Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Der Horror hinter der Jubelfassade
Buch des Autors Bandi ist ein erschütterndes Zeugnis der Unterdrückung in Nordkorea
Das koreanische „Bandi“bedeutet Leuchtkäfer und ist das Pseudonym eines nordkoreanischen Autors, dessen Erzählband alleine deshalb ein Sensation ist, weil er seinen Weg heraus aus einem völlig abgeschotteten Land gefunden hat. Der Autor sagt uns mit diesem Buch: Seht her, ich sende Leuchtzeichen aus einem Land der Finsternis und erzähle euch etwas über eine unbekannte Welt, die wegen der aggressiven Atompolitik unseres Machthabers Kim Jong-un weltweit für Angst und Schrecken sorgt.
Zwischen Nord- und Südkorea verläuft die gefährlichste Grenze der Welt. Auf der einen Seite pulsiert ein marktwirtschaftlicher Kapitalismus der technologischen High-End-Klasse, auf der anderen tönt ein Steinzeitkommunismus, der der Bevölkerung Armut und Hunger beschert.
Bandis Erzählungen gewähren nun erste literarische Einblicke in den Alltag der kleinen Leute, die in einer Diktatur leben. Um das staatspropagandistische Bild Nordkoreas, den Führerkult und die bizarren Volksaufmärsche geht es dem Autor nicht. Sie tauchen am Rande auf. Bandi lüftet vielmehr den Vorhang einer Kulisse, hinter der eine in dritter Generation von der Familie Kim regierte Einöde sichtbar wird. Die Erzählungen kreisen immer wieder um die seelischen Verwüstungen, die ein Regime hinterlässt, das nur mittels eines martialischen Spitzelund Strafsystems funktioniert. Wer in Ungnade fällt oder irgendeines Vergehens verdächtigt wird landet im Gefängnis oder in einem der berüchtigten Straflager.
Manuskript herausgeschmuggelt
Dieses Schicksal würde auch den Autor von „Denunziation“ereilen, wüsste das Regime, wer er ist. Es stellt sich also schon die Frage, warum er sich mit der Veröffentlichung seines ersten Erzählbandes der Gefahr aussetzt, entdeckt zu werden. Das literarische „Glühwürmchen“, so Do Hee-Yoon, Vorsitzender einer südkoreanischen Hilfsorganisation im Nachwort, habe in der großen Hungersnot des Jahres 1994 viele Angehörige verloren. Zu dieser Zeit habe er bereits geschrieben, das einschneidende Erlebnis des Todes ihm Nahestehender habe aus ihm dann endgültig einen schreibenden Dissidenten gemacht.
Thomas Reichart, Leiter des ZDFStudios in Peking, erklärt im Vorwort den weiteren Werdegang. Erst vor Kurzem sei es einer Verwandten Bandis gelungen, zwei Manuskripte aus Nordkorea zu schmuggeln: eines mit Gedichten, das andere mit den nun vorliegenden Erzählungen. In den Westen fanden sie ihren Weg über die südkoreanische Hilfsorganisation und eine international tätige Literaturagentin.
Es dauerte also rund zwanzig Jahre von der Niederschrift bis zur Erstveröffentlichung in Südkorea. Seit kurzem können nun auch deutschsprachige Leser nachvollziehen, mit welcher Dringlichkeit Bandi von Menschen erzählt, die heillos in das nordkoreanische System verstrickt sind, oder nur noch an Flucht denken und die höchst gefährliche NordPassage über einen Grenzfluss nach China wagen.
In einer Erzählung berichtet ein Mann im Ton eines Abschiedsbriefes, wie es dazu kam, dass er seiner Frau immer mehr misstraute. Sie konnte scheinbar keine Kinder gebären und verhielt sich aus seiner Sicht verdächtig. Was er nicht wusste: Der Parteikader, der sich Zutritt zu seinem Haus verschafft hatte, wollte, dass sie sich ihm fügt. Der Lohn wäre gewesen, dass der Bonze etwas für einen Neffen getan hätte, der in der Schule ausgegrenzt und am Weiterkommen gehindert wurde, nur weil ein anderer Verwandter den lokalen Parteikadern ein Dorn im Auge war. Seine Frau aber widersetzte sich dem zudringlichen Funktionär und die Verhütungsmittel im Schrank nutzte sie, weil sie einem künftigen Kind auf keinen Fall ein Land wie Nordkorea zumuten wollte. Dem Mann bleibt nur die Scham und der Versuch einer Flucht aus dem Heimatland.
Mit „Die Flucht“dringt Bandi weit in die Seelenlagen von Menschen vor, die in einem System der Repression leben und sich abgrundtief schämen, wenn sie bemerken, dass das Unterdrückungssystem gesiegt hat. Da ist nicht nur die äußere Zerrüttung des Landes, sondern die vielen durch Misstrauen zerrütteten Familien und diese Scham, die in jeder der Erzählungen thematisiert wird. In „So nah und doch so fern“zum Beispiel will ein gewisser Myeong-Cheol die Strecke zwischen seinem Wohnort und dem der sterbenden Mutter überwinden, hat aber keine der in Nordkorea auch für Inlandsreisen notwendigen Genehmigungen. Erst nachdem er sich mit einem Freund sinnlos betrunken hat, traut er sich als blinder Passagier in einen Zug.
Er schafft es tatsächlich und kommt bei der Mutter an, die ist aber bereits tot. Was bleibt, ist ein Gefühl der Demütigung und der Scham, hilflos ausgeliefert zu sein „wie Schweine, die man zur Schlachtbank führt“. Für den ersten Literatur-Dissidenten Nordkoreas war die Zeit der Demütigung und des Schweigens wohl abgelaufen, als ihm klar wurde: Das Regime, dem ich mich unterwerfen muss, steckt Milliarden ins Militär und den Bau atomarer Sprengköpfe, die Menschen im Lande aber sterben den Hungertod.
Bandi. „Denunziation. Erzählungen aus Nordkorea“. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. Mit einem Vorwort von Thomas Reichart. Piper Verlag, München, 224 Seiten, 20,00 Euro