebracht werden kann?
Wir bohren hier ein dickes Brett. Die kommunale Seite wird die Investition, die sich nach heutigem Stand auf rund 150 Millionen Euro beläuft, nicht stemmen können. Das geht nur über Zuschüsse von Bund und Land, die sich im Moment aber gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben, ob der Bodenseeraum als ländlicher Raum oder Verdichtungsraum zu sehen ist. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Lage nach der Bundestagswahl entspannt. Wir lassen uns dadurch aber nicht hemmen, sondern arbeiten weiter. Wie bei der Südbahn kann ich mir vorstellen, dass wir die ersten Planungsphasen kommunal vorfinanzieren. Wir prüfen außerdem, ob uns alternative Antriebstechniken wie zum Beispiel Hybridlösungen weiterbringen können.
Die Sanierung und Erweiterung des alten Landratsamts und die Schaffung zusätzlicher Parkplätze steht schon viele Jahre auf der Agenda. Wie weit sind die Planungen vorangeschritten? Wann ist es so weit?
Wir brauchen die Stadt Friedrichshafen dazu. Nach der Sommerpause wollen wir einen städtebaulichen Wettbewerb einleiten, aber dazu brauchen wir eben die Unterstützung der Stadt, die für den Bebauungsplan zuständig ist und auch Teile der von uns genutzten Grundstücke besitzt. Das Landratsamt bringt viele Arbeitsplätze und zentralörtliche Funktionen in die Stadt, von deren Nähe gerade die Häfller ganz erheblich profitieren. Ich hoffe deshalb, dass wir in den nächsten Wochen grünes Licht für die nächsten Planungsschritte bekommen.
„Zwei Drittel der Städte und Gemeinden kommen ihrer Verpflichtung, Asylbewerber unterzubringen, nicht nach.“
„Wir können nicht jedes Jahr einen siebenstelligen Betrag drauflegen.“
Schon lange ist von der Sanierung des Bildungszentrums Markdorf die Rede. Wie weit sind die Planungen, welche Schritte stehen bevor und vor allem, wann ist mit Baumaßnahmen zu rechnen?
Das wird am 11. Oktober in den Kreistag kommen. Es geht nächstes Jahr mit der Sanierung der Sporthalle los. Die Pläne liegen vor, die Ausschreibung ist schon vorbereitet. Dann kommen die naturwissenschaftlichen Räume und der Ganztagsbereich dran. Was die Schulträgerschaft betrifft, sind wir auch ein gutes Stück weiter. Der Entwurf einer Vereinbarung zwischen Stadt Markdorf und uns wird derzeit erarbeitet. Ich gehe davon aus, dass wir den Vertrag noch dieses Jahr unter Dach und Fach kriegen.
Der Energiekonzern RWE macht wieder Kohle – wie steht’s mit EnBW? Wann kann der Landkreis wieder eine Ausschüttung erwarten?
Positive Zahlen werden derzeit nur wegen der Rückzahlung der Kernbrennstoffsteuer geschrieben. RWE macht infolge dieses Einmaleffekts eine Sonderausschüttung. Bei der EnBW ist das noch nicht entschieden. Ich frage mich, ergibt es Sinn, wenn man einmalig Geld in die Tasche gesteckt kriegt, es gleich wieder zu verteilen. Wenn Sie die Aktionärsstruktur der RWE anschauen, wissen Sie, warum man dort diese Beruhigungspille verteilt hat. Das ist kein nachhaltiges Wirtschaften. Warten wir lieber die Jahresergebnisse ab. Von Seiten der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke OEW als Anteilseigner der EnBW gibt es aber eine klare Erwartungshaltung an das Unternehmen. Wir wollen zumindest unsere Finanzverbindlichkeiten als OEW abdecken. Ob es dann in der nächsten Stufe noch für eine Ausschüttung an die Landkreise reicht, wird man sehen. Von einer Schaupolitik mit Symbolbeträgen halte ich aber nichts. Da bin ich eher der schwäbische Hausmann, der sagt „erst mal von den Schulden runter.“
„Von einer Schaupolitik mit Symbolbeträgen wie sie RWE betreibt, halte ich nichts.“