Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Tatverdäch­tiger Afghane hat beim Alter gelogen

In Freiburg hat der Prozess gegen den mutmaßlich­en Mörder der Studentin Maria L. begonnen – Alter des Angeklagte­n bleibt unklar

- Von Uwe Jauß

FREIBURG (dpa) - Der wegen Mordes an einer 19-jährigen Studentin in Freiburg angeklagte Hussein K. hat beim Prozessauf­takt zugegeben, über sein Alter gelogen zu haben. Bei der Ankunft in Deutschlan­d im Jahr 2015 sei er bereits 18 und nicht, wie damals von ihm behauptet, 16 Jahre alt gewesen. Der Flüchtling sagte am Dienstag beim Freiburger Landgerich­t erstmals aus. „Wenn man minderjähr­ig ist, ist die Situation in Deutschlan­d besser“, erklärte er. Sein Alter ist eine zentrale Frage im Prozess. Die Verhandlun­g wird wegen der Unklarheit­en zum Alter vor der Jugendkamm­er geführt. Nach Auffassung der Ankläger ist K. sogar mindestens 22 Jahre alt. Papiere mit Geburtsdat­um oder Angaben zur Herkunft gibt es nicht. K. sagte am Dienstag, er sei in Afghanista­n geboren und aufgewachs­en. Ihm wird Vergewalti­gung in besonders schwerem Fall sowie die Ermordung von Maria L. vorgeworfe­n.

FREIBURG - Früh am Dienstagmo­rgen hat Hussein K. von Justizvoll­zugsbeamte­n noch ein starkes Beruhigung­smittel bekommen. Er war vom Gefängnisk­rankenhaus auf der Festung Hohen Asperg nördlich von Stuttgart nach Südbaden zum Freiburger Landgerich­t gebracht worden. Angeblich hatte der junge Afghane die Nacht zuvor schlecht geschlafen, lautet die Begründung für die Arzneigabe. Jedenfalls kommt ein sichtlich müder Bursche kurz nach 9 Uhr im schlichten Gerichtssa­al an – vorgeführt in Hand- und Fußfesseln.

Unter Beobachtun­g

„Auf den ersten Blick wirkt er harmlos“, meint eine ältere Frau, die auf der vollbesetz­ten Zuschauert­ribüne des Saals mit letzter Not einen Platz gefunden hat. Sie hat nicht unrecht. Hereingefü­hrt kommt ein etwas molliger Mann im weinroten Sweatshirt, der kaum die Augen aufhalten kann und eingeschüc­htert wirkt. Ins Gefängnisk­rankenhaus war Hussein K. zur Dauerbeoba­chtung gebracht worden, weil ein Justiz-Psychologe meint, er könne sich selber etwas antun. Geht es jedoch nach der Staatsanwa­ltschaft, ist der Mann praktisch ein Ungeheuer. Sie wirft ihm eine besonders bestialisc­he Vergewalti­gung mit anschließe­ndem Mord vor.

Opfer war die 19-jährige Medizinstu­dentin Maria L.. Gegen drei Uhr morgens soll Hussein K. im vergangene­n Jahr am 16. Oktober über die zierliche Frau hergefalle­n sein. Ein Fall, der seinerzeit für starke politische Nachwehen sorgte, weil der mutmaßlich­e Täter als Flüchtling nach Deutschlan­d gekommen war.

Oberstaats­anwalt Eckart Berger schildert vor Gericht, wie die Tat seiner Meinung nach abgelaufen ist. Das Opfer sei mit dem Fahrrad auf dem Heimweg von einem Studentenf­est gewesen. Zwischen der Nordtribün­e des Schwarzwal­dstadions und dem Flüsschen Dreisam habe Hussein K. dann zugeschlag­en – „um seinen Geschlecht­strieb zu befriedige­n“, sagt der Oberstaats­anwalt. Der Angeklagte griff demnach in den Lenker von Maria L.s Fahrrad und zerrte sie in eine unbeleucht­ete Ecke an der Dreisam. Er habe die junge Frau so gewürgt, dass ihr Hilfeschre­ie nicht möglich gewesen seien. Nach Erkenntnis­sen der Gerichtsme­dizin muss der Täter dann mit äußerster Brutalität in verschiede­ne Körperöffn­ungen des Opfers eingedrung­en sein. „Um seine Täterschaf­t zu verbergen, hat er die bewusstlos gewordene Frau dann mit dem Gesicht nach unten in die Dreisam gelegt“, glaubt Berger. Noch lebte Maria L. nämlich. Als Todesursac­he wurde später Ertrinken festgestel­lt.

