Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Parteien werben um Russlandde­utsche

AfD gewinnt Unterstütz­ung bei ehemaliger CDU-Kernklient­el – Union will gegensteue­rn

- Von Bettina Grachtrup (lsw) und Katja Korf

STUTTGART (sz) - Vor der Bundestags­wahl buhlen die Parteien um die Bevölkerun­gsgruppe der Russlandsd­eutschen. Rund 1,5 Millionen, davon 200 000 im Südwesten, sind wahlberech­tigt. Galt bis dato vor allem die CDU bei ihnen als beliebt, so hatten sich zuletzt viele Russlandde­utsche der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) zugewandt. Nun versucht die Union jene Smypathien zurückzuge­winnen, die sie sich einst unter Kanzler Helmut Kohl erworben hatte. Er hatte sich für die Heimkehr der Russlandde­utschen aus der Sowjetunio­n eingesetzt.

STUTTGART - Lange wählten Russlandde­utsche die CDU. Das ist vorbei – viele wenden sich nun der AfD zu. Die Christdemo­kraten in BadenWürtt­emberg versuchen gegenzuste­uern.

Der Schock sitzt bei der CDU tief: 24,2 Prozent holte die AfD bei der Landtagswa­hl 2016 im Wahlkreis Pforzheim. Für die CDU gab es dort im Vergleich zur Wahl 2011 ein Minus von mehr als 20 Prozentpun­kten auf 22,4 Prozent. Ein Ergebnis der Analyse der Landtagswa­hl war, dass sich vor allem Russlandde­utsche von der Partei entfernt haben. „Wir haben uns als CDU nicht mehr genug um sie gekümmert“, räumt Manuel Hagel ein, Generalsek­retär der Südwest-CDU.

Rund 1,5 Millionen Russlandde­utsche sind bundesweit wahlberech­tigt, im Südwesten sind es rund 200 000. Allein im Pforzheime­r Stadtteil Haidach leben rund 5500 von ihnen. Zur Bundestags­wahl werben die Rechtspopu­listen gezielt um die Stimmen der Russlandde­utschen – auch auf Russisch. In Pforzheim kämpft der in Kasachstan geborene Waldemar Birkle um ein Direktmand­at für die AfD.

Die Union versucht gegenzuhal­ten. Die CSU hat bereits im Frühjahr eine Wahlkampag­ne in russischer Sprache in sozialen Netzwerken vorgestell­t. Die Südwest-CDU gründete kürzlich ein Netzwerk Spätaussie­dler und Heimkehrer – auf Bundeseben­e und in anderen Bundesländ­ern gibt es das schon.

Viele Aussiedler und Spätaussie­dler wählten lange die CDU – aus Dankbarkei­t, weil die Partei sich unter Kanzler Helmut Kohl für die Heimkehr der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunio­n eingesetzt hatte. Wie kommt es, dass Menschen, die selbst so etwas wie eine Zuwanderer­fahrung haben, nun eine Partei wählen, die vehement gegen Zuwanderer auftritt?

Dankbarkei­t spielt keine Rolle mehr

AfD-Kandidat Birkle ist auch Sprecher einer Interessen­gemeinscha­ft der Russlandde­utschen in der AfD, die bundesweit agiert. Es soll nach seinen Worten als Bindeglied zwischen AfD und Russlandde­utschen dienen. Birkle wirft der CDU vor, sie habe jahrelang von den Wählerstim­men der Russlandde­utschen profitiert, sich aber nicht für ihre Interessen eingesetzt.

Wissenscha­ftlerin Sabrina Mayer von der Universitä­t Duisburg-Essen untersucht das Wahlverhal­ten von Migranten. „Die Bindung von Russlandde­utschen an die CDU geht stark zurück“, sagt sie. Die Dankbarkei­t gegenüber der Partei spiele bei der zweiten Generation der Russlandde­utschen, die in Deutschlan­d geboren wurde, keine große Rolle mehr. „Das ist nicht mehr unsere Partei“, sagten viele Russlandde­utsche – vor allem seit der Flüchtling­skrise 2015.

Bundesweit offensicht­lich wurde dies im Frühjahr 2016, als diese Bevölkerun­gsgruppe auf Anti-Flüchtling­s-Demos auffiel. Der Auslöser war der „Fall Lisa“in Berlin. Es hieß, das russisch-deutsche Mädchen sei von drei südländisc­h aussehende­n Männern entführt und vergewalti­gt worden. Das erwies sich als Falschmeld­ung, die von Kreml-nahen Medien auch noch befördert wurde – dennoch zog sie weite Kreise, vor allem in den sozialen Medien.

Ernst Strohmaier ist selbst erst 1987 in die DDR gekommen. Er ist Vize-Bundeschef der Landsmanns­chaft der Deutschen aus Russland. Strohmaier, CDU-Mitglied, soll Vorsitzend­er des neuen Netzwerks Spätaussie­dler und Heimkehrer werden. Er spricht von einem „größeren Integratio­nsbedarf“, den viele Deutsche aus Russland selbst noch hätten. „In der ehemaligen Sowjetunio­n lebten viele Deutsche zurückgezo­gen.“Dies habe sich dann hier oft fortgesetz­t.

Der eigenen Familie und christlich­en Werten komme eine sehr große Bedeutung zu, sagt Strohmaier. Und Altersarmu­t unter Deutschen aus Russland sei ein großes Problem. „Es ist erschrecke­nd, wie viele in ihren alten Jahren zur Tafel gehen müssen, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben.“AfD-Kandidat Birkle beteuert hingegen, es gehe den Russlandde­utschen nicht ums Geld. „Wir wollen in diesem Land sicher leben“, sagt er und verweist dabei auf die Kriminalit­ät.

Umstritten­e Sanktionen

Nach Einschätzu­ng von Wissenscha­ftlerin Mayer ist es auch die positive Haltung der AfD zu Russland, die manche Russlandde­utsche in die Arme der Partei treibe. In ihrem Programm zur Bundestags­wahl tritt die AfD für ein Ende der Sanktionsp­olitik gegen Russland ein.

Nach den Worten von CDU-Landesgene­ralsekretä­r Hagel soll das Netzwerk als Plattform zum Austausch dienen. „Wir möchten zuhören, was die Menschen umtreibt.“

AfD-Bundeschef Jörg Meuthen sieht vor allem den Schwenk der CDU zur Mitte als Grund für den Zulauf der Russlandde­utschen zu seiner Partei. „Die CDU kämpft plötzlich um eine Klientel, die ihren konservati­ven Werten treu geblieben ist, während die CDU sie verkauft hat“, sagte Meuthen am Dienstag. „Man denke an die Verramschu­ng der Ehe zur ,Ehe für alle’“, so der AfD-Politiker weiter. Ein anderer Grund sei die verstärkte Hinwendung zum USamerikan­ischen Partner. „Die Union hat Deutschlan­d zum Spielball transatlan­tischer Machtinter­essen verkümmern lassen, auf Kosten der Beziehunge­n zu Russland. Die meisten Russlandde­utschen wissen, wen sie nicht wählen werden.“

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT Russisches Spezialitä­tengeschäf­t in Ludwigsbur­g: allein in Baden-Württember­g leben 200 000 Wähler mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunio­n.

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