Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kurdenführer Barzani riskiert Krieg
Es klang wie eine Kriegserklärung. Sollte die Regierung in Bagdad das Unabhängigkeitsreferendum nicht akzeptieren und Verhandlungen ablehnen, dann werde man die „Grenzen des künftigen Kurdenstaates selber ziehen“. Das hatte Massoud Barzani, der Präsident der kurdischen Regionalverwaltung im Nordirak (KRG), in einem Gespräch mit der BBC gedroht. Am heutigen Freitag stimmt das Parlament der autonomen Kurdenregion im Nordirak über das Referendum am 25. September ab.
Die Antwort auf Barzanis Drohung lies nicht lange auf sich warten. In einer Sondersitzung lehnte das irakische Parlament jetzt die geplante Volksabstimmung der Kurden mit großer Mehrheit ab. In einer Resolution beauftragten die Volksvertreter die Bagdader Zentralregierung, „alle notwendigen Maßnahmen zur Bewahrung der Einheit des Landes zu ergreifen“. Das könnten auch militärische Schritte sein, falls Barzani seinen vollmundigen Absichtserklärungen wirklich Taten folgen lässt.
Barzani hat nur wenige Verbündete
Barzani weiß, dass er im Ringen um Kurdistan nur wenige Verbündete hat. Lediglich Israel und Saudi-Arabien haben sich ohne Vorbehalte für einen Kurdenstaat ausgesprochen. Die Türkei betrachtet die Bestrebungen der Kurden inzwischen als die „größte Bedrohung unserer Geschichte“, so Ibrahim Karagül, Berater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, in einem Beitrag für die Regierungszeitung „Yeni Safak“. Die Sichtweise Ankaras wird auch in Damaskus und Teheran geteilt. Iranische Generäle reisten vor kurzem in die Türkei, um die militärische Kooperation mit dem Nachbarstaat zu intensivieren. Um wirtschaftlich überleben zu können, wäre ein unabhängiges Kurdistan nicht nur auf die Kooperation mit der Türkei und Iran angewiesen. Eine Wirtschaftsblockade hätte den Kollaps des kurdischen Binnenstaates zur Folge.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Barzani sich in einer Position der politischen und militärischen Stärke wähnt. Natürlich weiß der Kurdenchef, dass eine Grenzziehung zum Krieg mit dem irakischen Zentralstaat führen würde. Auch die Türkei will „nicht untätig bleiben“, falls die Regierung im kurdischen Erbil die Öl-Region um Kirkuk in einen Kurdenstaat eingliedern würde. Doch Kompromissbereitschaft vor dem Referendum kann sich Barzani nicht leisten. Als politisch umstrittener Hoffnungsträger muss der Kurdenführer lange gehegte Träume wachhalten; dies zu einem Zeitpunkt kurdischer Aufbruchstimmung, die nicht nur im Nordirak, sondern auch in den Kurdengebieten der Türkei, Syriens und Irans zu spüren ist.
Nüchtern betrachtet haben die irakischen Kurden schon viel erreicht. Ihr Autonomiegebiet wird von zahlreichen Ländern bereits wie ein richtiger Staat behandelt. Der Traum der irakischen Kurden, die Kurdenhauptstadt Erbil in ein „neues Dubai“zu verwandeln, endete jedoch in einem ökonomischen Desaster, von dem sich die Autonomieregion noch nicht erholt hat. Auch vor diesem Hintergrund kann sich das irakische Kurdistan keine neuen Experimente leisten.