Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Wolpertswende befasst sich mit NS-Opfern
Arbeitskreis will eine Broschüre mit den Schicksalen herausgeben
WOLPERTSWENDE - Für viele ist das Dritte Reich weit weg, liegt zurück in der Vergangenheit, ist Geschichte und ereignete sich entweder in den großen deutschen Städten oder an den Fronten im Zweiten Weltkrieg. Doch das Dritte Reich ist auch Oberschwaben, ja, das Dritte Reich ist auch die Gemeinde Wolpertswende. Das will jetzt der „Arbeitskreis Denkorte“aufzeigen und beschäftigt sich mit den Opfern des Nationalsozialismus in der Gemeinde, wie es bereits Baienfurt getan hat. Dort hat der Gemeinderat beschlossen, ein Denkmal zu installieren.
Initiiert hat das Projekt in der Gemeinde Wolpertswende der Mochenwangener Heimatforscher Ludwig Zimmermann, der sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt. Unter anderem auch, weil es in seiner Familie ein EuthanasieOpfer gab. Im Frühjahr nahm der Arbeitskreis seine Arbeit auf und machte sich an die Recherche für die Biografien von Opfern des NS-Regimes.
Ermordet in Grafeneck
Konkret geht es in Wolpertswende erst mal um die Euthanasie-Opfer. Vier sollen es gewesen sein, die in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordet worden sind, bei einer weiteren Person gibt es Zweifel, dass es sich um einen natürlichen Tod handelte. Namen will der Arbeitskreis noch nicht veröffentlichen, man sei im Gespräch mit den Familien. Außerdem wolle der Arbeitskreis zuerst dem Gemeinderat die Ergebnisse vorlegen, weil es sich selbst nach so langer Zeit um ein hochsensibles Thema in der Gemeinde handle.
„Die Opfer sollen ihre Würde wiederbekommen, sie sollen Gerechtigkeit erfahren“, sagt Ludwig Zimmermann. Dazu sei es nie zu spät. In den Grundsätzen des Arbeitskreises, den auch Uwe Hertrampf vom Denkstättenkuratorium unterstützt hat, heißt es wörtlich: „Verbrechen müssen klar benannt werden, um einen Neubeginn auf der Basis unserer Werte zu ermöglichen. Gemeinden, die sich beteiligen, bekennen sich durch die Distanzierung von der NS-Ideologie zu unseren Werten (Menschenrechte, Demokratie, Friedensarbeit). Aus der Geschichte soll gelernt werden für die Gegenwart.“Nur durch das Erinnern an die Verbrechen und das Aussprechen der Verbrechen könne Verzeihung, Versöhnung und die Heilung von Wunden erreicht werden. „Erinnerungskultur bedeutet Stärke und Mut, nicht Schwäche“, ist auch das Credo von Ludwig Zimmermann. Dem Arbeitskreis gehören neben Zimmermann die Gemeinderäte Sybille Glatz, Wilfried Scheremet, zwei Angehörige von Opfern, Archivar Bernd Rhode und Wolfram Boog an. Ludwig Zimmermann, der die Vorarbeit leistete, hat vier Namen von Bürgern aus der Gemeinde recherchiert und mit den Unterlagen der Gedenkstätte Grafeneck abgeglichen. „Sie tauchen dort in den Listen auf“, berichtet er. Schloss Grafeneck diente erst als Behindertenheim und wurde dann während des Dritten Reiches zur Tötungsanstalt umgebaut. Von Januar bis Dezember 1940 werden dort mehr als 10 600 Männer, Frauen und Kinder ermordet. In der sogenannten „Aktion T4“wurden systematisch Menschen mit geistiger und/ oder körperlicher Behinderung ermordet. Das NS-Regime bezeichnete das als Euthanasie, also Sterbehilfe für „lebensunwertes Leben“.
In Oberschwaben ist dieser Teil der deutschen Geschichte seit der Installierung des Denkmals der Grauen Busse 2007 in Weißenau wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Die Menschen mit Behinderung wurden aus der Region in grauen Bussen sowohl aus der damaligen Anstalt in Liebenau und der in Weißenau nach Grafeneck transportiert und in Gaskammern ermordet. Dort, in Grafeneck, wurde erstmals systematisch erprobt, was dann in den Vernichtungslagern wie Auschwitz und Treblinka betrieben wurde.
In welcher Form der Opfer gedacht werden soll, in Form von einer Gedenktafel oder einem Projekt, ist noch nicht debattiert. Das wird erst in einem weiteren Schritt folgen. Denn zu den Opfern des NS-Regimes in der Gemeinde Wolpertswende gehören nach den Erkenntnissen des Arbeitskreises nicht nur Opfer der „Aktion T4“. Auch ein deutscher Soldat, ein französischer Soldat und ein weiterer tragischer Fall zählen dazu.
Noch dieses Jahr im Gemeinderat
Doch damit ist die Arbeit nicht abgeschlossen, so Zimmermann. Das sei nur der erste Opferbereich. Des Weiteren will man sich in einem zweiten Teil mit den Menschen, die von Sterilisation betroffen waren, und Verhafteten beschäftigen; im dritten Teil mit den Toten in den Wirren am Kriegsende, hier sei das Stichwort „Vordere Hallen“genannt, wo sieben Menschen getötet wurden; im vierten Teil soll es schließlich um die Kriegstoten gehen, also die Gefallenen, Vermissten, Opfer durch Vertreibung und Gefangenschaft. Als Ziel steht momentan eine Broschüre im Raum, die die Geschichte der NSOpfer in der Gemeinde Wolpertswende beschreiben soll. Noch in diesem Jahr will Gemeinderat Wilfried Scheremet das Thema in den Gemeinderat einbringen.
Der „Arbeitskreis Denkorte“versteht sich als offener Arbeitskreis. Interessierte sind willkommen und können sich bei Ludwig Zimmermann unter der Telefonnummer 07502 / 21 27 melden.