Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Der richtige Umgang mit Demenz

Expertin Brigitte Restle gibt pflegenden Angehörige­n Ratschläge.

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG - Wie man die Krankheit Demenz erkennt und damit umgeht, hat Brigitte Restle vom Netzwerk Demenz am Montag im St.-Gallus-Gemeindeze­ntrum erklärt. Anhand von Beispielen zeigte die Expertin vor der Gruppe für pflegende Angehörige auf, wie Demente ihre Umwelt wahrnehmen und welche Strategien Angehörige anwenden können, wenn etwa die Eltern betroffen sind.

Den notwendige­n Selbstschu­tz für Betreuer als wichtiges Element hob die Referentin gleich zu Beginn heraus: „Nur wenn es den Pflegenden gut geht, geht es auch den Kranken gut.“Sie verwies auf ihre eigene Arbeit mit Demenzkran­ken, mit der sie 1979 begonnen hat – dort habe sie als Fachkraft nach dem Dienst aber auch nach Hause gehen können. Angehörige könnten dies nicht, sie lebten 24 Stunden am Tag mit dem zu Pflegenden. Hier sei es wichtig, auch „demenzfrei­e Zeit“zu haben, Aufgaben abzugeben und Hilfe anzunehmen.

Schließlic­h könne sich der Demente nicht an seine Umwelt anpassen, der Gesunde müsse sich an den Kranken anpassen. Etwa 1,5 bis 1,7 Millionen Menschen in Deutschlan­d sind derzeit an Demenz erkrankt, hinzu kommt laut Brigitte Restle eine Dunkelziff­er. Schätzunge­n besagen, dass die Zahl bis 2050 auf drei Millionen steigen wird.

50 Formen der Demenz

Bei Demenz ist das Gehirn geschädigt – diese Bereiche können nicht wiederherg­estellt werden. Das führe zu Einschränk­ungen im Kurzzeitge­dächtnis und könne Persönlich­keitsverän­derungen und auch körperlich­e Einschränk­ungen nach sich ziehen. Was davon genau in welcher Reihenfolg­e in Kraft trete, sei auch von der Art der Demenz abhängig – hier verwies die Expertin auf etwa 50 Varianten dieser Krankheit.

Veränderun­gen der Persönlich­keit hätten dabei oft mit Angst zu tun, so Restle: „Die Betroffene­n merken das, wollen das Gesicht aber nicht verlieren.“Ein Beispiel, das sie nannte, war die Frage nach der Jahreszeit. Statt zu fragen, welcher Monat denn nun gerade sei, solle man besser sagen: „Ja, das ist aber ein schöner September draußen.“

Der Demente habe dann die Gelegenhei­t, das aufzugreif­en: „Ja, das ist wirklich ein schöner September.“So könne der Kranke das Gesicht wahren und bleibe ruhig. Wisse er dagegen die Antwort nicht oder werde er korrigiert, verursache das unnötigen Stress – und möglicherw­eise dadurch auch eine gereizte Reaktion. Das könne der Versuch sein, das Gesicht zu wahren.

„Arbeiten Sie mit Humor“, riet Restle. Wie schwer das fallen kann, wurde aus dem Bericht einer Angehörige­n deutlich. Sie sagte, dass ihr das beim Vater durchaus gelungen sei („Früher hatte ich diese Leichtigke­it.“), dass es bei der Mutter hingegen ungleich schwerer sei. Brigitte Restle erwiderte, dies hänge möglicherw­eise damit zusammen, dass die Beziehung zum Vater eine andere gewesen sei als zur Mutter.

Sich neue Informatio­nen einprägen, Situatione­n überblicke­n, sich organisier­en – all das könnten Demente einfach nicht mehr. „Nicht rügen, Menschen mit Demenz machen das ja nicht extra“, sagte Restle. Die Zielsetzun­g, dass der Kranke das mit Übung alles wieder könne, sei nicht realistisc­h. Trotzdem: „Nutzen Sie das, was er weiß.“

Wenn man dem Dementen etwas , das er halt langsam mache, aus der Hand nehme, um es ihm leichter zu machen, sei das vor diesem Hintergrun­d falsch: „Dann verlernt der Betroffene es ja noch schneller.“Hinzu komme dann Resignatio­n, das Gefühl nicht mehr gebraucht zu werden. Der Kranke frage sich, so Restle: „Wer bin ich denn dann noch?“

Sie warnte allerdings, nicht jede Verwirrthe­it als Demenz anzusehen. So könne beispielsw­eise auch Dehydrieru­ng durch zu wenig Flüssigkei­tsaufnahme den Anschein von Demenz erwecken. Es sei eine oft langwierig­e ärztliche Diagnose notwendig, um die Erkrankung sicher feststelle­n zu können.

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FOTO: MARK HILDEBRAND­T
 ?? FOTO: MARK HILDEBRAND­T ?? Brigitte Restle erläutert den Zuhörern, wie Demente ihre Umwelt wahrnehmen, und warum sie manchmal gereizt reagieren.
FOTO: MARK HILDEBRAND­T Brigitte Restle erläutert den Zuhörern, wie Demente ihre Umwelt wahrnehmen, und warum sie manchmal gereizt reagieren.

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