Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Die Menschen beginnen umzudenken“
Al Gores neue Dokumentation ist wieder ein kämpferisches Plädoyer für den Klimaschutz
BERLIN - Rekordfluten in den USA, Indien und Pakistan und abbrechende Eisberge: Die Folgen der globalen Erwärmung sind allgegenwärtig. Vor elf Jahren widmete sich die mit dem Oscar prämierte Dokumentation „Eine unbequeme Wahrheit“dem Kampf des Aktivisten Al Gore (69) gegen die Umweltverschmutzung. Darüber hinaus zeichnete der Film den Werdegang des demokratischen US-Politikers nach, der acht Jahre lang Vizepräsident unter Bill Clinton war und dessen eigene Wahl zum Staatsoberhaupt trotz Stimmenmehrheit am amerikanischen Wahlsystem scheiterte. Nun wird der Dokumentarfilm fortgesetzt. „Immer noch eine unbequeme Wahrheit“blickt trotz vieler Hiobsbotschaften erstaunlich optimistisch in die Zukunft. André Wesche traf Al Gore in Berlin zum Gespräch.
Mr. Gore, wie kann es sein, dass der Klimawandel heute noch geleugnet wird?
Upton Sinclair, ein hervorragender US-Autor und Journalist, hat vor mehr als 100 Jahren den Ausspruch geprägt: „Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Einkommen davon abhängt, dass er es nicht versteht.“Ich glaube, dieses Element bekräftigt viele Menschen in ihrer Leugnung. Aber diese Leugnung beginnt zu erodieren. Mutter Natur zeigt ihre ganze Überzeugungskraft, und die Menschen beginnen umzudenken. Von manchen Leugnern des Klimawandels habe ich allerdings den Eindruck, sie verfügen über einen eingebauten Teleprompter, auf dem die Fox News in Dauerschleife laufen. Bei solchen Leuten komme ich manchmal zu dem Entschluss, dass es besser ist zu sagen: „Vielen Dank, es war schön, mit Ihnen zu reden. Aber jetzt rede ich lieber mit jemand anderem.“
Fällt es Ihnen schwer, Ignoranten gegenüber die Fassung zu wahren?
Ich bin zur Gewaltlosigkeit verpflichtet. In jedem Menschen, der an der Lösung der Klimakrise arbeitet, wird irgendwann der Kampf zwischen Hoffnung und Verzweiflung toben. Bei mir setzt sich am Ende immer die Hoffnung durch. Ich versuche stets, das Aufkommen von Zorn zu vermeiden. Aber es gibt solche Momente, etwa wenn ich die hartnäckigen Unwahrheiten der Kohlenstoffsünder höre und mich darüber wundere, wie sie nur damit einfach weitermachen können. Ich erzähle Ihnen eine kurze Geschichte. In den USA kam mal ein Mann auf der Straße auf mich zu, der seit 20 Jahren für die konservativen Thinktanks gearbeitet hat. Er war der Mann, der für ihre Leugnung der Klimakrise verantwortlich war. Er sagte mir, dass ich ihn überzeugt und er nun die Seiandere ten gewechselt hätte. Wie haben uns eine ganze Weile lang unterhalten und uns auch später noch einmal getroffen. Er erzählte mir von vielen Leuten, mit denen er zusammengearbeitet hat und die sich selbst völlig darüber im Klaren sind, dass sie etwas Falsches tun. Ich kann nur hoffen, dass sie zurück zur Vernunft finden.
War die Wahl Donald Trumps ein Rückschritt für Ihre Arbeit?
Es ist ein wenig wie in diesen alten Horrorfilmen wie „Warte, bis es dunkel wird“. Der Bösewicht schien schon besiegt und steht plötzlich wieder auf. Es liegt an uns allen, das Ende dieses Filmes zu schreiben. Es gibt für jede Aktion eine passende Gegenreaktion. Trump inspiriert mit seinen absurden Äußerungen über das Klima eine sehr starke Reaktion. Ich denke, er hat sich selbst isoliert.
