Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Lammert liest dem Parlament die Leviten

Der scheidende Bundestags­präsident fordert von den Politikern mehr Debatten

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Bundestags­präsident Norbert Lammert hat sich in der letzten Sitzung des Bundestags vor der Wahl verabschie­det – und dies, nicht ohne dem Parlament noch einmal die Leviten zu lesen. Der CDU-Politiker mahnte, es werde „zu häufig geredet und zu wenig debattiert“. „Der Bundestag ist nicht immer so gut, wie er sein könnte und vielleicht auch sein sollte“, sagte der Bochumer, der nicht wieder für den Bundestag kandidiert.

Der 68-Jährige warnte die Parlamenta­rier vor einem „allzu großzügige­n Umgang mit unserer Verfassung“. Von der Asylgesetz­gebung über die Föderalism­usreform bis zum neuen Länderfina­nzausgleic­h werde sie häufiger und umfangreic­her verändert, „als es ihrem überragend­en Rang“entspreche.

Norbert Lammert hat sich als unbequemer Bundestags­präsident immer wieder eingeschal­tet. Er hat in den letzten vier Jahren der übermächti­gen Großen Koalition sehr darauf geachtet, dass die Minderheit­enrechte gewahrt wurden. Das trug ihm Respekt bei Linken und Grünen ein. Die linke Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t dankte ihm für seine faire Amtsführun­g. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte am Dienstag: „Ich werde Ihren Scharfsinn, Ihren Humor vermissen.“

Auch in den eigenen Reihen achtete Lammert auf Minderheit­en. So räumt er zum Beispiel in der Eurokrise den sogenannte­n Abweichler­n Klaus Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) gegen den Willen der Fraktionss­pitzen das Rederecht ein. Nicht, dass am Ende Mehrheiten entscheide­n, sondern dass auf dem Weg dahin Minderheit­en ihre Rechte wahrnehmen können, sei die vornehmste Aufgabe des Parlaments­präsidente­n, sagte er zum Abschied. Besonders in Erinnerung, so Lammert, blieben ihm Höhepunkte wie die erste Rede eines deutschen Papstes vor einem gewählten deutschen Parlament oder die denkwürdig­e gemeinsame Sitzung des Bundestage­s mit der französisc­hen Nationalve­rsammlung aus Anlass des 50.Jahrestags des Elyseée-Vertrags, aber auch die Auftritte von Navid Kermani und Wolf Biermann zum Geburtstag des Grundgeset­zes und zum Jahrestag des Mauerfalls. „Und dass mal den einen dies und mal den anderen jenes nicht nur gefallen hat, das war zugegebene­rmaßen eingepreis­t“, sagte Lammert. Die Unionsfrak­tion hatte sich bei Lammert schon tags zuvor bedankt und ihm eine Fahne des Reichstags geschenkt, auf die er in den vergangene­n zwölf Jahren blicken konnte.

In jüngster Zeit hatte sich Lammert noch einmal vehement für eine Verkleiner­ung des Parlaments stark gemacht, allerdings ohne Erfolg. Da Lammert neben seinen allseits bewunderte­n rhetorisch­en Fähigkeite­n und seinem Humor auch ein wenig eitel ist, hat er den Spitznamen „der Unfehlbare“bekommen. Unfehlbar, das werde er nicht unterschre­iben, meinte SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann „aber fehlen werden Sie uns schon“. Zum Schluss bat Lammert die Abgeordnet­en, über den Wettbewerb der Parteien hinweg den Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamenta­listen zu bewahren. Eine deutliche Mahnung, falls die AfD ins Parlament einziehen sollte.

Zum Abschied drückte ihn Britta Hasselmann, die grüne Geschäftsf­ührerin, noch einmal ganz fest, auch sie schätzt Norbert Lammert sehr. Den Bundestag hat er verlassen, aber viele Wahlkampft­ermine in ganz Deutschlan­d wird er noch wahrnehmen. Und dass seine Stimme auch in Zukunft zu hören sein wird, davon gehen alle im politische­n Berlin aus. Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder sagte, man werde bestimmt weiter von ihm hören, „wenn ihm die Hutschnur platzt“– und lud ihn in die Fraktion ein. LEITARTIKE­L

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FOTO: DPA Eindringli­che Worte: Bundestags­präsident Norbert Lammert am Dienstag bei seiner letzten Rede im Plenum.

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