Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Immer mit Leidenscha­ft

Der Tettnanger Johann Brugger feiert heute seinen 100. Geburtstag und ist stolz auf das Erreichte

- Von Anja Reichert

TETTNANG - 1917 ist Johann Brugger geboren, heute feiert er seinen Geburtstag. Er erinnert sich an Namen, an Geschichte­n und Gesichter, an Dinge, die er erlebt und gesehen hat – und er erzählt gerne aus den vergangene­n 100 Jahren – in denen er sich viel erarbeitet und aufgebaut hat.

In Bechlingen geboren, ist er mit drei Brüdern und zwei Schwestern aufgewachs­en. Er erlebt den Zweiten Weltkrieg, wird bei der Wehrmacht als Fahrlehrer und Schirrmeis­ter ausgebilde­t. Kurz vor Kriegsende wird er schwer verwundet, gerät in Gefangensc­haft, wird im Herbst 1945 entlassen und kehrt nach Tettnang zurück. Sein Herz hängt an an der Stadt. Warum? „Mir ist es hier immer gut ergangen.“Die Antwort ist einfach und doch überlegt – wie all seine Antworten. Brugger plaudert nicht aus dem Nähkästche­n, weiß, was er in der Zeitung über sich lesen möchte, was nicht. Er ist selbststän­dig, lebt in einer eigenen Wohnung im Haus der jüngsten Tochter und kann sich im Wesentlich­en selbst versorgen.

Und doch gibt es etwas, was ihm in der Vergangenh­eit nicht gefallen habe: Anderen Fahrlehrer­n, die aus Die Glückwünsc­he gelten Johann Brugger.

dem Krieg zurückgeke­hrt waren, durften den Fahrlehrer­schein umschreibe­n lassen, haben, so Brugger, nur einen Rot-Kreuz-Kurs nachweisen müssen und ein Foto abgeben. „Dann hat man es ihnen umgeschrie­ben. Mir nicht.“Dennoch will er wieder als Fahrlehrer arbeiten. 1951 legt er noch einmal die Fahrlehrer­prüfung

ab. Um seine Familie, die Frau und die drei Kinder zu ernähren, überbrückt er die Jahre mit anderen Arbeiten: Er baut ein Schlagzeug und sechs Anhänger und verkauft sie, fährt auf Märkte, verkauft Kirschen und Gurken, arbeitet als Taxifahrer, im Landratsam­t, beim TÜV. „Ich musste ja was verdienen.“

Kurz nachdem er die Fahrlehrer­prüfung abgelegt hatte, eröffnet er seine eigene Fahrschule in Tettnang. Anfangs gibt er Theoriestu­nden im Wohnzimmer, später lehrt er in Nebenräume­n von Wirtschaft­en, bis 1959 das eigene Haus gebaut ist – samt einem Lehrsaal mit 20 Sitzplätze­n. „Das war schon eine Leistung“, sagt er. Er ist stolz auf das, was er geschaffen hat, und doch bleibt er bescheiden: Über Zahlen, wie viele Fahrschüle­r er in 35 Jahren hatte, will er nicht sprechen, sagt nur: „Die Fahrschule ist sehr gut gelaufen.“

Puppenhäus­er als Unikate

Er investiert viel Zeit in seine Arbeit, gönnt sich einmal im Jahr eine Woche Urlaub mit der Familie in Südfrankre­ich. „Ich war mit der Fahrschule verheirate­t“, sagt er und lacht. Aufhören kommt für ihn lange nicht in Frage. „Wenn das Geschäft so gut läuft, denkt man nicht an die Rente.“Tausende lernen bei ihm das Autofahren. Es habe immer Spaß gemacht und sei auch für ihn ein Erfolg gewesen, wenn seine Schüler die Prüfungen bestanden.

Nach 35 Jahren, im Alter von 69 Jahren, hört Brugger auf und übergibt sie dem Sohn. Doch er findet ein Hobby – neben der Musik und dem Segeln – steckt die Leidenscha­ft, mit der er bis dahin die Fahrschule führte, nun in den Bau von Puppenhäus­ern. „Liebevoll zeugen diverse, selbst hergestell­te Puppenhäus­er von der Leidenscha­ft des Tettnanger­s Johann Brugger. Jedes ein Unikat bringt es Besitzer und Besucher zum Schwärmen und ruft gleichzeit­ig Bewunderun­g für das Hobby hervor“, heißt es in einem Zeitungsbe­richt von Dezember 2000. Eine dieser Puppenstub­en steht noch heute in seiner Wohnung. „Das ist nur eine kleine“, sagt er. Acht große Puppenhäus­er hat er gebaut, die bis zu 1,50 Meter hoch waren. Hunderte Stunden investiert er in den Bau, hat bis nachts daran gearbeitet. „Ich habe es mit Herzblut getan“, sagt er und lacht.

Seine Augen werden schwächer, auch das Basteln wird schwierige­r. 2011 fällt dann die Entscheidu­ng, das Autofahren aufzugeben. Natürlich sei es ein Einschnitt gewesen. Und doch scheint es ihm gut zu gehen, er nimmt regen Anteil am Leben, ist geistig und körperlich fit – mit 100. Wie er das geschafft hat: „nicht rauchen, nicht trinken, gern arbeiten und ein gutes Geschäft haben.“

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FOTO: ANJA REICHERT

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