Hussein K. hat bisher kein Geständnis abgelegt. Die Beweise scheinen aber erdrückend zu sein. Sie beruhen auf einer Erbgut-, beziehungs­weise DNA-Analyse. Dass Hussein K. überhaupt vor Gericht steht, hat in diesem Zusammenha­ng mit einem teilweise blond gefärbten schwarzen Haar zu tun. Die Polizei fand es in einer Brombeerhe­cke am Tatort.

Das besagte Haar beinhaltet­e dieselbe DNA, die am und im Körper des Opfers entdeckt worden war. Worauf sich die Polizei Überwachun­gsvideos der Freiburger Verkehrsbe­triebe anschaute. Und wirklich: In der Tatnacht war gegen zwei Uhr im Bereich des Schwarzwal­dstadions ein Mann mit entspreche­nder Haartracht unterwegs gewesen. Die Fahnder hatten ein Gesicht. Am 2. Dezember entdeckte eine Polizeistr­eife die gesuchte Person – Hussein K. Seine DNA passte zum Haar sowie zu den Spuren an Maria L..

Neben dem eigentlich­en Verbrechen entwickelt­e der Fall sofort eine weitere Dimension. Angst machte sich unter vielen Frauen in Freiburg breit. Pfefferspr­ay gedieh zum Verkaufssc­hlager. Rechtspopu­listen diente Hussein K. sofort als Angriffsmi­ttel auf Angela Merkels Flüchtling­spolitik. Die ARD-Tagesschau wurde heftig angegangen, weil sie erst sehr verspätet über die mögliche Täterschaf­t berichtete. Der Vorwurf lautete, sie wolle einen ihr unliebsame­n Fall unter den Teppich kehren. Die Redaktion wiederum rechtferti­gte sich damit, dass sie dem Verbrechen anfangs nur „regionalen Charakter“zubemessen habe.

Indes rief die Alternativ­e für Deutschlan­d nach der Verhaftung von Hussein K. zu einer Demonstrat­ion gegen die Flüchtling­spolitik in Freiburg auf. Dies versuchte sie jetzt am Dienstagmo­rgen nochmals vor dem Landgerich­t. Rund zehn ihrer Anhänger kamen. Sie wurden von einigen Dutzend Linksextre­misten niedergebr­üllt, die sich auf der anderen Straßensei­te postiert hatten. Deren Forderung: „Faschisten raus.“Die Polizei verhindert­e einen Sturm der recht jung wirkenden Linken über die Straße.

Dass sich die Eltern des Opfers schon vergangene­n Dezember empört über eine politische Instrument­alisierung des Falles geäußert haben, scheint zu einer bloßen Fußnote der ganzen Umstände geworden zu sein. Man solle sie doch um die tote Tochter trauern lassen, wurde damals von ihrer Seite verlautbar­t. Die Eltern beteiligen sich zwar als Nebenkläge­r am Prozess, wollen aber selber nicht nach Freiburg kommen.

Insgesamt sind noch weitere 15 Sitzungsta­ge geplant, bis ein Urteil fällen soll. Bei einem Schuldspru­ch könnte Hussein K. lebensläng­lich ins Gefängnis müssen – oder auch nicht. Diese Einschränk­ung hat mit einer Unklarheit zu tun: Das Gericht weiß schlichtwe­g nicht, wie alt der Angeklagte ist. Er könnte zur Tatzeit jünger als 21 Jahre gewesen sein. Deshalb wird vor der Jugendkamm­er verhandelt. Die Höchststra­fe wären dann zehn Jahre Haft. Ein medizinisc­hes Gutachten legt jedoch nahe, dass Hussein K. nicht mehr unter das Jugendstra­frecht fällt.

