Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Hirschgraben-Prozess: Hohe Haftstrafe für Mordversuch
Täter muss zehneinhalb Jahre ins Gefängnis
RAVENSBURG - Wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls mit Waffen hat das Landgericht Ravensburg am Dienstag einen 22-Jährigen verurteilt, der im März nach einem Streit beinahe einen 63-jährigen Mann getötet hatte. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten.
Eine Streiterei eskaliert zu einer sinnlosen, äußerst brutalen Gewalttat, bei der beinah ein Mensch ums Leben kommt: So geschehen am 16. März im Hirschgraben in Ravensburg. Dabei beginnt alles ganz harmlos. Wie so oft treffen sich junge Leute in dem kleinen Park an der Altstadtmauer, trinken schon am späten Nachmittag Alkohol und hören Musik.
Das Ganze entwickelt sich zu einem lautstarken Gelage, was einen Anwohner in Rage bringt. Der 63Jährige, selbst erheblich angetrunken, schreit aus dem Fenster, besteht auf Ruhe, heißt die jungen Leute Kanaken. Die brüllen zurück; einzelne Sätze lassen sich vor Gericht nicht mehr rekonstruieren. Doch dass der ältere Mann den jungen Leuten angedroht haben soll „runterzukommen und sie totzuschlagen“, das sagt zumindest der Verteidiger des Angeklagten vor Gericht.
Mit Feuerlöscher bewusstlos geschlagen
Was dann folgt, ist rational kaum erklärbar. Der 22-Jährige sucht die Wohnung des 63-Jährigen, findet sie, klopft an der Tür, ihm wird geöffnet. Er überrumpelt den Mann, schlägt und tritt auf ihn ein, die Chronologie der Tat ist trotz einer Zeugin in der Wohnung, einer Bekannten des Opfers, nicht exakt nachvollziehbar. „Mit einer Brutalität, die seinesgleichen sucht“(Vorsitzender Richter Matthias Geiser) drischt der Täter auf den älteren Mann ein. Mit einem zehn Kilogramm schweren Feuerlöscher soll er ihn bewusstlos geschlagen, ihm einen PC-Monitor auf den Kopf gedonnert haben. Hinzu kommen Tritte gegen Körper und Kopf und drei wuchtige Stiche mit einem messerartigen Gegenstand, der nach der Tat nicht aufgefunden werden kann.
Die Stichwunden sind derart massiv, dass dem Opfer eine Rippe bricht. Zudem erleidet es einen Lungendurchstich, eine Schädelfraktur, ein Schädelhirntrauma, eine Augenbogenfraktur und Hämatome. Vier Mal muss der Notarzt reanimieren, um das Leben des 63-Jährigen doch noch retten zu können.
Nach Aussage der Zeugin in der Wohnung soll der 22-Jährige vor oder während seines Gewaltausbruchs nicht nur „Alter, ich bring dich um!“geschrien, sondern von seinem Opfer auch Geld gefordert haben. Da sich in einem Portemonnaie auf dem Schreibtisch lediglich eine Busfahrkarte befindet, stiehlt er aber nur die. Als sich die Zeugin, zunächst für den Täter nicht sichtbar, aus ihrer Schockstarre lösen und ins Geschehen eingreifen kann, soll er gerufen haben, der 63-Jährige könne froh sein, dass sie da sei, sonst hätte er ihn „komplett totgemacht“.
Täter bestreitet Tötungsabsicht
Der Angeklagte hatte bereits zu Prozessbeginn die Tat eingeräumt, aber eine Tötungsabsicht bestritten. Die Staatsanwaltschaft sah das am Dienstag anders. Das Gericht folgte dieser Argumentation, wonach aufgrund des Überraschungseffekts – der Täter klopfte an die Tür und schlug dem arglosen 63-Jährigen beim Öffnen sogleich den Feuerlöscher auf den Kopf – eindeutig das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt sei. Der 22-Jährige habe nichts unternommen, um dem in einer Blutlache liegenden 63-Jährigen zu helfen, sondern flüchtete nach der Tat.
Dass er laut Gutachten alkoholisiert war und bei ihm zudem eine disoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde, wertete das Gericht nicht als Einschränkung der Schuldfähigkeit. Der junge Deutsche ist einschlägig polizeibekannt und wurde erst rund sechs Monate vor der Tat aus einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe entlassen. Ein Verbrechen derartiger Brutalität, so Vorsitzender Richter Matthias Geiser bei der Verhandlung, sei auch für die Schwurgerichtskammer des Ravensburger Landgerichts alles andere als alltäglich.
Vorsitzender Richter Matthias Geiser
„Mit einer Brutalität, die seinesgleichen sucht.“