Ist es der Kapitalismus, der die Schuld am Klimawandel trägt?
Eine Interpretation des 20. Jahrhunderts ist, dass die Alternativen zum Kapitalismus auf der linken und der rechten Seite zu extremen und ernsthaften Problemen führen. Nicht zuletzt, was die Verletzlichkeit der Freiheit des Individuums angeht. Außerdem haben sie der Umwelt großen Schaden zugefügt. Für mich liegt die Herausforderung darin, den Kapitalismus zu reformieren. Eine dieser systemischen Veränderungen wäre es, den Kohlenstoffausstoß mit Strafzahlungen zu belegen. Dann würde der Markt stets automatisch die Umweltschäden durch Kohlenstoffemissionen kalkulieren. Eine Veränderung bestünde darin, darauf zu bestehen, dass die Regierung keine fossilen Brennstoffe mehr subventioniert. Im globalen Maßstab übersteigen die Subventionen für fossile Energien die für erneuerbare um das 40-fache. Reformen sind essentiell.
Ein indischer Politiker sagt im Film zu Ihnen, dass sich der Wohlstand der Vereinigten Staaten auf fossilen Brennstoffen gründet. Und er fragt, warum Sie ihm jetzt die Lektion erteilen wollen, anders zu handeln.
Es ist ein nachvollziehbarer Standpunkt, oder? Das Land leidet unter extremer Armut. Und man ist zu dem Entschluss gelangt, dass es wohl das Beste wäre, genau jene Wege zu beschreiten, die Westeuropa und die USA seinerzeit beschritten haben. Es ist einfach, das zu verstehen. Aber so hat man eine kritische Luftverschmutzung herbeigeführt. Sie rührt von den Verbrennungsrückständen fossiler Brennstoffe her, die dort in großem Maße zur Anwendung kommen. Jetzt steht man auch vor einer politischen Krise, weil Angehörige der neuen Mittelklasse die Luftverschmutzung satt haben. Diese Menschen sind via Smartphone gut genug darüber informiert, welchen Schaden ihre Lungen dadurch nehmen. Ihre Ansichten beginnen sich zu ändern.
Ein großes Problem für die Umwelt ist der steigende Fleischkonsum.
Die Landwirtschaft trägt zu etwa 15 Prozent zur Klimakrise bei. Die Tierwirtschaft trägt den Löwenanteil daran. Vor fünf Jahren wurde ich Veganer. Aber ich rede nicht auf andere Menschen ein, wie sie sich ernähren sollen. Es ist eine so persönliche Entscheidung. Ich habe mich damals als Selbstexperiment 30 Tage lang vegan ernährt. Einfach um zu sehen, wie das ist. Danach habe ich mich besser gefühlt, also habe ich es beibehalten. Mit steigenden Einkommen wächst auch in den Entwicklungsländern der Fleischanteil an der Ernährung. Und bekanntlich braucht es acht Pfund an pflanzlichem Protein, um ein Pfund tierisches Protein zu erzeugen.
Ist es an der Zeit, einen internationalen Gerichtshof für Umweltfragen zu schaffen?
Eine interessante Idee. Ich bin der Meinung, dass das Polarmeer für die Ölförderung tabu sein sollte. Zwei Drittel des Kohlenstoffausstoßes gehen auf das Konto multinationaler Konzerne und eine Überwachung kann schon heute nicht gewährleistet werden. Es ist meiner Meinung nach Wahnsinn, sich in diese extrem zerbrechliche Umwelt zu begeben, um nach noch mehr Öl zu suchen. Besonders in einer Region wie der Arktis, die einem Bohrer nichts entgegenzusetzen hat, die es aber auch unmöglich macht, Ölarbeitern in Gefahr rechtzeitig beizustehen. Aber ich bezweifle ernsthaft, dass das globale, politische System bereits ein Level erreicht hat, dass die Einrichtung eines entsprechenden Gerichtshofes ermöglichen würde.