Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Zurück zu den Wurzeln
Die Ulmer Basketballer haben herbe Verluste zu beklagen, bleiben aber positiv
ULM - Gäbe es ein Spiel, das die letzte Saison der Ulmer Basketballer bittersüß zusammenfasst, wäre es das zweite Halbfinale gegen Oldenburg. Ulm führte auswärts mit 27 Zählern Vorsprung, schaffte es aber noch zu verlieren, weil sich alle bösen Geister gegen die Gäste verschworen hatten. Spielmacher Per Günther und Thorsten Leibenath erklärten am Donnerstag noch einmal wunderbar blumenreich und analytisch, welch sonderbare Sternenkonstellationen da alle zusammengekommen waren, der Trainer resümierte: „Der BasketballGott hatte eben Lust auf Drama.“
Kann man so sagen, auch aufs ganze Jahr bezogen. Den sensationellen Rekord, den Ulm mit 27 Siegen zum Auftakt aufgestellt hatte, korrigierte die höhere Macht in den Playoffs mit feiner Ironie: Aufgrund von drei Verletzten ging dem Team am Ende der Saft aus, es war wie bei einem Marathonläufer, der 41 Kilometer lang führt und in Sichtweite des Ziels Wadenkrämpfe bekommt. Am Ende stellte Ulm in Raymar Morgan zwar den MVP (wertvollster Spieler) der Liga und in Chris Babb auch noch die Nr. 2, den Titel aber holte wie erwartet Serienmeister Bamberg.
Den fast zwangsläufigen Exodus der Besten – neben Morgan und Babb gingen auch Augustine Rubit, Chris Babb, Braydon Hobbs und Karsten Tadda – haben die Ulmer zwar mit ihrem gewohnt akribischen Scouting und sechs fähigen Neuzugängen kompensiert, dennoch begann die Mannschaft beim Trainingsauftakt vor sechs Wochen im Grunde fast bei null. Sie muss sich erst kennenlernen, finden, Harmonie und Automatismen bilden. Auch Leibenath hat wieder eine neue Rolle inne, nimmt die Sisyphusaufgabe aber demütig an: „Ich glaube, die Herausforderung wäre deutlich langweiliger, wenn ich jetzt mit der gleichen Mannschaft weitermachen müsste. Ich bin dankbar, dass ich die Chance bekomme, mit einem neuen Team wieder von vorne anzufangen“, sagt er. „Klar ist: Die Arbeit in der Vorbereitung war deutlich härter als im Vorjahr. Ich musste wieder einen Gang zurückschalten, wieder mehr als Lehrer arbeiten. Letztes Jahr war ich fast nur der Verwalter, der Moderator, jetzt mache ich die klassische Trainerarbeit: Dinge beibringen, den Spielern verständlich machen, was ich da eigentlich von ihnen will.“Seine Philosophie vermitteln eben.
Leibenath weiß, dass dies das Los fast aller Basketball-Trainer ist – auch jener aus Bamberg, München, Oldenburg und Berlin, die ihre Kader gerade ebenfalls grundsanieren mussten, wenn auch mit mehr Geld. Zuletzt gelang es den Ulmern in fünf Jahren viermal, besser als die Bayern zu sein „und overzuperformen“, wie Leibenath sagt, ein Naturzustand allerdings ist das nicht.
Das Potenzial, am Ende doch wieder in der Spitzengruppe zu landen, ist gleichwohl da – findet zumindest Denis Wucherer. Der Ex-Nationalspieler sagte der „Sport Bild“: „Ulm hat extrem viel Firepower verloren, aber mit Trey Lewis, Ryan Thompson und Luke Harangody auch sehr viel davon geholt. Dazu Günther, Da’Sean Butler und Tim Ohlbrecht, wenn sie gesund sind, und Ulm könnte offensiv tatsächlich noch schwerer auszurechnen sein. Der Finaleinzug würde mich nicht überraschen.“Günther wäre nach der Vorrunde auch mit Platz sechs zufrieden – unter der Maßgabe, dass zu den Playoffs alle gesund seien und im Bewusstsein, dass die Saison dann quasi von Neuem beginnt.
Tatsächlich haben die Ulmer immerhin drei Spieler mit NBA-Erfahrung im Kader, und in Ohlbrecht eine Art siebten Neuzugang. Wie belastbar der Center nach seinem Kreuzbandriss ist, bleibt die Frage. In den Testspielen bekam der 29-Jährige viel Einsatzzeit, vor einer Woche aber wurde sein Knie noch einmal diagnostisch untersucht. Ob der 2,10-Meter-Mann heute (18 Uhr) beim Ligaauftakt in der Ratiopharm-Arena gegen Alba Berlin spielt, ist noch unsicher.
Leibenath hält sich zurück mit Saisonprognosen: „Wir werden anfangs wahrscheinlich nicht unseren besten Basketballl spielen. Wir hatten mit Morgan und Babb herbe Verluste zu verkrafen, viele besondere Charaktere auf dem Feld und auch abseits, aber wir haben es geschafft, auch wieder spannende Persönlichkeiten nach Ulm zu locken. Wir haben bewusst darauf verzichtet, eine Art Kopien der Spieler zu verpflichten, das würde uns nur schwächer machen, aber ich hoffe, dass wir mittelfristig wieder stark und erfolgreich spielen.“
Der Stil der Mannschaft werde sich naturgemäß ändern. „Unser Spiel wird geprägt sein von dominanten Guards, Trey Lewis und Ryan Thompson sind mit dem Ball im eins gegen eins kaum zu stoppen“, sagt der Trainer. „Diese Qualität wollen wir uns zunutze machen, und defensiv erwarte ich Kompaktheit.“In Toure Murry, der 56 NBA-Spiele auf dem Buckel hat, haben die Ulmer zudem offenbar ein Konditionswunder verpflichtet, wie sich im Test gegen Tübingen zeigte. Da spielte der 27-Jährige in der zweiten Halbzeit aus Versehen 18 Minuten durch, Leibenath hatte schlicht vergessen, ihn auszuwechseln. „Mir fiel das gar nicht auf, er hat keinerlei Ermüdungserscheinungen gezeigt“, erzählt der Trainer lächelnd. Vielleicht ein gutes Omen für die Saison.