Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Ich hab’ nur noch Sternchen gesehen“

Erster Zeuge sagt vor dem Landgerich­t zum Messerangr­iff in Kressbronn aus

- Von Britta Baier

RAVENSBURG/KRESSBRONN - Rund drei Stunden lang hat das Ravensburg­er Landgerich­t am Montag einen der wichtigste­n Zeugen im Prozess gegen einen 22-jährigen Häfler vernommen, der sich seit vergangene­r Woche unter anderem wegen versuchten Mordes vor Gericht verantwort­en muss. Ihm wird vorgeworfe­n, am 25. Dezember 2016 nach einem Discobesuc­h einen Taxifahrer mit dem Klappmesse­r bedroht – und anschließe­nd den besagten Zeugen geschlagen und diesem in den Hals gestochen zu haben (die SZ berichtete).

Wesentlich mehr Plätze als beim Prozessauf­takt vergangene Woche sind am zweiten Verhandlun­gstag im Gerichtssa­al belegt gewesen – scheinbar überwiegen­d mit Bekannten des Angeklagte­n, die alle schwarze Hoodies oder Bomberjack­en trugen. Nachdem der Angeklagte in Fußfesseln in den Saal geführt wurde, nahm auch der Zeuge – ein 30-Jähriger aus Meckenbeur­en – im Zeugenstan­d Platz.

Angeklagte­r übergibt sich im Taxi

In den nächsten Stunden berichtete der junge Mann detaillier­t, was sich aus seiner Sicht „zum Stichwort Weihnachte­n 2016“, wie es Richter Matthias Geiser formuliert­e, ereignet hatte. Mit einem Freund sei er gegen Mitternach­t nach Bregenz in die Discothek „Blue“gefahren, begann der Zeuge. In der Disco habe er niemanden gekannt – auch den mutmaßlich­en Täter nicht, der ebenfalls – wie er selbst – einen Tisch im VIP-Bereich besetzt hatte. „Alle haben getrunken, Shisha geraucht und gequatscht, bis gegen 5 Uhr das Licht anging“, so der junge Mann. Auffällig sei der Angeklagte nicht gewesen, antwortete er auf die Frage, ob dieser einen betrunkene­n Eindruck gemacht hätte. Anschließe­nd ging es mit einem Großraum-Taxi nach Friedrichs­hafen, in dem sich etwa neun Leute befunden hätten – auch der 22-jährige Angeklagte. Noch in Österreich habe sich dieser zum ersten Mal übergeben müssen, was zu einem Stopp sowie zu Streit geführt hätte, wer für die Reinigung aufkommen müsse. „Ich hab’ ihm gesagt ,Du hast da hingekotzt und jetzt stehst Du auch zu der Sache'“, schilderte der Zeuge. Auf seinen Vorschlag hin, die Daten des Angeklagte­n aufzunehme­n und die Reinigung anschließe­nd in Rechnung zu stellen, sei der Taxifahrer schließlic­h eingegange­n. Die Fahrt wurde fortgesetz­t – und der Angeklagte übergab sich ein zweites Mal.

„Gelassen“sei der Angeklagte gewesen, was dessen Spuckerei anging, aber auch „aggressiv“, als es immer wieder um die Reinigungs­kosten gegangen sei. Gelassen – den Eindruck machte der 22-jährige Häfler auch vor Gericht. Zwischendu­rch flachste er mit seinen Freunden im Zuschauerr­aum, immer wieder schaute er gelangweil­t auf den Boden – dann aber verfolgte er die Aussagen des Zeugen mit ernster Miene.

„Alles war voller Blut“

Zwischen Lindau und Wasserburg habe das Taxi plötzlich mitten auf der Landstraße gebremst, weil der 22-jährige Häfler den Taxifahrer angegriffe­n habe, setzte der junge Meckenbeur­er seine Schilderun­gen fort. „Es sah aus, als würde er ihn würgen.“Er habe direkt hinter ihm gesessen, den Gürtel des 22-Jährigen gegriffen und ihn an diesem zurückgezo­gen. Nachdem die anderen beruhigend auf Angeklagte­n und Taxifahrer eingeredet hätten, sei es schließlic­h weiter nach Kressbronn gegangen.

Hier seien er selbst, sein Kumpel und der Angeklagte ausgestieg­en. „Erst hab’ ich ihn, dann seine Faust und dann nur noch Sternchen gesehen“, berichtete das Opfer sichtlich angespannt. Für ein, zwei Sekunden sei er völlig weggetrete­n gewesen – als er wieder zu sich gekommen sei, habe der Angeklagte ein Messer in der Hand gehalten. „Alles war voller Blut. Ich bin dann in Panik weggerannt, hab’ mich in einem Hinterhof versteckt und den Rettungswa­gen gerufen. Ich wollte nur noch weg.“Währenddes­sen sei der Taxifahrer mitsamt den übrigen Insassen weitergefa­hren.

Zwei Wunden und heute noch sichtbare Narben im Gesicht habe er davongetra­gen, auch Schlafstör­ungen seien Folgen des Angriffs, der für ihn aus heiterem Himmel gekommen sei: „Die ersten Nächte gingen gut, bis mir bewusst wurde, dass das auch anders ausgehen hätte können.“Nachdem die Wunde vom Notarzt genäht worden sei, habe er Unterschlu­pf bei einer Freundin in Kressbronn gefunden. Am nächsten Tag sei er gegen Nachmittag mit seinem Freund nach Bregenz gefahren, um das Auto abzuholen. Dort im Industrieg­ebiet seien sie erneut auf den Angeklagte­n und seine Freunde gestoßen, die nochmal über die ganze Sache hätten reden wollen – ohne Polizei. „Der hat mich fast geküsst, so nah war der“, schilderte der Zeuge mit Blick auf den Mann, der ihn zur Rede gestellt habe. „Das war echt unangenehm, richtig beängstige­nd.“Da die Polizei aber schon am Morgen nach Kressbronn gekommen war und den Fall aufgenomme­n hatte, habe er sich nicht überreden lassen, „das ohne Polizei zu lösen“. Er sei schließlic­h mit seinem Kumpel wieder zurückgefa­hren – und habe nie wieder etwas gehört.

Die Verhandlun­g wird am 14. September um 9 Uhr fortgesetz­t.

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