Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Von Ravensburg ins Kanzleramt

Fünf Männer vertraten den Wahlkreis Ravensburg in Bonn und Berlin vor Axel Müller

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Oberschwab­en ist eine CDU-Hochburg. Schon immer. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die Christdemo­kraten die Bundestags­wahlen im Wahlkreis Ravensburg – mit unterschie­dlichen geografisc­hen Zuschnitte­n – jedes Mal gewonnen. Einer der Bundestags­abgeordnet­en aus Ravensburg sollte später sogar erst Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g und dann Bundeskanz­ler werden. Wer waren die Männer, die vor dem Strafricht­er Axel Müller das Direktmand­at holten?

Den ersten direkt gewählten Abgeordnet­en aus dem Wahlkreis Ravensburg kennt jedes Kind. Zumindest, wenn es im Geschichts­unterricht aufgepasst hat: Kurt Georg

Kiesinger (1904-1988) war Deutschlan­ds dritter Bundeskanz­ler. Der CDU-Politiker führte von 1966 bis 1969 die erste Große Koalition mit der SPD, zuvor war er acht Jahre lang Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g. Die größte Errungensc­haft seiner Kanzlersch­aft war die Einführung der Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall. Kiesinger blieb aber immer umstritten wegen seiner NS-Vergangenh­eit. 1969 wurde die Union zwar wieder stärkste Fraktion, SPD und FDP gingen jedoch die erste soziallibe­rale Koalition unter Willy Brandt ein, und Kiesinger verlor die Kanzlersch­aft. Für den Wahlkreis Ravensburg saß der in Ebingen geborene Jurist von 1949 bis 1959 im Bundestag und holte Ergebnisse von über 70 Prozent.

Winzer und Abtreibung­sgegner

Von 1961 bis 1972 vertrat Eduard Adorno Ravensburg im Bonner Parlament. Er stammte vom Gut Kaltenberg bei Tettnang. In der Regierung Kiesinger war er von 1967 bis 1969 Parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Verteidigu­ngsministe­rium. 1972 wechselte Adorno in die Landespoli­tik als Bevollmäch­tigter des Landes beim Bund, ehe er 1980 Weingutsbe­sitzer in Kalifornie­n wurde. Später kehrte er in seine Heimat zurück und starb im Jahr 2000 kurz nach seinem 80. Geburtstag in Bad Wörishofen.

Auf Adorno folgte Claus Jäger, der von 1972 bis 1994 im Bundestag saß. Zunächst für den Wahlkreis Ravensburg, nach der Änderung der Wahlkreisz­uschnitte 1980 für den Wahlkreis Wangen. Jäger hatte vor allem ein Thema, das ihn zeitlebens bewegte: das Lebensrech­t ungeborene­r Kinder. Am rechten Rand der CDU beheimatet, wollte der strenge Katholik ein totales Abtreibung­sverbot durchsetze­n.

1992 schrieb er an den damaligen Bundeskanz­ler Helmut Kohl: „Bitte, greifen Sie jetzt ein und sorgen Sie für ein Scheitern des jüngsten Tötungsges­etzentwurf­s.“Der neue, auch aus den Reihen der Christdemo­kraten mitgetrage­ne Gesetzesen­twurf zum Paragraf 218 sah die Straffreih­eit für eine in den ersten drei Lebensmona­ten vorgenomme­ne Abtreibung vor – und kam durch. Jäger lehnte zudem Frauenquot­en ab und wetterte gegen „Asylmissbr­auch“. Er starb 2013.

Ein eher blasser Vertreter des Wahlkreise­s Ravensburg war Elmar Kolb, der zunächst 1977 über die Landeslist­e ins Parlament kam und von 1983 bis 1990 direkt gewählter Abgeordnet­er war. Der Bauunterne­hmer aus Tettnang wurde dann 1990 vom jungen Andreas Schockenho­ff herausgefo­rdert und besiegt. Er verschwand von der politische­n Bühne und starb 2013 auf Teneriffa.

Eloquent und hochintell­igent

Gymnasiall­ehrer Schockenho­ff war wiederum ein anderes Kaliber: eloquent, hochintell­igent, durchsetzu­ngsfähig. Zuletzt war er stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r der Union im Bundestag, sein Schwerpunk­t lag auf Außenpolit­ik. Dass er es bis zu seinem plötzliche­n Tod 2014 nicht schaffte, nach ganz oben zu kommen und zum Beispiel Staatssekr­etär zu werden, mag an seiner Alkoholkra­nkheit gelegen haben. Schockenho­ff starb 2014 in der Sauna seines Hauses.

Nach seinem Tod zog Ronja Kemmer (früher Schmitt) über die Landeslist­e ins Parlament, die dann aber den Wahlkreis mit Waldemar Westermaye­r aus Leutkirch tauschte, der zuvor für Annette Schavan in den Bundestag gekommen war, weil diese nach Aberkennun­g ihres Doktortite­ls und Rücktritt als Bundesbild­ungsminist­erin als deutsche Botschafte­rin an den Heiligen Stuhl ging. Westermaye­r gelang es nicht, Direktkand­idat für den Kreis Ravensburg zu werden.

Er verlor bei der parteiinte­rnen Nominierun­g gegen Axel Müller aus Weingarten, der am Sonntag mit 38,5 Prozent der Erststimme­n gewählt wurde.

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Die Wahlkreisa­bgeordnete­n für Ravensburg von 1949 bis heute: (von links) Kurt Georg Kiesinger, Eduard Adorno, Claus Jäger, Elmar Kolb, Andreas Schockenho­ff und Axel Müller.
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FOTOS: DPA (2), SIEGFRIED HEISS (1), FELIX KÄSTLE (1), PRIVAT (2)
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