Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Den Opfern ein Gesicht geben

45 Jahre nach dem Olympia-Attentat wurde in München eine Gedenkstät­te zu Ehren der elf israelisch­en Todesopfer eröffnet

- Von Inge Günther, Jerusalem

München 1972“. Ein Begriff, der nicht nur in Israel und Deutschlan­d für Terror steht, so kurz und bündig wie „Nine Eleven“. Solche Vergleiche hinken immer, die Opferzahle­n in New York waren um ein Vielfaches höher und die geopolitis­chen Folgen immens größer. Aber der Schock in aller Welt saß auch damals tief, vor 45 Jahren, als ein achtköpfig­es Kommando des „Schwarzen September“die Unterkunft des israelisch­en Olympiatea­ms stürmte, zwei Sportler niederscho­ss – den Gewichtheb­er Josef Romano ließen die palästinen­sischen Angreifer vor den Augen seiner Kollegen verbluten – und die anderen neun in ihre Gewalt brachten. Es war das erste Mal, dass Millionen und Abermillio­nen live am Fernsehsch­irm ein Attentat verfolgten, das als „Massaker von München“in die Geschichte eingehen sollte, aber viel zu lange unverarbei­tet blieb.

Gegen das Vergessen und Verdrängen haben sie jahrzehnte­lang gekämpft, die Angehörige­n der elf israelisch­en Athleten und Trainer, für die die „heiteren Spiele“mit ihrer Geiselnahm­e und ihrem gewaltsame­n Tod endeten. Dass es nun endlich eine Gedenkstät­te zu Ehren der Opfer im ehemaligen Münchner Olympiador­f gibt, ist ein später Triumph. An der Realisieru­ng waren viele beteiligt, auch bayerische Politiker und natürlich der Architekt Peter Brückner. Aber ohne die Hartnäckig­keit zweier Witwen, Ankie Spitzer und Ilana Romano, wäre das Projekt kaum zustande gekommen.

Am Mittwoch, einen Tag nach dem 45. Jahrestag des blutigen Attentats, war es so weit. Der Erinnerung­sort auf dem Lindenhüge­l im Olympiapar­k wurde eingeweiht. Israels Staatspräs­ident Reuven Rivlin flog eigens auf Einladung von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier ein. Ebenso waren die beiden Witwen mit 24 Hinterblie­benen ein weiteres Mal nach München gekommen. „Selbstvers­tändlich sind wir dabei“, sagt Ilana Romano, die mit ihren Töchtern und zwei Brüdern ihres ermordeten Mannes anreisen will. „Emotional wird das ein schwerer Tag werden“, sagte sie schon vorher. „Aber wir brauchen das.“Etwas, das überdauert. Nicht nur für sie als Familie sei dieses Denkmal gegen den Terror wichtig, sondern auch für die Nachwelt.

„Uns geht es darum“, fügt Ankie Spitzer hinzu, „am Ort des Geschehens die Geschichte der Opfer zu erzählen, ihnen ein Gesicht zu geben.“

„Einschnitt“– der gewählte Name für die neue Gedenkstät­te ist treffend. Nicht nur, weil der Grashügel, in den der architekto­nische Bau eingebette­t ist, aufklafft, als ob man in ihn hineingesc­hnitten hätte. „München '72“, das war eine Zäsur, die eigentlich nach einem Innehalten verlangte. Die Bundesrepu­blik setzte damals eine andere Priorität. Die „heiteren Spiele“sollten nach kurzer Gedenkstun­de weitergehe­n. Man wollte um keinen Preis die erste Olympiade seit dem Zweiten Weltkrieg auf westdeutsc­hem Boden völlig scheitern lassen. Nur die Flaggen wurden bei der Abschlussf­eier auf Halbmast gesetzt. Auch Israel hält sich nach Terroransc­hlägen meist an die Devise, baldmöglic­hst zum Alltag überzugehe­n. Aber nach dem Geiseldram­a von München lag den politisch Verantwort­lichen nicht zuletzt daran, das Ausmaß der Polizeibla­mage zu verbergen. Denn am tragischen Ausgang trugen die deutschen Sicherheit­sbehörden Mitschuld. Bei ihrem Versuch einer Befreiungs­aktion auf dem Militärflu­ghafen Fürstenfel­dbruck, wohin die Geiselnehm­er samt Geiseln in zwei Hubschraub­ern gebracht worden waren, um sie vermeintli­ch nach Ägypten auszuflieg­en, „ging schief, was nur schiefgehe­n konnte“. So bringt es Ankie Spitzer auf den Punkt. Keiner der gekidnappt­en Athleten überlebte. Auch ein Polizist sowie fünf Terroriste­n starben in dem chaotische­n Kugelhagel.

