Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ton, Steine, Scherben
Das zurzeit meistbenutzte Wort dürfte „Wahl“sein. Wahl, Wahl, Wahl – in allen Medien das beherrschende Thema. Schätzen wir überhaupt genug, dass wir wählen dürfen, wir müssen nämlich nicht, wir dürfen, wir haben die Auswahl, wir dürfen wählerisch sein, und niemand wird angeklagt, eingesperrt oder hat irgendwelche Repressalien zu erleiden, weil er etwas gewählt hat, was der Obrigkeit nicht gefällt. Das war, wie wir aus der Geschichte wissen, beileibe nicht immer so. Und dass gar wir Frauen wählen dürfen, war lange überhaupt kein Thema. Das durften wir nämlich erstmals im Januar 1919 – wobei das Wort „Damenwahl“dadurch eine ganz neue Bedeutung erhielt. Am längsten aufs Wahlrecht warten mussten die Appenzellerinnen im Kanton Appenzell Innerrhoden, nämlich bis 1990, und das auch nur durch eine Entscheidung des Bundesgerichtes. Warum wählt man überhaupt? Gute Frage! Von Robert Lembke, dem Moderator der legendären Fernsehsendung „Was bin ich“, stammt der Satz, dass Wahlen nur Veranstaltungen zur Überprüfung der demoskopischen Vorhersagen seien, und nachdem wir täglich mit den Ergebniszahlen von Umfragen überschüttet werden, könnte da vielleicht doch was dran sein. Wer die Wahl hat, hat die Qual – immerhin bewerben sich 42 Parteien bei der Bundestagswahl 2017, wobei wir Gottseidank, wie schon gesagt, wählen dürfen wen und welche Partei wir wollen. Im alten Griechenland war das ganz anders. Die Wähler ritzten in eine Tonscherbe, das war sozusagen der amtliche Stimmzettel, den oder die Namen von besonders unbeliebten oder ihrer Meinung nach unfähigen Politikern ein. Die nach der Auszählung meistgenannte Person wurde dann für 10 Jahre verbannt. Scherbengericht nannte man das. Welcher Name wäre wohl, würde das gleiche Wahlverfahren bei uns angewendet, der meistgenannte? Freilich käme sofort die Frage auf: Wohin würde man den- oder diejenige verbannen? Aber – lassen wir die Politiker hier und lassen sie bis zur Bundestagswahl freundlich und milde von ihren Wahlplakaten auf uns herablächeln und halten es dabei mit Loriot: „Ich liebe Politiker auf Wahlplakaten. Sie sind tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“