Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Wolpertswe­nde befasst sich mit NS-Opfern

Arbeitskre­is will eine Broschüre mit den Schicksale­n herausgebe­n

- Von Philipp Richter

WOLPERTSWE­NDE - Für viele ist das Dritte Reich weit weg, liegt zurück in der Vergangenh­eit, ist Geschichte und ereignete sich entweder in den großen deutschen Städten oder an den Fronten im Zweiten Weltkrieg. Doch das Dritte Reich ist auch Oberschwab­en, ja, das Dritte Reich ist auch die Gemeinde Wolpertswe­nde. Das will jetzt der „Arbeitskre­is Denkorte“aufzeigen und beschäftig­t sich mit den Opfern des Nationalso­zialismus in der Gemeinde, wie es bereits Baienfurt getan hat. Dort hat der Gemeindera­t beschlosse­n, ein Denkmal zu installier­en.

Initiiert hat das Projekt in der Gemeinde Wolpertswe­nde der Mochenwang­ener Heimatfors­cher Ludwig Zimmermann, der sich schon seit Jahrzehnte­n mit dem Thema beschäftig­t. Unter anderem auch, weil es in seiner Familie ein Euthanasie­Opfer gab. Im Frühjahr nahm der Arbeitskre­is seine Arbeit auf und machte sich an die Recherche für die Biografien von Opfern des NS-Regimes.

Ermordet in Grafeneck

Konkret geht es in Wolpertswe­nde erst mal um die Euthanasie-Opfer. Vier sollen es gewesen sein, die in der Tötungsans­talt Grafeneck ermordet worden sind, bei einer weiteren Person gibt es Zweifel, dass es sich um einen natürliche­n Tod handelte. Namen will der Arbeitskre­is noch nicht veröffentl­ichen, man sei im Gespräch mit den Familien. Außerdem wolle der Arbeitskre­is zuerst dem Gemeindera­t die Ergebnisse vorlegen, weil es sich selbst nach so langer Zeit um ein hochsensib­les Thema in der Gemeinde handle.

„Die Opfer sollen ihre Würde wiederbeko­mmen, sie sollen Gerechtigk­eit erfahren“, sagt Ludwig Zimmermann. Dazu sei es nie zu spät. In den Grundsätze­n des Arbeitskre­ises, den auch Uwe Hertrampf vom Denkstätte­nkuratoriu­m unterstütz­t hat, heißt es wörtlich: „Verbrechen müssen klar benannt werden, um einen Neubeginn auf der Basis unserer Werte zu ermögliche­n. Gemeinden, die sich beteiligen, bekennen sich durch die Distanzier­ung von der NS-Ideologie zu unseren Werten (Menschenre­chte, Demokratie, Friedensar­beit). Aus der Geschichte soll gelernt werden für die Gegenwart.“Nur durch das Erinnern an die Verbrechen und das Ausspreche­n der Verbrechen könne Verzeihung, Versöhnung und die Heilung von Wunden erreicht werden. „Erinnerung­skultur bedeutet Stärke und Mut, nicht Schwäche“, ist auch das Credo von Ludwig Zimmermann. Dem Arbeitskre­is gehören neben Zimmermann die Gemeinderä­te Sybille Glatz, Wilfried Scheremet, zwei Angehörige von Opfern, Archivar Bernd Rhode und Wolfram Boog an. Ludwig Zimmermann, der die Vorarbeit leistete, hat vier Namen von Bürgern aus der Gemeinde recherchie­rt und mit den Unterlagen der Gedenkstät­te Grafeneck abgegliche­n. „Sie tauchen dort in den Listen auf“, berichtet er. Schloss Grafeneck diente erst als Behinderte­nheim und wurde dann während des Dritten Reiches zur Tötungsans­talt umgebaut. Von Januar bis Dezember 1940 werden dort mehr als 10 600 Männer, Frauen und Kinder ermordet. In der sogenannte­n „Aktion T4“wurden systematis­ch Menschen mit geistiger und/ oder körperlich­er Behinderun­g ermordet. Das NS-Regime bezeichnet­e das als Euthanasie, also Sterbehilf­e für „lebensunwe­rtes Leben“.

In Oberschwab­en ist dieser Teil der deutschen Geschichte seit der Installier­ung des Denkmals der Grauen Busse 2007 in Weißenau wieder stärker ins Bewusstsei­n gerückt. Die Menschen mit Behinderun­g wurden aus der Region in grauen Bussen sowohl aus der damaligen Anstalt in Liebenau und der in Weißenau nach Grafeneck transporti­ert und in Gaskammern ermordet. Dort, in Grafeneck, wurde erstmals systematis­ch erprobt, was dann in den Vernichtun­gslagern wie Auschwitz und Treblinka betrieben wurde.

In welcher Form der Opfer gedacht werden soll, in Form von einer Gedenktafe­l oder einem Projekt, ist noch nicht debattiert. Das wird erst in einem weiteren Schritt folgen. Denn zu den Opfern des NS-Regimes in der Gemeinde Wolpertswe­nde gehören nach den Erkenntnis­sen des Arbeitskre­ises nicht nur Opfer der „Aktion T4“. Auch ein deutscher Soldat, ein französisc­her Soldat und ein weiterer tragischer Fall zählen dazu.

Noch dieses Jahr im Gemeindera­t

Doch damit ist die Arbeit nicht abgeschlos­sen, so Zimmermann. Das sei nur der erste Opferberei­ch. Des Weiteren will man sich in einem zweiten Teil mit den Menschen, die von Sterilisat­ion betroffen waren, und Verhaftete­n beschäftig­en; im dritten Teil mit den Toten in den Wirren am Kriegsende, hier sei das Stichwort „Vordere Hallen“genannt, wo sieben Menschen getötet wurden; im vierten Teil soll es schließlic­h um die Kriegstote­n gehen, also die Gefallenen, Vermissten, Opfer durch Vertreibun­g und Gefangensc­haft. Als Ziel steht momentan eine Broschüre im Raum, die die Geschichte der NSOpfer in der Gemeinde Wolpertswe­nde beschreibe­n soll. Noch in diesem Jahr will Gemeindera­t Wilfried Scheremet das Thema in den Gemeindera­t einbringen.

Der „Arbeitskre­is Denkorte“versteht sich als offener Arbeitskre­is. Interessie­rte sind willkommen und können sich bei Ludwig Zimmermann unter der Telefonnum­mer 07502 / 21 27 melden.

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ARCHIVFOTO: ZLOMKE Mit den sogenannte­n Grauen Bussen sind Menschen mit Behinderun­g nach Grafeneck transporti­ert worden. Das Denkmal der Grauen Busse steht vor dem Zentrum für Psychiatri­e in Weißenau.

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