Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Warum die Berliner auf Tegel fliegen
Am Wahlsonntag entscheiden die Bürger über den Weiterbetrieb des Flughafens
BERLIN - London hat sechs Flughäfen, Paris drei, New York drei – warum soll Berlin nicht zwei Flughäfen haben? Am Wahlsonntag sind die Berliner zu einem Volksentscheid aufgerufen. „Berlin braucht Tegel“, heißt es da, auch dann noch, wenn es einen neuen Hauptstadtflughafen gibt. Eine viertel Million Unterschriften sind im Frühjahr für das Begehren gesammelt worden, jetzt sollen die Bürger entscheiden. Doch können Wähler darüber abstimmen, was rein rechtlich eigentlich ausgeschlossen ist? Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht 2006 entschieden, dass Tegel spätestens ein halbes Jahr nach der Eröffnung des neuen BER schließen muss.
In einem Brief an die „lieben Berlinerinnen und Berliner“wirbt der rot-rot-grüne Senat noch einmal ausdrücklich gegen diesen Volksentscheid, den die Berliner FDP initiiert hat. Deren Fraktionschef Sebastian Czaja hat sich und seine Partei als Tegel-Retter profiliert. Czaja fordert, dass auch nach einer Öffnung des neuen BER rund zehn bis 15 Millionen Flüge pro Jahr von Tegel ausgehen könnten.
Diese Idee begeistert viele Berliner. Tegel ist altmodisch und bescheiden, übersichtlich und hat kurze Wege, Passagiere checken gleich am Gate ein, eine halbe Stunde reicht. Hinzu kommt: Bis jetzt gibt es für den neuen Großflughafen BER, der 2012 starten sollte, immer noch gar keinen verbindlichen Öffnungstermin.
„Der Diesel unter den Flughäfen“
Doch diese Argumente überzeugen den Senat nicht. „Die Schließung Tegels ist seit langer Zeit beschlossen. Der Senat steht für Verlässlichkeit“, heißt in einem gemeinsamen Brief von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD), Ramona Pop (Grüne) und Klaus Lederer (Linke), den jeder Bürger Berlins jetzt im Briefkasten vorfand. Tegel müsse geschlossen werden. Wegen der Lärmbelästigung, wegen der Umweltverschmutzung und, nicht zuletzt, weil der Flughafen so veraltet ist, dass auch hier eine Milliarde Euro investiert werden müssten. Für den grünen Bundestagsabgeordneten Jürgen Trittin ist Tegel „der Diesel unter den Flughäfen“, unter dem 300 000 Menschen leiden.
Auf dem Gelände von Tegel sollen „zukunftsfähige Arbeitsplätze, bezahlbare Wohnungen, gute Bildungsund Forschungseinrichtungen und Erholungsflächen“entstehen, meint Müller. Der Senat spricht von 20 000 neuen Arbeitsplätzen.
Mehr Fluggäste bringen auch Arbeitsplätze, halten die Flughafenbefürworter dagegen. Vor allem der Westen der Stadt hat es nach Tegel sehr viel näher, der Flughafen funktioniert, obwohl er viel zu klein ist, erstaunlich gut, und selbst wenn der neue Flughafen (nach neuestem Stand frühestens 2019) in Betrieb gehen sollte, ist er zu klein. Schon heute liegen Tegel und der bestehende Ferienflieger-Flughafen Berlin-Schönefeld zusammen um sechs Millionen Passagiere über der Startkapazität des neuen Airports. Der bestehende Flughafen Schönefeld soll später nicht mehr für den Tourismus, sondern als Regierungsflughafen genutzt werden. Deshalb unterstützt die Berliner FDP zusammen mit den meisten Billigfluggesellschaften das Bürgerbegehren für den Weiterbeitrieb von Tegel. Ryanair sponsert die Kampagne für Tegel.
Neben der Berliner FDP ist nun auch die CDU für die Offenhaltung von Tegel. 83 Prozent der CDU-Mitglieder hatten sich in einer Befragung dafür ausgesprochen, deshalb wechselte die CDU in der Hauptstadt ihre Meinung. CDU-Chefin und Kanzlerin Angel Merkel erklärte dagegen in ihrem Sommerinterview kurz und knapp, die geltende Rechtslage lasse einen Weiterbetrieb des Flughafens Tegel nicht zu. Während die Kanzlerin bei ihrer Meinung bleibt, wechselte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) das Lager. Sagte er vor einem Jahr noch, Tegel müsse nach dem Planfeststellungsbeschluss geschlossen werden, so erklärte er jetzt, eine Stadt wie Berlin könne auch gut zwei Flughäfen vertragen.
Die Berliner sind noch unentschlossen. Zwar wirkt allmählich die Kampagne des Senats und die Zahl der Befürworter einer Schließung steigt langsam an, doch in den vergangenen Wochen waren noch 55 Prozent dafür, Tegel zu retten.