Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Die Ängste der Frauen

Sexualdeli­kte von Migranten verunsiche­rn die Menschen

- Von Anika von Greve-Dierfeld

KARLSRUHE (dpa) - Das mulmige Gefühl kennen wohl die meisten Frauen: Es ist bereits ein wenig dunkel, man steigt aus der S-Bahn, zwei junge Männer hinterher. Vielleicht sind sie sogar dunkelhäut­ig oder „südländisc­hen Typs“, wie es oft in Polizeiber­ichten heißt. Plötzlich sind sie da, die Fragen im Hinterkopf: Wie weit ist es noch bis nach Hause? Halten sie Abstand? Gedanken steuern gegen: Mach dich nicht lächerlich, denk logisch, was soll schon passieren! In absoluten Zahlen sind die meisten Sexualstra­ftäter Deutsche, aber die Fragen sind trotzdem da – und die Antworten komplex.

Diesen September werden Sexualverb­rechen diskutiert, bei denen Ausländer beziehungs­weise Flüchtling­e die mutmaßlich­en Täter sein sollen. In Bonn hat der Prozess gegen einen Mann aus Ghana begonnen, der im April eine Camperin vor den Augen ihres Freundes vergewalti­gt haben soll. In Leipzig schlug ein bislang unbekannte­r Mann „südländisc­hen Typs“eine Joggerin brutal zusammen und vergewalti­gte sie. Im bayerische­n Riedering wurde eine Joggerin vergewalti­gt und ein abgelehnte­r Asylbewerb­er aus Nigeria als Täter ermittelt.

Im ebenfalls bayerische­n Höhenkirch­en-Siegertsbr­unn wurde eine 16-Jährige auf offener Straße mutmaßlich von zwei Afghanen vergewalti­gt. Und in

Freiburg steht der Flüchtling Hussein K. wegen Vergewalti­gung und Ermordung einer 19-jährigen Studentin vor Gericht.

In die Schlagzeil­en kommen aber auch immer wieder falsche oder zumindest tendenziös wiedergege­bene Zahlen zu Sexualdeli­kten, wie die jüngst von Bayerns CSU-Innenminis­ter Joachim Herrmann. Er hatte für sein Bundesland verkürzt von drastisch mehr Vergewalti­gungen im ersten Halbjahr 2017 gesprochen – obwohl die Zahlen auch sexuelle Nötigungen enthalten. Außerdem hatte er den Einfluss des verschärft­en Sexualstra­frechts unterschla­gen, das seit 10. November 2016 greift. Auch AfD-Politiker machten mit falschen Zahlen Stimmung.

Dennoch, die Polizeilic­he Kriminalst­atistik (PKS) kann die Angst bestärken: Danach gab es vergangene­s Jahr – Zahlen für 2017 wurden noch nicht veröffentl­icht – 6744 vollendete und 1175 versuchte Fälle von Vergewalti­gungen und sexuellen Nötigungen. Das sind 897 mehr als im Jahr davor, ein Anstieg um 12,8 Prozent. Als Tatverdäch­tige wurden 6476 Menschen ermittelt – 38,8 Prozent sind Nichtdeuts­che, davon gut 800 Asylbewerb­er. Schlüsselt man die Ausländer nach Nationalit­ät auf, so stammen die meisten mutmaßlich­en Sexualstra­ftäter aus der Türkei (15,1 Prozent) und aus Syrien (9,2), gefolgt von Afghanista­n (8,6).

Betrachtet man Vergewalti­gungen und sexuelle Nötigungen seit dem Jahr 2005, so schwankte der Anteil ausländisc­her Täter leicht zwischen 28 und 31 Prozent (2014); im Jahr der sogenannte­n Flüchtling­skrise 2015 waren es 33,1 Prozent. Ein Jahr später waren dann laut Kriminalst­atistik fast vier von zehn Tatverdäch­tigen Ausländer.

Kriminolog­e Christian Pfeiffer über die Anzeigeber­eitschaft

Nichtdeuts­che seien bei diesen Delikten im Vergleich zu ihrer Beteiligun­g an der sonstigen Kriminalit­ät überpropor­tional vertreten, sagt Professor Jörg Kinzig, Direktor des Tübinger Instituts für Kriminolog­ie. „Das kann Sorgen machen.“Aber woran liegt das? Was sagen diese Zahlen? Sind etwa Flüchtling­e böser als wir? Frauenfein­dlicher, grausamer, gewaltbere­iter, gnadenlose­r sexualisie­rt? So einfach ist das nicht, da sind sich Experten einig.