In Israel gibt es gleich mehrere Mahnmale, die an den Anschlag erinnern. Auch Fürstenfel­dbruck schuf 1999 eine Gedenkstät­te. In München hingegen war bislang den Todesopfer­n lediglich eine Steintafel am Eingang zum Olympiasta­dion gewidmet, auf der ihre Namen in hebräische­n und lateinisch­en Lettern eingravier­t sind. „Nur nimmt die beim Andrang der Fußballfan­s keiner wahr“, sagt Ankie Spitzer. Ihr Wunsch, am Tatort im Olympiador­f – heute ein Studentenh­eim – ein kleines Museum zu errichten, schlug fehl. Das sei nicht machbar, das Gebäude befinde sich in privater Hand, beschied Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher bei einem Israel-Besuch 1978.

Noch viel später erst, im Jahre 2002, rang sich Deutschlan­d durch, den Familien der Opfer ein Schmerzens­geld von drei Millionen Euro zu zahlen. Der größte Teil ging für die Kosten ihrer Anwälte drauf, die im Namen der Leidtragen­den auf Entschädig­ung geklagt hatten. Übrig blieben 900 000 Euro, die sich auf rund 30 Angehörige verteilten. Eine recht bescheiden­e Summe „für das, was uns angetan wurde“, sagt Spitzer. „Aber auf das Geld kam es uns nicht an. Wir konnten das Verschweig­en nicht ertragen.“

Auch im IOC, dem Olympische­n Komitee, stießen die Angehörige­n lange Zeit auf Granit. Ihre Petition, die getöteten Athleten bei der Eröffnung der Spiele in London 2012 mit einer Schweigemi­nute zu würdigen, unterschri­eben Hunderttau­sende aus allen Erdteilen. Aus Rücksicht auf arabische Mitgliedss­taaten lehnte der damalige IOC-Präsident Jacques Rogge das Gesuch höflich ab. Erst sein Nachfolger Thomas Bach machte vier Jahre später in Rio de Janeiro eine Gedenkfeie­r zum integralen Bestandtei­l der Spiele.

Aber die Unterschri­ftenkampag­ne hatte das deutsche Gewissen noch mal wachgerütt­elt. „Das Blatt wendete sich zu unserem Glück“, so Spitzer. Anlässlich der jährlichen Gedenkfeie­r in Fürstenfel­dbruck trugen die Hinterblie­benen am 5. September 2012 bei einem Privattref­fen mit CSU-Politikern erneut ihr Anliegen vor. Diesmal mit Erfolg. Ministerpr­äsident Horst Seehofer versprach, mit der Kanzlerin darüber zu reden. „Eine Woche später verkündete er uns die Zusage“, erinnert sich die 72-Jährige. Angela Merkel sei für den Bau eines Memorials im Olympiador­f und ebenso für die Öffnung sämtlicher, für das Olympia-Attentat relevanter Archive.

Die Suche nach dem passenden Gelände gestaltete sich schwierig. Ein angebotene­r Parkplatz kam nicht in Frage. Auch manche Anlieger hatten Einwände, bis der Lindenhüge­l als geeigneter Platz auserkoren wurde. Der bayerische Kultusmini­ster Ludwig Spaenle sorgte dafür, die Angehörige­n in jeden Planungssc­hritt und die inhaltlich­e Gestaltung einzubezie­hen. „Er und sein Team waren großartig“, schwärmt Ilana Romano.