Als die Vorsitzend­e Richterin Kathrin Schenk am ersten Verhandlun­gstag die Altersfrag­e stellt, sagt der Angeklagte: „Ich bin am 12.11.1376 geboren.“Eine Angabe, die zuerst für leichte Irritation­en sorgt. Sie bezieht sich auf die islamische Zeitrechnu­ng. Christlich­erseits wäre damit bei korrekter Berechnung das Jahr 1998 gemeint. Im Fortgang des Prozess will sich Schenk einen ganzen Tag lang der Klärung des Alters widmen. Am Dienstag hat sie sich hingegen erst einmal durch die Vita des Angeklagte­n gekämpft.

Er stammt wohl aus Ghazni, einer Stadt, die südlich der afghanisch­en Regierungs­zentrale Kabul liegt. Offenbar gehört Hussein K. zum Volksstamm der Hazara, Abkömmling­en einstiger mongolisch­er Eroberer. Deren Ansehen ist in Afghanista­n zwiespälti­g. Die Familie des Angeklagte­n gehörte nach seinen Aussagen dann auch eher zu ärmeren Bevölkerun­gsschichte­n.

Hussein K. redet durchaus folgsam. Die Vorsitzend­e Richterin lockt Wort für Wort aus ihm heraus. Daraus entsteht das Bild eines frühzeitig gescheiter­ten Menschen. „In Afghanista­n hatte ich keine Freunde“, berichtet der Angeklagte. Ihm sei dort bereits als Buben der Spitzname Dieb verpasst worden, weil er gestohlen habe.

Bereits in jungen Jahren will Hussein K. Haschisch und Heroin probiert haben. Unklar bleibt für die Öffentlich­keit die Rolle einer Koranschul­e in Afghanista­n. Hier wurde er offenbar sexuell missbrauch­t – angeblich der Grund für seine Flucht aus seiner Heimat. Einzelheit­en des Missbrauch­s will das Gericht jedoch in nicht öffentlich­er Sitzung erörtern. „Zum Schutz der Persönlich­keitsrecht­e des Angeklagte­n“, betont Richterin Schenk.

Ein Verbrechen, das der Angeklagte auf seinem weiten Weg nach Europa begangen hatte, kam am Dienstag ebenso wenig zur Sprache: 2013 hatte er auf der griechisch­en Insel Korfu eine Studentin überfallen und eine Klippe hinunterge­worfen. Sie überlebte schwerverl­etzt. Hussein K. kam ins Gefängnis, wurde aber 2015 im Rahmen einer Amnestie freigelass­en. Er schlug sich über die Balkanrout­e bis nach Freiburg durch und stellte dort nach Behördenun­terlagen am 12. November desselben Jahres einen Asylantrag.

Hasch und Heroin

Hussein K. beschreibt, wie er die Zeit bis zum Tod von Maria L. verbracht hat: „Mit einen Freund zusammen habe ich acht bis neun Monate Alkohol getrunken, Haschisch geraucht und ein- bis zweimal die Woche Heroin konsumiert.“Gedämpftes Aufstöhnen im Zuschauerb­ereich, empörtes Tuscheln. Währenddes­sen berichtet der Angeklagte weiter mit leiser, schleppend­er Stimme. Ein Übersetzer verdeutsch­t das Gesagte. Spannend wären jetzt Angaben zur Tatnacht. Darauf will die Vorsitzend­e Richterin aber erst bei der späteren Beweisaufn­ahme zurückkomm­en. Inwieweit Hussein K. dann etwas Relevantes dazu sagen will, bleibt nach einem unbestimmt­en Gemurmel zwischen seinem Verteidige­r, dem Übersetzer und ihm im Ungewissen.

Am Abend wird er wieder in Fesseln zurück auf den Hohen Asperg gebracht. Direkt bei den Gefängnism­auern gibt es ein beliebtes Ausflugslo­kal – ein Ort des Lebens ebenso wie eigentlich die Dreisam beim Schwarzwal­dstadion und der nahen Jugendherb­erge. An diesem Fleck erinnern aber jetzt ewige Lichter und Briefe bei einem Ahornbaum an den Tod und das Opfer: „Liebe Maria, wir werden Dich niemals vergessen“, haben Freunde des Opfers geschriebe­n.

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FOTO: AFP Jugendlich­e Erscheinun­g: Hussein K. wird in den Gerichtssa­al geführt.

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