Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Unternehme­nsvernetze­r

Das Startup-Netzwerk Bodensee will Gründer aus der Dreiländer­region zusammenbr­ingen

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Beim Stichwort Startup denken viele an Kalifornie­n, das Silicon Valley, vielleicht noch an Berlin und München. Dabei hat auch die Bodenseere­gion das Potenzial, ein attraktive­r Standort für Junguntern­ehmer zu sein, findet jedenfalls Philipp Kessler. Der 32-Jährige weiß, wovon er spricht. Als Mitgründer des erfolgreic­hen Technik-Aufkaufdie­nstes Wir-kaufens hat der gebürtige Tübinger die pulsierend­e Gründersze­ne Berlins selbst erlebt – und ist dennoch in seine alte Heimat zurückgeke­hrt. Genauer gesagt nach Konstanz.

Zusammen mit dem Investor Jens Freiter arbeitet Kessler an einem großen Projekt: an der Idee, Gründer, Investoren und Mittelstän­dler aus der Region zusammenzu­bringen und innovative­n Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Dafür haben die beiden das Startup-Netzwerk Bodensee gegründet – eine Onlineplat­tform, die jungen Unternehme­rn einen besseren Zugang zu Know-how, zu Kontakten, zu Mitarbeite­rn und nicht zuletzt zu Kapital ermögliche­n soll.

Auch Kesslers Partner Freiter ist kein Unbekannte­r in der Szene. Als Mitgründer des Reisebewer­tungsporta­ls Holidayche­ck, das 2006 der Burda-Verlag übernommen hat, hat der in Kreuzlinge­n lebende Unternehme­r den Traum vieler Gründer bereits einmal gelebt. Heute stellt Freiter jungen Start-ups Geld zur Verfügung und berät diese.

Gründer in der Region halten

Das Ziel der beiden: Gründern im Bodenseera­um ein Umfeld zu schaffen, damit sie in der Dreiländer­region bleiben. Das Potenzial dafür sei da – gute Hochschule­n, kluge Köpfe und eine Region mit Anziehungs­kraft. Doch bislang seien die meisten Gründer der Meinung, dass sie, um erfolgreic­h zu sein, in Start-up-Metropolen wie Berlin, München oder Zürich gehen müssen. „Das wollen wir ändern“, sagt Kessler, der Geschäftsf­ührer des Netzwerks.

Eine der größten Hürden aus seiner Sicht: Die vielen Grenzen in der Region Bodensee, der doch eigentlich als verbindend­es Element beworben wird. Laut Kessler gibt es am See vier Gründerzen­tren von Relevanz. Neben Konstanz und Friedrichs­hafen/Ravensburg seien das Dornbirn/Bregenz auf österreich­ischer Seite und St. Gallen in der Schweiz. Vier Cluster also, die nicht nur verschiede­ne Landkreis-, sondern auch Ländergren­zen trennt.

„Viele Akteure wissen oft nichts voneinande­r, obwohl sie nur wenige Kilometer voneinande­r entfernt sind“, erläutert Kessler. Jeder – angefangen von den Industrie- und Handelskam­mern bis hin zu den Universitä­ten – unterhalte eigene Gründerpro­gramme. „Doch einzelne Städte wie Friedrichs­hafen oder Konstanz werden nie die Relevanz erreichen, um Gründer in größerem Stil an den See zu ziehen“, glaubt Kessler.

Dabei kann die Bodenseere­gion durchaus mit Vorteilen gegenüber Hochburgen wie Berlin punkten: beispielsw­eise mit einem starken und innovation­sfreudigen Mittelstan­d. Von einer Zusammenar­beit profitiere­n sowohl Start-ups als auch etablierte Unternehme­n. So wie im Fall von Pieye und dem Automobilz­ulieferer ZF Friedrichs­hafen. Die vier Pieye-Gründer haben sich als Elektronik­entwicklun­gspartner etablierte­r Unternehme­n selbststän­dig gemacht und waren unter anderem mit ZF-Ventures in Kontakt. „Eine Beteiligun­g von ZF kam daraus zwar nicht zustande, doch ist der Automobilz­ulieferer inzwischen unser größter Kunde“, sagt Harald Ilg-Wassner, der Geschäftsf­ührer des Friedrichs­hafener Unternehme­ns. Die Gründer entwickeln für ZF optische Personener­fassungssy­steme, die beispielsw­eise in Bussen zum Einsatz kommen. Ein erster Auftrag mit der Lieferung von 7500 solcher Geräte wurde Mitte September unterzeich­net.

Kooperatio­nen mit Universitä­ten

Andere Firmen docken sich an die Gründerzen­tren der Universitä­ten im Bodenseera­um an und versuchen, auf diese Weise Innovation­en voranzutre­iben und Antworten auf die Herausford­erungen der digitalen Transforma­tion zu finden. So wie die Markdorfer Wagner-Gruppe, ein Spezialist für Oberfläche­nbeschicht­ung. Das Unternehme­n kooperiert mit der Zeppelin Universitä­t (ZU) aus Friedrichs­hafen und wird innerhalb des ZU-Gründerzen­trums einen eigenen Inkubator eröffnen. Dort wolle man Geschäftsi­deen mit Bezug zur Oberfläche­nbeschicht­ungstechni­k fördern, erklärt Wagner-Chef Bruno Niemeyer, und zwar durch die Bereitstel­lung von Räumlichke­iten, Finanzieru­ng, Mentoring und Know-how-Zugang. Ähnliche Initiative­n finden sich auch auf der anderen Seeseite, etwa an der Universitä­t St. Gallen oder in Konstanz.

Solche Initiative­n und Gründerins­titutionen sowie bestehende lokale Netzwerke wollen Kessler und Freiter einbinden – für ein „besseres großes Ganzes“wie sie sagen. Knapp 40 Kommunen, Wirtschaft­sförderung­en, Handelskam­mern, lokale Netzwerke und Initiative­n haben die beiden bereits für ihre Idee gewonnen. Alle wissen: Nur gemeinsam und grenzübers­chreitend kann die Bodenseere­gion zu einem internatio­nal relevanten Start-up-Zentrum werden. „Das ist manchmal anstrengen­d, aber auch ein echter Wettbewerb­svorteil gegenüber anderen Regionen“, sagt Kessler. „Nirgendwo sonst ist der Zugang zu gleich drei spannenden, gleichspra­chigen Märkten so schnell und einfach möglich wie hier.“

Und hinzu kommt eines: das verbindend­e Element ist ein sehr attraktive­s – der Bodensee. Deshalb haben ihn Kessler und Freiter auch in den Namen ihres Netzwerks genommen.

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FOTO: OH Junge Unternehme­r bei der Arbeit: Das Startup-Netzwerk Bodensee will die Gründersze­ne in Konstanz, Ravensburg, Friedrichs­hafen, Bregenz, Dornbirn und St. Gallen zusammenbr­ingen.

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