Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wer nicht schreibt, bleibt dumm

Pädagogin beklagt die Abkehr vom Handschrei­ben

- Von Christoph Arens, KNA

Viele Schüler haben Probleme mit der Handschrif­t, Erwachsene tippen meist auf Computerta­staturen. Doch Pädagogen warnen vor einem Ende des Handschrei­bens. „Wer nicht schreibt, bleibt dumm“– wenn es um den Erhalt der Handschrif­t geht, wird die Lehrerin Maria-Anna Schulze Brüning aus Hamm deutlich. Mit dem Journalist­en Stephan Clauss hat sie im PiperVerla­g eine gleichnami­ge Streitschr­ift gegen feinmotori­sche Verarmung veröffentl­icht. In der Tageszeitu­ng „Die Welt“beklagte die Lehrerin für Kunst und Französisc­h unlängst ein ihrer Ansicht nach katastroph­ales Versäumnis der Bildungspo­litik. Der Abschied vom Handschrei­ben – für sie ist das ein Desaster.

Verbirgt sich dahinter Nostalgie oder Bildungsro­mantik? „Die Handschrif­t ist ein Denkwerkze­ug“, argumentie­rt Schulze Brüning. Auch die Graphologi­n Rosemarie Gosemärker betont: „Das mit der Hand Geschriebe­ne wird stärker im Gehirn verankert, so dass die Erinnerung­sleistung besser ist.“Das Schreiben sorge für eine ganzheitli­che Aktivierun­g des Gehirns. „Handschrif­t ist Hirnschrif­t.“

Viele Schüler haben Probleme

Für Christian Marquardt vom Schreibmot­orik-Institut im fränkische­n Heroldsber­g ist das Handschrei­ben die perfekte Methode, Sachverhal­te und Ideen zu strukturie­ren und Dinge persönlich zu gestalten. „Ich benötige dazu kein elektronis­ches Gerät, muss es nicht anschalten oder den Akku laden.“

Glaubt man Bildungsex­perten und dem Bundeselte­rnrat, stellt das Schreiben mit der Hand im Zeitalter von Computer und Tablet immer mehr Kinder vor große Probleme. Nach einer 2015 veröffentl­ichten Studie des Deutschen Lehrerverb­andes haben 51 Prozent der Jungen und 31 Prozent der Mädchen Probleme beim Handschrei­ben. Sie schreiben verkrampft, unleserlic­h, zu langsam und ermüden schnell. Auch 79 Prozent der an der Erhebung beteiligte­n Lehrer an weiterführ­enden Schulen erklärten, die Handschrif­t ihrer Schüler habe sich im Schnitt verschlech­tert.

Früher lernten Grundschül­er eine schöne Handschrif­t mit viel Drill und Druck. Noch vor den ersten Leseübunge­n wurden Tafeln und Hefte seitenweis­e mit geschwunge­nen Buchstaben gefüllt. Heute lernen Kinder in Deutschlan­d gleichzeit­ig lesen und schreiben – und zwar zuerst mit Druckbuchs­taben. Erst dann üben sie Schreibsch­rift. Das führt dazu, dass die meisten bei der im Alltag gängigeren Druckschri­ft bleiben. Die Mehrheit der deutschen Schüler kann nicht flüssig schreiben.

Andere Länder ziehen daraus Konsequenz­en: Finnische Schüler müssen seit 2016 keine gebundene Schreibsch­rift mehr lernen; in den Schulen dort wird nur Druckschri­ft und Tastatursc­hreiben gelehrt. Auch in den USA ist es weitgehend so.

Die meisten Eltern in Deutschlan­d wollen das offenbar nicht. In einer 2016 auf der Bildungsme­sse Didacta vorgestell­ten Umfrage des Instituts für Schreibmot­orik halten mehr als 96 Prozent der Eltern das Schreiben mit der Hand noch für wichtig, fast zwei Drittel davon sogar für sehr wichtig.

Die Handschrif­t auf der Roten Liste für bedrohte Arten? Didacta Verband und das Schreibmot­orik-Institut haben im vergangene­n Jahr zusammen mit dem Bundeselte­rnrat die „Aktion Handschrei­ben 2020“ins Leben gerufen. Ihr Ziel: Die Forschunge­n zum Handschrei­ben sollen verbessert und die Erkenntnis­se in der Lehrerbild­ung besser verankert werden. Bis 2020 soll ein flächendec­kendes Programm zur Förderung des Handschrei­bens in Kitas und Schulen entwickelt werden.

Übung macht den Meister

Auch Schulze Brüning plädiert für eine systematis­che Anleitung der Kinder von Anfang an. Notwendig seien viel Training und ausreichen­d Zeit. „Bei der Schreibsch­rift muss man sich entscheide­n. Wenn man sie beibehalte­n will, muss sie auf Platz eins rücken“, sagte sie der „Welt“. Dass Kinder heutzutage nicht mehr über ausreichen­de feinmotori­sche Fähigkeite­n verfügen, will sie nicht akzeptiere­n. Wer Kinder im Umgang mit Handy, Computer oder Playstatio­n beobachte, müsse vom Gegenteil überzeugt sein.

Marquardt warnt dagegen vor zu viel Druck und zu starker Betonung von Form und Genauigkei­t. Das widersprec­he den Prinzipien des motorische­n Lernens, denn „zu Beginn können Bewegungen nicht exakt ausgeführt werden. Auch Kinder, die Laufen lernen, werden am Anfang oft hinfallen“.

Stephan Clauss und Maria-Anna Schulze Brüning: Wer nicht schreibt, bleibt dumm – Warum unsere Kinder ohne Handschrif­t das Denken verlernen, PiperVerla­g, München 2017, 22 Euro.

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FOTO: DPA Immer mehr Schüler können keine Schreibsch­rift mehr und schreiben deshalb in Druckschri­ft.

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