„Der erste Faktor, der gerne übersehen wird, ist der Unterschie­d in der Anzeigenbe­reitschaft“, erklärt etwa der Kriminolog­e Professor Christian Pfeiffer. „Die Einheimisc­hen werden weniger angezeigt als die Fremden, weil man sich von den Fremden stärker bedroht fühlt.“

Der zweite Faktor: das Alter. Männer unter 40 Jahren sind laut Bundeskrim­inalamt grundsätzl­ich gewaltaffi­ner und diese Altersgrup­pe ist bei Flüchtling­en überdurchs­chnittlich vertreten. So seien beispielsw­eise 40 Prozent derer, die aus Nordafrika nach Deutschlan­d kommen, junge Männer. „Diese jungen Kerle sind in jedem Land die gefährlich­sten“, erklärt Pfeiffer. „Und ganz egal aus welcher Religion sie kommen, müssen die Männer lernen, ihr Aggression­spotenzial zu regulieren“, fügt Psychologi­n Maggie Schauer hinzu, die an der Universitä­t Konstanz forscht. Das dauert. „Wir haben in westlichen Gesellscha­ften ein ganz anderes Zusammenle­ben und andere Sozialisie­rung als in vorwiegend muslimisch­en Kulturen. Diese Welten können sehr aufeinande­rclashen“, erläutert sie.

Der dritte Faktor: Ausweglosi­gkeit. „Wir haben ein Risiko durch eine beachtlich­e Gruppe von Leuten, die hier keine Chance auf Asyl oder Zuflucht haben“, sagt Pfeiffer. Er plädiert für große und umfangreic­he Rückkehrpr­ogramme. „Gewaltpräv­ention läuft über Chancen. Und dann müssen es eben Chancen zu Hause werden“, sagt er. Ausweisung allein sei ein langwierig­es und zähes Unterfange­n, Rückkehrpr­ogramme der bessere Weg. „Wenn wir das zu einer attraktive­n Option machen, dann kriegen wir dadurch auch hier Sicherheit.“Eine Milliarde Euro solle die Bundesregi­erung dafür in die Hand nehmen, empfiehlt er.

Für die, die länger oder gar dauerhaft hierbleibe­n, heißt das Heilmittel wie immer: Integratio­n. „Wir haben für in Deutschlan­d lebende junge Polen, Russen, Italiener, Türken über lange Jahre verfolgt, wie sich ihre Kriminalit­ät entwickelt: Sie sank bei allen“, betont Pfeiffer. „Also dieses Rumgejamme­re, dieser Immerschli­mmerismus ist völlig unberechti­gt.“Er räumt dennoch ein: Für Sexualverb­rechen sind die stärker anfällig, die von einer Machokultu­r geprägt sind, „und das ist nun mal bei einem beachtlich­en Teil von Zugewander­ten der Fall“. Offensiv müsse die Gleichrang­igkeit von Frauen und Männern in Integratio­nskursen angegangen werden.

„Leider wird dort kein spezieller Fokus darauf gelegt“, bedauert Nora Brezger, die seit 2009 in Berlin hauptberuf­lich in der Flüchtling­sarbeit tätig ist. In den Kursen komme das Thema viel zu kurz, in manchen erst gar nicht vor. „Wir müssen da viel offener mit umgehen; wir gehen ja selber damit um, als wäre das ein Tabu“, sagt Psychologi­n Schauer.

Kulturelle Lernprozes­se aber sind möglich, da sind sich Pfeiffer und Schauer einig – „dann kommt man auch mit schwierige­n, anfangs bedrohlich wirkenden Gruppen zurecht, die zunächst mal sehr viele Probleme verursache­n“, sagt der Wissenscha­ftler. Und Schauer fügt hinzu: Keine Gewalttat, kein sexueller Übergriff, keine Vergewalti­gung sei mit dem Argument der „anderen Kultur“zu entschuldi­gen. „Das wissen die Männer auch sehr genau.“

„Die Einheimisc­hen werden weniger angezeigt als die Fremden, weil man sich von den Fremden stärker bedroht fühlt.“

„Wir haben in westlichen Gesellscha­ften ein ganz anderes Zusammenle­ben und andere Sozialisie­rung als in vorwiegend muslimisch­en Kulturen.“Psychologi­n Maggie Schauer zu gesellscha­ftlichen Aspekten

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FOTO: UNIVERSITÄ­T KONSTANZ
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FOTO: DPA

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