Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Volkswagens Abgasrechnung steigt weiter
Gewinnwarungung: Die Bewältigung des Abgasskandals geht stärker ins Geld als geplant
WOLFSBURG (dpa) - Es ist ein teures Geständnis, mit dem Volkswagen am Freitag herausrückte: Zusätzliche „Dieselgate“-Kosten dürften das nächste Quartalsergebnis um 2,5 Milliarden Euro drücken. Für die Investoren des Wolfsburger Autoriesen war die Nachricht ein Schock – der Aktienkurs sackte in einer ersten Reaktion um rund vier Prozent ab, erholte sich im Zuge eines freundlichen Gesamtmarktes gegen Handelsende allerdings wieder. Die neuen Belastungen lassen die AbgasRechnung des Konzerns auf den enormen Betrag von mehr als 25 Milliarden Euro ansteigen.
Dabei bleiben die Hintergründe des überraschenden neuen Milliarden-Schocks zunächst nebulös. In der dürren Pflichtmitteilung, mit der sich VW an die Finanzwelt wandte, wird lediglich ein „Anstieg der Rückstellungen“für ein im Rahmen von Vergleichen mit Klägern in Nordamerika vereinbartes Rückruf- und Umrüstungsprogramm für manipulierte Dieselfahrzeuge mit 2,0-LiterMotoren angeführt.
Das Vorhaben erweise sich „technisch als weitaus komplexer und wesentlich zeitaufwendiger“als angenommen, heißt es in der Erklärung weiter. Diese Begründung wirft Fragen auf. Denn dass es sich bei den Vereinbarungen mit US-Regierung, Umweltbehörden und zahlreichen anderen Sammelklägern um ein ausgesprochen teures Projekt handeln würde, war von Anfang an klar.
Zudem hatte der Konzern die Bewältigung des Riesenprogramms bislang stets als großen Erfolg dargestellt. Ende Juni hatte VW beim zuständigen Richter Charles Breyer in San Francisco große Fortschritte gemeldet, von „Enthusiasmus bei den Verbrauchern“war gar die Rede. Damals waren von rund 475 000 betroffenen Autos mit 2,0-Liter-Dieselmotor bereits etwas mehr als 298 000 umgerüstet oder zurückgekauft, ein Anteil von rund 63 Prozent.
Gründlich verkalkuliert
Eigentlich hat VW bis Mitte 2019 Zeit, einen Wert von 85 Prozent zu erreichen. Also noch zwei Jahre. Somit schien man auf gutem Weg. Doch bei der Kostenrechnung hat VW sich wohl gründlich verkalkuliert. Denn dass das Programm sich bei US-Kunden – dank großzügiger Rückkaufsangebote für gebrauchte Dieselwagen mit Schummelsoftware – großer Beliebtheit erfreut, mag dem Konzern zwar bei der Politur des angekratzten Images helfen. Es macht die Sache aber nicht günstiger.
Nach Angaben eines VW-Sprechers gibt es mehrere Gründe für die höheren Kosten. Der Aufwand, ein Auto in einen von den Behörden akzeptierten Zustand zu versetzen, sei größer als geplant, sagte er. Unter anderem lägen für einige der betroffenen Wagen noch keine technischen Lösungen vor – das Problem sei in den USA komplexer als in Europa. Weltweit sind rund elf Millionen VW-Dieselwagen vom Abgasskandal betroffen.
Die Autos in den USA hätten infolge der strengeren Emissionsgesetze für Stickstoffoxide eine andere technische Ausstattung, so der Konzernsprecher. „Damit einhergehend ist das Vorgehen auch zeitlich anspruchsvoller als gedacht.“Mit zunehmender Verzögerung entscheide sich auch der ein oder andere USKunde für einen Rückkauf, der eigentlich eine Umrüstung seines Autos in Betracht gezogen hatte. Die aus dem Verkehr gezogenen Fahrzeuge würden zudem nicht wertvoller, je länger sie nicht umgerüstet werden könnten.
Bei Experten sorgte die Gewinnwarnung für Erstaunen. „Die Höhe der Rückstellung ist überraschend hoch in Anbetracht der relativ geringen Anzahl der betroffenen Autos“, sagte Analyst Jürgen Pieper vom Frankfurter Bankhaus Metzler dem Finanzdienst Bloomberg. „Es zeigt, dass VW bei diesem Skandal noch einiges an Wegstrecke zu bewältigen hat.“
Auch bei Nicht-Dieseln könnten VW in den USA Unannehmlichkeiten drohen. Laut einem Medienbericht hat es der Konzern in den Staaten versäumt, Updates seiner Motorsoftware bei 500 000 Benzinern ordnungsgemäß den Behörden anzuzeigen. Betroffen seien Autos, die von 2009 bis 2017 verkauft wurden, berichtet der „Spiegel“unter Berufung auf interne Untersuchungen von VW. Allerdings geht es dem Vernehmen nach nicht um unerlaubte Software, sondern lediglich um Anmeldungsversäumnisse, wenn etwa Software aus Europa auch in US-Motoren angewendet wurde.
„Zu etwaigen vertraulichen internen Vorgängen, die insbesondere den Austausch mit den zuständigen Behörden betreffen würden, äußern wir uns nicht“, sagte der VW-Sprecher. Das Verhältnis zu den US-Behörden ist heikel, schließlich hatten Mitarbeiter in der Dieselaffäre den Aufsehern gegenüber noch versucht, die Abgasmanipulationen zu vertuschen. Das kam den Wolfsburgern im Aushandeln insbesondere des strafrechtlichen Vergleichs nicht gerade zugute.
Weiterer Manager in Haft
Auch hierzulande hat der Skandal für VW eine neue Stufe erreicht, nachdem gestern bekannt wurde, dass der ehemalige Porsche-Entwicklungsvorstand und Audi-Motorenentwickler Wolfgang Hatz in Untersuchungshaft sitzt. Ein Ermittlungsrichter in München habe diesen Schritt gegen den engen Vertrauten von Ex-VW-Konzernchef Martin Winterkorn angeordnet, meldeten „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR am Donnerstag.
Hatz war von 2001 bis 2007 zunächst Chef der Motorenentwicklung bei Audi, danach bei VW und von 2011 bis zu seiner Beurlaubung im September 2015 Entwicklungsvorstand der Porsche AG. 2016 einigte er sich mit Porsche auf einen Aufhebungsvertrag. Bei einer internen Untersuchung war ihm allerdings kein Fehlverhalten nachgewiesen worden.
Der „Süddeutschen Zeitung“zufolge gehen die Strafverfolger angeblich davon aus, dass Hatz einerseits eine wichtige Rolle im Abgasskandal gespielt hat und andererseits nach seiner Beurlaubung bei Porsche bei einem Treffen mit früheren Audi-Kollegen Tipps gegeben hat, wie man in der Affäre am besten aussage, um Schlimmeres zu verhindern. Hatz wird auch durch Aussagen des Ex-Audi-Managers Giovanni P. belastet, der ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt.