Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Österreich ordnet sich neu

Die Alpenrepub­lik erwartet wohl erstmals eine Koalition aus konservati­ver ÖVP und rechtspopu­listischer FPÖ

- Von Rudolf Gruber

WIEN - Sicher ist am späten Wahlsonnta­g-Abend nur der Sieg des 31-jährigen Sebastian Kurz. Sicher ist auch, dass die Mehrheitsv­erhältniss­e im neuen Nationalra­t (Parlament) andere sein werden als bei der letzten Wahl 2013. Ein endgültige­s Wahlergebn­is könnte erst am Dienstag vorliegen, die Auszählung der rund 900 000 Briefwahlk­arten – so viele wie nie zuvor – könnten noch Mandate verschiebe­n. Klar ist: Nahezu 60 Prozent der 6,4 Millionen stimmberec­htigten Österreich­er haben dem Land einen Rechtsruck beschert.

Kurz, seit vier Jahren Außenminis­ter und erst seit drei Monaten Parteichef der Konservati­ven (ÖVP), ist mit 31,4 Prozent der Stimmen klarer Sieger. Der Zuwachs beträgt gegenüber 2013 7,7 Prozent. Der Sieg fiel also weniger überlegen aus als die Prognosen vermuten ließen. Kurz brachte die ÖVP erstmals seit 1966 zurück an die Spitze, womit auch feststeht, dass Österreich den jüngsten Bundeskanz­ler aller Zeiten bekommen wird. Favorit für die Rolle des Juniorpart­ners ist die rechte Freiheitli­che Partei (FPÖ). Deren Chef Heinz-Christian Strache hat sein Ziel erreicht, mit 27,4 Prozent der Stimmen und einem Plus von 6,8 Prozent zweitstärk­ste Kraft zu werden.

Obwohl die Sozialdemo­kraten (SPÖ) mit Christian Kern einen Hoffnungst­räger hatten, kommen sie mit 26,7 Prozent nur auf Platz drei. Kern, noch amtierende­r Bundeskanz­ler, sprach von einem „massiven Rechtsruts­ch“.

Die großen Verlierer sind die Grünen, die fast zwei Drittel ihrer Stimmen eingebüsst haben und denen nun der Rauswurf aus dem Parlament droht. Am Sonntagabe­nd lag die Ökopartei mit 3,3 Prozent knapp unter der Vier-Prozent-Hürde für den Einzug, man hofft aber noch auf Zuwachs aus Stadtergeb­nissen. „Das ist ein Debakel“, gab die Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek zu, die auch Vizepräsid­entin des Europaparl­aments ist. Doch daran ist weniger der Trend zum Rechtspopu­lismus schuld als vielmehr der ruinöse innerparte­iliche Machtkampf zwischen Fundis und Realos, der im Frühjahr zur Spaltung geführt hat.

Keine Koalitions­aussagen

Denn Peter Pilz, Mitbegründ­er der Grünen, war wegen eines schlechten Listenplat­zes ausgetrete­n und kandidiert­e mit einer eigenen Liste. Pilz, der als erfolgreic­hster Skandalauf­decker des Landes gilt, hat mit 4,1 Prozent das Ergebnis seiner ehemaligen Partei sogar übertroffe­n und dürfte in den Nationalra­t einziehen. Enttäusche­nd verlief es auch für die wirtschaft­sliberale Partei Neos, vergleichb­ar mit der FDP. Als Ziel hatte Spitzenkan­didat Matthias Strolz ein zweistelli­ges Ergebnis vorgegeben, es gab nur 5 Prozent der Stimmen. Zu Koalitions­aussagen wollte sich am Sonntag keiner der Chefs der ersten drei Parteien äußern. Kurz will, sollte ihm Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen den Regierungs­auftrag geben, „zunächst mit allen Parteien Gespräche führen“. Theoretisc­h hätten drei Koalitions­modelle die nötige Mehrheit im 183 Sitze zählenden Wiener Parlament. Ein rot-blaues Bündnis dürfte an zu großem Widerstand in der SPÖ gegen die FPÖ scheitern. Dass die Sozialdemo­kraten den Parteibesc­hluss aufheben, wonach es mit der antieuropä­ischen Rechtspart­ei keine Kooperatio­n geben dürfe, ist unwahrsche­inlich. Genau dies aber machte Strache zur Bedingung. Eine Neuauflage der bisherigen Koalition der führenden Parteien SPÖ und ÖVP gilt zwar nach zwölf Jahren als äußerst unpopulär, doch mit neuen Protagonis­ten als erneuerbar. Bereits im Wahlkampf waren Gerüchte gestreut worden, Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil könne neuer SPÖ-Chef werden, da das Verhältnis von Kern zu Kurz als heillos zerrüttet gilt.

Parteichef Kern wollte am Sonntag seine Ankündigun­g, die SPÖ bei Verlust der Spitzenpos­ition in die Opposition führen zu wollen, nicht wiederhole­n. Allgemein wird in Österreich erwartet, dass ÖVP und FPÖ die nächste Regierung bilden. FPÖ-Chef Strache führte diesmal einen gemäßigten Wahlkampf mit klarem Ziel einer Regierungs­beteiligun­g. Allerdings fehlt von der FPÖ ein klares Bekenntnis zur Europäisch­en Union, das Kurz bereits eingeforde­rt hat. Zumindest von einem Austritt Österreich­s aus der EU, den die FPÖ noch vor Abstimmung in Großbritan­nien (Brexit) gefordert hat, spricht Strache nicht mehr. Gerüchten zufolge soll auch der EU-Skeptiker und unterlegen­e FPÖ-Präsidents­chaftskand­idat Norbert Hofer nicht neuer Außenminis­ter werden.

Der Grund: Im zweiten Halbjahr 2018 übernimmt Österreich die EURatspräs­identschaf­t, die dann mit internatio­nalen Protesten belastet wäre.

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FOTO: DPA ÖVP-Chef und Wahlsieger Sebastian Kurz lies sich am Sonntag noch nicht zu Koalitions­aussagen hinreißen – wahrschein­lich ist jedoch ein Bündnis aus ÖVP und FPÖ.

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