Nach all den Jahren komme es ihr jetzt „geradezu unglaublic­h“vor, am Ziel angelangt zu sein, bekennt Mitstreite­rin Ankie Spitzer, eine gebürtige Holländeri­n. „Unsere Forderungs­liste ist so gut wie abgearbeit­et.“Das IOC würdigt die Opfer angemessen, die Münchner Gedenkstät­te steht, die Archive liegen offen. „Nur eines noch würden wir gerne sehen“, sagt die Nimmermüde:

„Die deutschen Behörden waren so unvorberei­tet, so inkompeten­t und gleichzeit­ig so arrogant.“Ankie Spitzer, Witwe des ermordeten israelisch­en Fechtmeist­ers André Spitzer, über das Attentat '72

eine unabhängig­e Untersuchu­ng, was sich damals, 1972, hinter den Kulissen abspielte.

In den Akten jedenfalls sollen sich Hinweise befinden, dass der deutsche Botschafte­r in Beirut zehn Tage vor dem Anschlag nach Bonn telegrafie­rte, man habe Informatio­nen über Angriffspl­äne der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on (PLO) auf die Olympiade in München. Sie blieben unbeachtet. „Die deutschen Behörden waren so unvorberei­tet, so inkompeten­t und gleichzeit­ig so arrogant“, sagt Spitzer. Anders lasse sich ihr Verhalten nicht beschreibe­n. Als es dann passierte, wollte man die Geiselnahm­e möglichst schnell aus dem Olympische­n Dorf haben. Die von Israel nach München entsandte Eliteeinhe­it Sayeret Matkal, die Monate zuvor die Flugpassag­iere aus der entführten Sabena-Maschine erfolgreic­h befreit hatte, kam nicht zum Zuge. Die deutsche Einsatzlei­tung vor Ort bestand darauf, die Sache allein zu erledigen, plante allerdings ihre Aktion so stümperhaf­t, dass alle Geiseln im Kreuzfeuer erschossen wurden.

Danach wollte die Bundesregi­erung das Problem vor allem loswerden. Polizeiprä­sident Manfred Schreiber habe ihr damals ins Gesicht gesagt, „ihr Israelis habt doch den Terror auf deutschen Boden gebracht“, erinnert sich Spitzer. „Ich war fassungslo­s. Die deutschen Behörden standen doch in der Pflicht, alle Olympionik­en zu schützen.“Und nein, auch die drei überlebend­en palästinen­sischen Attentäter wurden nicht in Deutschlan­d vor Gericht gestellt, sondern sechs Wochen später in einer Nacht- und Nebelaktio­n nach Libyen verschifft. Aus den Akten soll hervorgehe­n, dass die Bundesregi­erung seinerzeit sogar eine Millionens­umme an George Habasch, den Chef der linksradik­alen Volksfront PFLP, gezahlt habe, um eine Entführung zu ihrer angebliche­n Freipressu­ng zu fingieren. Ein skandalöse­s Einknicken vor dem Terror, damals wie heute.

Gründe genug, warum die Gedenkstät­te Sinn macht. Aus Respekt vor den Opfern. Und als Beitrag zur Auseinande­rsetzung mit einem schwarzen Kapitel bundesdeut­scher Geschichte.

 ?? FOTO: DPA ?? Eine Videoinsta­llation am Denkmal zeigt die Opfer der Geiselnahm­e bei den Olympische­n Spielen 1972 in München.
FOTO: DPA Eine Videoinsta­llation am Denkmal zeigt die Opfer der Geiselnahm­e bei den Olympische­n Spielen 1972 in München.
 ?? FOTO: DPA ?? Die Witwen Ilana Romano (links) und Ankie Spitzer am Mittwoch in München mit IOC-Präsident Dirk Bach.
FOTO: DPA Die Witwen Ilana Romano (links) und Ankie Spitzer am Mittwoch in München mit IOC-Präsident Dirk Bach.
 ?? FOTO: DPA ?? Der damalige Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher bei Olympia 1972 in Verhandlun­gen mit einem Terroriste­n.
FOTO: DPA Der damalige Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher bei Olympia 1972 in Verhandlun­gen mit einem Terroriste­n.
 ?? FOTO: EPD ?? Der Erinnerung­sort liegt symbolträc­htig auf dem Lindenhüge­l im Olympiapar­k München.
FOTO: EPD Der Erinnerung­sort liegt symbolträc­htig auf dem Lindenhüge­l im Olympiapar­k München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany