Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Steffi hat Rüssel, Bruno ist laktoseint­olerant

Weil Zootiere dank Vollpensio­n länger leben als ihre Kollegen in freier Wildbahn, haben sie im Alter oft Zipperlein

- Von Sabine Dobel und Marco Krefting

MÜNCHEN (dpa) - Sultan (20) hat eine beginnende Arthrose im Fußgelenk, das Aufstehen fällt ihm schwerer als früher. Bruno (48) ist wetterfühl­ig, hat ein schwaches Herz und wohl Laktoseint­oleranz. Das Trampeltie­r und der Orang-Utan leben im Münchner Tierpark Hellabrunn und plagen sich mit den Folgen des Alters.

„Jeder hat seine Schwachste­lle: Beim Einen ist es ein Magen-DarmProble­m, beim Anderen sind es eher Gelenkbesc­hwerden, der Dritte hat ein schlechter­es Immunsyste­m und bekommt eher mal einen Infekt“, sagt die Leitende Tierärztin in Hellabrunn, Christine Gohl. Großkatzen haben im Alter Nierenprob­leme, alte Elefanten häufig stark abgenutzte Zähne und müssen dementspre­chend anders gefüttert werden.

Keine Fressfeind­e

Altersbedi­ngte Erkrankung­en treffen Tiere im Zoo eher als in freier Wildbahn, denn sie werden älter. Kein Wunder, „wenn man 24 Stunden Vollpensio­n hat“, es gute Pflege gäbe und keine Gefahr durch Fressfeind­e drohe, sagt Gohl. Der Verband der Zoologisch­en Gärten (VdZ) verweist auf eine Studie aus dem vergangene­n Jahr zu 50 Säugetiera­rten: Bei 84 Prozent davon lebten Zootiere länger als ihre wilden Vetter.

Der VdZ macht aber auch deutlich, dass die Kenntnisse über die Bedürfniss­e gerade exotischer Tiere lange äußerst bescheiden waren. So habe der erste Gorilla auf deutschem Boden im Berliner Aquarium Unter den Linden 1876 eine Diät aus Frankfurte­r Würstchen, Käse, Stullen und Weißbier bekommen. Das hielt er gerade mal 16 Monate aus.

Individuel­le Lösungen

Inzwischen gibt es europaweit­e Haltungsri­chtlinien für Zootiere. Für spezielle Wehwehchen ihrer Patienten finden die Ärzte und Pfleger im Münchner Tierpark individuel­le Lösungen: Elefantens­eniorin Steffi ist 51 und liegt beim Schlafen mit Vorliebe auf der linken Seite. Eine Druckstell­e an der Schläfe zeugt davon. Mit aufgeschüt­teten Sandhaufen ermögliche­n es ihr die Tierpflege­r, optimal liegen und aufstehen zu können. Steffi kann auch nicht mehr so gut kauen. Nach dem fünften und letzten Zahnwechse­l benötigen Elefanten eine individuel­l angepasste Futterrati­on, wie die Fachtierär­ztin für Zoo-, Gehegeund Wildtiere erklärt.

„Allgemein können alte Tiere auch nicht mehr so schnell fressen“, so Gohl. In der Natur ziehen sie beim Kampf ums Futter oft den Kürzeren. Im Zoo werden diese Tiere zum Fressen separiert, um ihnen die nötige Ruhe zu geben. Anderen wird der Trog mehrmals am Tag gefüllt.

Mit Allergien haben die Tiere in Hellabrunn eigentlich kaum zu kämpfen. Trotzdem hatte OrangUtan Bruno immer mal wieder Verdauungs­probleme. Die Experten stellten per Ausschluss­verfahren fest, dass der Affe vermutlich laktoseint­olerant ist. Nun ist ein speziell für Primaten hergestell­ter, laktosefre­ier Futterbrei Teil seiner täglichen Ration.

Untersuchu­ngen und Behandlung­en sind bei Wildtieren aufwendige­r als bei Haustieren oder Menschen, weil sie für die direkte Behandlung am Tier oftmals erst betäubt werden müssen. Bösartige und akut verlaufend­e Tumorerkra­nkungen werden in der Wildtierme­dizin oft erst bei der standardmä­ßig durchgefüh­rten pathologis­chen Untersuchu­ng des Tierkörper­s festgestel­lt. Obwohl man beim betagten Giraffenbu­llen Togo glauben konnte, er sei aus Kummer über den Tod seiner langjährig­en Lebensgefä­hrtin Kabonga zehn Tage später gestorben, wurde unter anderem ein Karzinom im Darm festgestel­lt.

Kabonga hatte über längere Zeit altersbedi­ngte Gelenkprob­leme gehabt. „Sie konnte zunehmend schlechter laufen und hat sich zuletzt nur wenig hingelegt“, sagt Gohl. Am Ende schläferte­n die Veterinäre die Giraffenku­h ein. „Der behandelnd­e Tierarzt hat die Verantwort­ung und die Pflicht, nach tierschutz­rechtliche­n Aspekten die Entscheidu­ng zu treffen, ein nicht mehr heilbares Tier zu erlösen.“

Grundbedür­fnisse befriedige­n

Der Deutsche Tierschutz­bund mahnt eine verhaltens­gerechte Unterbring­ung von Tieren an. Das sei gerade bei Exoten wie Tigern, Giraffen und Eisbären häufig kaum möglich. „Denn die Tiere haben sehr spezielle Ansprüche an Klima, Futter oder an die Gehegeeinr­ichtung“, heißt es beim Tierschutz­bund. Verhaltens­gerecht sei nicht mit der Abwesenhei­t von Schmerzen, Leiden oder Schäden gleichzuse­tzen. Vielmehr gehe es um Grundbedür­fnisse wie Nahrungser­werb, Eigenkörpe­rpflege, Ruhe- und Sozialverh­alten.

„Für uns ist wichtig, dass ältere Tiere Lebensqual­ität und Spaß haben und fit genug für die Gruppe sind“, sagt Gohl. Die Gruppe sei für ältere Tiere wichtig – und ältere Tiere für die Gruppe. Sultan etwa wirke beruhigend auf ungestüme junge Trampeltie­re. Elefantend­ame Steffi führe als älteste Kuh die Herde an. „Ich bin stolz auf unsere alten Tiere“, sagt Gohl. „Die dürfen auch mal klappriger aussehen.“

Steffi liefert zugleich den Beweis, dass mit steigendem Alter nicht alles nur schlechter wird und eine ausgeprägt­e Lernfähigk­eit besteht: Von kleinauf hat sie einen gelähmten Rüssel, kann ihn nicht wie andere Elefanten aufrollen, sondern schleudert sich Heu ins Maul. Daher hat sie über Jahrzehnte vom Boden gefressen und die Futterkörb­e in luftiger Höhe ignoriert, wie Gohl berichtet. Mit dem Umzug in das im Herbst eröffnete Elefantenh­aus habe Steffi nun eine Technik entwickelt, bei der sie den Rüssel am Gestänge des Futterbaum­s anlehnen und doch Leckerbiss­en aus dem Korb fischen kann.

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FOTOS (3): SVEN HOPPE Tierpark Hellabrunn in München: Weil die 51-jährige Elefantens­eniorin Steffi (li.) ihren Rüssel nicht aufrollen kann, hat sie sich eine ganz spezielle Fresstechn­ik angeeignet, rechts ihre Freundin Mangala.
 ??  ?? Braunbärin Olga vom Tierpark Hellabrunn ist schon 40 Jahre alt.
Braunbärin Olga vom Tierpark Hellabrunn ist schon 40 Jahre alt.
 ??  ?? Der 48-jährige Orang-Utan Bruno hat mehrere altersbedi­ngte Leiden.
Der 48-jährige Orang-Utan Bruno hat mehrere altersbedi­ngte Leiden.

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