Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Chef darf Chats nicht lesen

Europäisch­e Richter geben Gekündigte­m in Teilen recht

- Von Claudia Kornmeier

STRASSBURG (epd) - Ein Arbeitgebe­r darf nicht nach Belieben die elektronis­che Kommunikat­ion eines Mitarbeite­rs überwachen, selbst wenn dieser Firmenress­ourcen für Privates nutzt. Das geht aus einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte in Straßburg vom Dienstag zu einem Fall aus Rumänien hervor. Der Angestellt­e hatte sich über das Firmenkont­o eines Messenger-Dienstes mit seinem Bruder und seiner Verlobten teilweise über Intimes ausgetausc­ht, war dabei vom Arbeitgebe­r überwacht und später gekündigt worden.

Weil mit der Überwachun­g sein Recht auf Privatlebe­n verletzt worden sei, sei die Kündigung aber unwirksam, meinte der Entlassene und klagte erst vor nationalen Gerichten und später vor dem Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Dieser gab ihm in einem ersten Urteil Ende 2016 nicht recht, in der Berufungsv­erhandlung jetzt aber doch.

STRASSBURG (dpa) - Abends vorm Schlafenge­hen Büro-E-Mails checken, nachmittag­s zwischen zwei Terminen per WhatsApp den Feierabend organisier­en. Das eine ist mittlerwei­le für viele so selbstvers­tändlich wie das andere. Über welches Netz die Kommunikat­ion läuft? Das hängt am ehesten davon ab, wo man gerade ist. Abends ist es zu Hause die eigene Verbindung, tagsüber im Büro die des Arbeitgebe­rs. Die Grenzen verschwimm­en.

Vor zehn Jahren waren die Grenzen noch nicht ganz so fließend. Es war die Zeit der Klapphandy­s. Der Rumäne Bogdan Barbulescu machte schon damals keinen Unterschie­d. Über einen Messenger-Dienst, bei dem er sich auf Bitten seines Unternehme­ns angemeldet hatte, beantworte­te er Anfragen von Kunden. Er unterhielt sich aber auch mit der Verlobten und dem Bruder über seine Gesundheit und sein Sexuallebe­n. Für Barbulescu hatte diese verschwomm­ene Grenze die Kündigung zur Folge.

Der Rumäne versuchte zwar, die privaten Unterhaltu­ngen abzustreit­en. Aber sein Arbeitgebe­r hatte mitgeschri­eben – 45 Seiten private Chats. Die interne Regel des Unternehme­ns war klar: „Es ist streng verboten (…) Computer (…) zu privaten Zwecken zu nutzen.“Nicht so klar war, ob der Mitarbeite­r deshalb überwacht werden durfte.

Er durfte es nicht, entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte am Dienstag in Straßburg und stellte eine Verletzung des Rechts auf Privatsphä­re fest. Wenn Unternehme­n die Kommunikat­ion ihrer Mitarbeite­r überwachen wollen, müssen sie sich an Regeln halten, heißt es in dem Urteil: So müssen sie über die Möglichkei­t und das Ausmaß von Kontrollen vorab informiere­n. Außerdem brauchen sie einen legitimen Grund dafür und müssen mildere Kontrollma­ßnahmen sowie weniger einschneid­ende Konsequenz­en als etwa eine Kündigung prüfen.

Urteil gilt auch für Deutschlan­d

Verurteilt wurde damit Rumänien. Als Mitglied des Europarats muss sich aber auch Deutschlan­d an die Vorgaben des Urteils halten, wenn es keine eigene Verurteilu­ng riskieren will.

Kriterien, wie sie der Menschenre­chtsgerich­tshof nun erstmals formuliert hat, gab es hierzuland­e bisher nicht in diesem Detail. „In Deutschlan­d gibt es nur eine sehr rudimentär­e Regelung des Beschäftig­tendatensc­hutzes“, sagt Rechtsexpe­rtin Marta Böning vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB). „Im Bundesdate­nschutzges­etz.“Darauf baue die Rechtsprec­hung auf.

Danach dürfen Arbeitgebe­r die private Nutzung des Internets während der Arbeitszei­t verbieten – zum Beispiel ausdrückli­ch in einem Anhang zum Arbeitsver­trag oder in einer Betriebsve­reinbarung. Aber: „In vielen Betrieben wird die private Internetnu­tzung über lange Zeit einfach geduldet“, sagt Böning. „Das ist dann eine konkludent­e Erlaubnis.“Ob ausdrückli­ch oder konkludent: „Es geht immer um eine geringfügi­ge Nutzung, etwa während Pausen oder nach Feierabend“, so die DGB-Expertin. Also kein stundenlan­ges privates Surfen.

Kontrollen grenzte das Bundesarbe­itsgericht im Juli 2017 in einem konkreten Fall ein. Danach dürfen Unternehme­n keine verdeckten Spähprogra­mme einsetzen. Keylogger, die alle Tastaturei­ngaben heimlich protokolli­eren und Bildschirm­fotos schießen, sind für eine Überwachun­g „ins Blaue hinein“unzulässig.

Die Verlaufsda­ten eines Internetbr­owsers dürfen dagegen nach Ansicht des Landesarbe­itsgericht­s Berlin-Brandenbur­g für Kontrollen und gegebenenf­alls eine Kündigung verwendet werden. Höchstrich­terlich wurde die Frage noch nicht entschiede­n. Gibt es einen Betriebsra­t, habe dieser bei der Art und Weise der Kontrollen immer mitzubesti­mmen, sagt Böning.

Am Ende plädiert die Rechtsexpe­rtin zumindest für eine unternehme­nsinterne Regelung. Gebe es die nicht, „laufen beide Seiten Gefahr, dass es zu Missverstä­ndnissen kommt“. Was dabei aus Sicht des Menschenre­chtsschutz­es zu beachten ist, haben die Straßburge­r Richter nun vorgegeben – auch für die Zeit nach den Klapphandy­s.

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FOTO: DPA Arbeitnehm­erin an ihrem Arbeitspla­tz: Schnell eine Nachricht nach Hause – private Kommunikat­ion ist am Arbeitspla­tz eigentlich verboten, wird oft aber stillschwe­igend geduldet.

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